15. März 1939. Angespornt durch das „Münchner Abkommen“ zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich besetzen rund 350.000 Wehrmachtssoldaten die sogenannte „Resttschechei“. Sechs lange Jahre sollte die damit beginnende deutsche Herrschaft aus Raub, Verfolgung und Terror bestehen…
Dies ist der historische Kontext, mit dem das Buch von Erich Später über das jüdische Ehepaar Waigner, ihre Villa in Prag, und über Nazis wie Hans Martin Schleyer beginnt. Aufgrund der Ideologie vom „Großdeutschen Reich“ wurde die vormals demokratische ČSR nun endgültig zerstückelt und zum „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ erklärt, daß dem Wahn der Nazis zufolge „germanisiert“ werden mußte. Ernst Klundt, enger Mitarbeiter von Konrad Henlein, dem Führer der sudetendeutschen Partei verlangte Oktober 1938 in einer geheimen Denkschrift die Liquidierung der tschechischen Demokratie, die einher gehen sollte mit Genozid: „Dieser Raum“, so Klundt, „muß in die außenpolitische und militärische Oberhoheit des großdeutschen Reiches gelangen, weil das deutsche Volk und sein Staat nur Herr in Mittel- und Südosteuropa sein kann, wenn es der Herr von Böhmen ist … (Um) das zu erreichen, gibt es gegenüber dem tschechischen Volk nur zwei Möglichkeiten: a) Beseitigung durch Ausrottung oder Aussiedlung, b) Einbau in das Dritte Reich und die weltanschauliche Grundlage dieses Reiches“.
Daß es an den Absichten der Deutschen nichts zu deuteln gab, war vielen Tschechen bereits lange vor jenem 15. März klar; allein das Wort „Eindeutschung“, daß im Zusammenhang mit der Invasion Realität wird, bedeutete konkret die Etablierung eines Rassestaats und damit Ausplünderung und Vernichtung. Am Ausbau des deutschen Behemoths in der Tschechoslowakei war ab Juli 1941 auch ein zu jener Zeit erst 26-jähriger SD-Mitarbeiter beteiligt: Hans Martin Schleyer, seit Juli 1933 bei der SS, hatte sich erste Lorbeeren in der NS-Studentenbewegung verdient und war bereits Leiter des Heidelberger Studentenwerks geworden. Nach dem ersten Staatsexamen wird er ab dem Sommersemester 1938 auf besonderen Wunsch des Reichsstudentenführers Gustav Adolf Scheel, Leiter des Studentenwerks an der Universität Innsbruck. Hier erlangt er auch seinen „Dr. jur.“
Nach Promotion und Wehrdienst bei den Gebirgsjägern wird Schleyer in der Endphase des Westfeldzugs aufgrund einer Verletzung als dienstuntauglich entlassen, und übernimmt Juli 1941 die Leitung des Studentenwerks der „Deutschen Karls-Universität in Prag“. Im Frühjahr 1943 tritt er zudem als Sachbearbeiter in den „Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren“ ein. Der Zentralverband war unter anderem für die „Arisierung“ der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich zuständig. Hier bringt es Schleyer bis zum persönlichen Sekretär des Präsidenten Bernhard Adolf und gelangt dadurch an einen der wichtigsten Bereiche der deutschen Macht im Protektorat; gleichzeitig bleibt er für den SD tätig.
Die Villa Waigner ist zu diesem Zeitpunkt schon zweieinhalb Jahre „arisiert“ und in Besitz des Deutschen Reiches, die rechtmäßigen Eigentümer, Emil und Marie Waigner, bereits tot. Ihre Spur verliert sich 1942 in Mauthausen und Auschwitz. Auf dem Anwesen der Waigners wohnt seither der Besatzungsfunktionär Friedrich Klausing, damals Rektor der Deutschen Universität und glühender Hitleranhänger. Sein persönliches Stalingrad erlebt Klausing am 20. Juli 1944. Adjutant Claus von Stauffenbergs ist sein Sohn Friedrich Karl, der damit zum engsten Verschwörerkreis gegen Hitler gehört. – Dem Vater bleibt letztlich nur der Selbstmord um die Familienehre nach nationalsozialistischer Gesinnung zu retten. Nach dem Ende Klausings erhält Schleyer den Zuschlag für die Villa. Aufgrund seines rasanten Aufstiegs in SS und der Protektoratsverwaltung gehört er inzwischen zur Elite und will nun auch dementsprechend repräsentativ in Prag wohnen.
Januar 1944 steigt Schleyer schließlich bis zum „Führer im Reichssicherheitshauptamt“ auf. Dies kann Später anhand hier erstmals publizierter Dokumente belegen. Neben Fotos von Marie und Emil Waigner sind etwa der Brief über die Einreichung des „Ahnennachweises“, den Schleyer aufgrund seiner SS-Mitgliedschaft einreichnen mußte, der Aufnahmeantrag seiner späteren Frau Waltraud Ketterer in die NSDAP, Schleyers Heiratserlaubnis durch den „Reichsführer SS“, sowie die Ernennung Schleyers zum „Führer im Reichssicherheitshauptamt“ abgedruckt. – Schleyers Karriere in der Zentrale des Vernichtungskriegs hätte sich wohl fortgesetzt, so läßt sich annehmen. Letztlich beendete sie erst der alliierte Sieg über Nazi-Deutschland.
Erich Später: Villa Waigner. Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939-45 konkret Texte 50 – 100 Seiten, 2. Auflage, Hamburg, 2010, EUR 12.00, Bestellen?
Nach dem Krieg wurde der Naziverbrecher Schleyer lediglich als „Mitläufer“ eingestuft.
„Anfang Mai 1945, bei oder kurz vor Ausbruch des tschechischen Aufstandes, verließ Schleyer Prag und floh zu seinen Eltern nach Konstanz. Hier wurde er am 18. Juli 1945 vom französischen Militär verhaftet und kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aufgrund seines SS-Rangs als Untersturmführer blieb er drei Jahre lang in Baden interniert. Am 24. April 1948 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legte Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wurde er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft. Schleyer hatte sich bei seinen Angaben zur Person einen niedrigeren Dienstgrad angegeben, um das mögliche Strafmaß zu reduzieren: Aus seinem SS-Rang des Untersturmführers machte er den Rang Oberscharführer.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Martin_Schleyer
Leider wird diese Zeit Schleyers in den Dokumentationen und Berichten im Zusammenhang mit seiner Ermordung nie oder nur marginal erwähnt. Selbstverständlich bin ich nicht der Meinung, dass seine SS-Vergangenheit seine Ermordung rechtfertigt.
„Leider wird diese Zeit Schleyers in den Dokumentationen und Berichten im Zusammenhang mit seiner Ermordung nie oder nur marginal erwähnt.“
Klar, weil es unpopulär ist. Unionspolitiker, FDPisten und Sozialdemokraten (u.a. Helmut Schmidt) gehörten zu den langjährigen Gesprächspartnern, ‚Mitgestaltern‘ in der Innenpolitik, zu den Kollegen, ja, Mitmenschen dieses NS-Verbrechers.
Wie wir im Zusammenhang mit den näheren Umständen der Eichmann-Entführung in diesen Tagen in den Medien erfahren haben, haben auch unsere bundesdeutschen Geheimdienste ein allergrößtes Interesse daran, dass deren Naziwurzeln bzw. -vergangenheit weiterhin unter Verschluss bleibt.
Und verlogen waren gerade wir Deutschen schon immer, wenn es um nationale Belange ging. Ach – wie wichtig erscheint ‚uns‘ doch unser sog. guter Ruf.
Umso erfreulicher, dass Wikipedia und andere Informationsanbieter im Web diese Heuchelei um’s Eingemachte als solche wirkungsvoll demaskieren.
zitat: und verlogen gerade wir Deutschen,…….
der Autor dieses Artikels kann unmöglich ein Deutscher sein?!
@becker
„der Autor dieses Artikels kann unmöglich ein Deutscher sein“
Der Autor des Artikels oder des Kommentars?
Sie haben ganz offensichtlich Schwierigkeiten sich deutsch allgemein verständlich zu machen.
Ich empfehle einen Integrationskurs mit Deutschsprachunterricht!