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Das Prager Tagebuch des Petr Ginz

Aufzeichnungen eines Jungen, der im KZ ermordet wurde…

Von Roland Kaufhold

Das „Prager Tagebuch“ des Schülers Petr Ginz ist in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnliches, anrührendes literarisch- zeitgeschichtliches Dokument. In ihm wird an die kurze, gleichermaßen glücklich-produktive wie tragische Lebensgeschichte eines sehr talentierten jüdischen Jungen erinnert. Petr Ginz wurde 1928 in Prag geboren und er verbrachte dort auch seine Kindheit. Im Oktober 1942 wurde er zunächst in das KZ Theresienstadt, zwei Jahre später in das KZ Auschwitz deportiert, wo er von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

Bereits in Prag hatte dieser Junge ein Tagebuch verfasst; außerdem schrieb er durch Jules Verne inspirierte Kurzgeschichten, einen Roman und zeichnete mit hohem künstlerischem Talent. Diese außergewöhnlichen Fähigkeiten setzte der 14jährige auch im KZ Theresienstadt ein, wo er unter anderem Mitherausgeber einer literarischen Untergrundzeitschrift war.

Seine zwei Jahre jüngere Schwester Chava und sein Vater überlebten und emigrierten nach Israel. Sie besaßen einige wenige Kunstwerke ihres ermordeten Sohnes und Bruders, welche sie 1956 Yad Vashem zur Aufbewahrung anvertrauten; der größte Teil von Petr Ginz’ Wirken galt hingegen jahrzehntelang als verschollen.

Die Umstände ihrer Wiederentdeckung sind äußerst tragisch: Als der israelische Astronaut Ilan Ramon – Sohn einer Auschwitz- Überlebenden – 2003 mit der Columbia ins Weltall flog, hatte er Peter Ginz Bild „Mondlandschaft“ – als Symbol für die Shoah – in seinem Gepäck. Die Columbia verglühte am 1. Februar 2003 beim Eintritt in die Atmosphäre; exakt an diesem Tage wäre Petr Ginz 75 Jahre alt geworden. Diese tragischen Umstände brachten es mit sich, dass Petr Ginz in Tschechien bekannt wurde. So erschien sein Bild auf einer Briefmarke. Das Tagebuch Petr Ginz wurde auf einem Dachboden entdeckt und von Yad Vashem erworben.

Chava Pressburger hat nun das Tagebuch ihres Bruders, welches vom 19.9. 1941 bis 9.8.1942 reicht, in einem Buch veröffentlicht – ein erschütterndes Dokument, welches gleichermaßen Jugendliche wie auch Erwachsene anzusprechen vermag. Im Anschluss wird Petr Ginz’ Leben im KZ Theresienstadt dokumentiert und einfühlsam nacherzählt – seine Wissbegierde, sein Forschungsdrang und sein literarisches Engagement war ungebrochen. Weiterhin werden im Buch sechs Gedichte und Erzählungen von Petr Ginz publiziert, welche dieser unter Lebensgefahr im KZ Theresienstadt für die von einigen Jugendlichen herausgegebene Untergrundzeitschrift „Vedem“ verfasst hatte. In weiteren Kapiteln werden einzelne seiner Linolschnitte und Zeichnungen dokumentiert; und Chava Pressburger erinnert sich an ihre letzte Begegnung mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder:

„In Theresienstadt gab es die Gelegenheit, anerkannte wissenschaftliche Kapazitäten und Künstler zu treffen. Petr lauschte begierig ihren Vorträgen, die heimlich abgehalten wurden – denn jegliche intellektuelle Aktivität war von den Deutschen verboten worden. Nach zwei Jahren, als auch ich mit vierzehn Jahren nach Theresienstadt kam, konnte ich Petr noch kurz sehen, umarmen und mich von ihm verabschieden, bevor er mit einem Transport in den Tod nach Auschwitz fuhr.“ (S. 143)

Das Tagebuch dieses zwölfjährigen Jungen ist bewegend. Er sammelt lakonische Beschreibungen seiner täglichen Erlebnisse, seiner Streiche, seiner literarischen Erstlingsversuche – welche immer wieder durch die grausame Realität im von den Nationalsozialisten besetzten Prag durchbrochen wurde. Das Tagebuch beginnt mit der Eintragung vom 19.9.1941: „Es ist neblig. Die Juden müssen ein Abzeichen tragen, das ungefähr so aussieht: (Es folgt eine Zeichnung des gelben Sternes). Auf dem Weg zur Schule habe ich 69 ,Sheriffs‘ gezählt. Mama hat dann über Hundert gesehen.“ (S. 29).

Sechs Tage später notiert Petr: „Morgens kühl, nachmittags schön. Vormittags in der Bibliothek, nachmittags in der Schule. Vor dem Denis-Bahnhof stand ein Feuerwehrauto, aus dem Bahnhof drang Rauch heraus. Mama hatte einen fürchterlichen Knall gehört, danach noch einige schwächere Explosionen. Wohl wieder Sabotage.“ (S. 31) Und am 1.10.1941 schreibt Petr: „Den ganzen Tag Regen. Heute haben wir Jom Kippur, von Dienstagabend bis Mittwochabend habe ich gefastet. Dafür habe ich aber abends viel gegessen. Viele Menschen wurden hingerichtet wegen Vorbereitung von Sabotage, unerlaubtem Waffenbesitz und Ähnlichem.“ (S. 33)

Am 22.3.1942 notiert Petr: „Onkel Milos muss auch Schnee fegen, obwohl er eine Knochenhautentzündung im Arm hat. Onkel Slava macht das seit etwa acht Wochen und hat riesige Blasen und furchtbar rissige Hände. Vormittags zu Hause, nachmittags angefangen Gerstäckers Erzählung ,Die Nacht auf dem Walfisch‘ zu übersetzen.“ (S. 85)

Im Januar 1941 schreibt dieser 13jährige Junge ein drei Seiten langes, satirisches Gedicht über die Deutschen, welches mit den Worten beginnt: „Heute weiß gar unsre Trude, / wer ein Arier und wer ein Jude, / ein Jude – um es gleich zu sagen – / muss ein Stern auf seinem Mantel tragen. / Und einem so markierten Jud / tut Leben nach Vorschrift richtig gut: / Nach acht Uhr abends das Haus nicht verlassen, / sich tunlichst auf die Familie einzulassen, / geistiger Arbeit abzuschwören, / keine deutschen Sender hören.“ (S. 60)

Hervorzuheben bleibt, dass das Buch wegen seines persönlichen Charakters sowie seiner ansprechenden Aufmachung auch gut im Schulunterricht eingesetzt werden kann. Es ermöglicht Kindern und Jugendlichen eine Identifikation mit diesem liebenswert-neugierigen Schuljungen – wodurch eine unmittelbare Brücke von dieser tragischen Lebensgeschichte hin in unsere Gegenwart zu entstehen vermag.

Eine kleine, gut gelungene Ausstellung zum Buch mit Fotos, Bildern und Texten wurde bereits in verschiedenen Städten dargeboten, u.a. in Köln im „Ausstellungsraum Jawne“. Sie kann beim Verlag für eine geringe Gebühr ausgeliehen werden.

Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941-1942. Herausgegeben von Chava Pressburger, 167 S., Euro 12,90, Bestellen?

Erschienen in: Berliner Lehrerzeitung (blz), Nr. 02/2007

Literatur:
Roland Kaufhold (2007): Das „Prager Tagebuch“. Petr-Ginz-Wanderausstellung, in: TRIBÜNE, 46. Jg., Heft 181, 1/2007, S. 68-70.
Roland Kaufhold/Cordula Lissner (2007): Tagebuch vor der Vernichtung. Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941-1942. In: Newsletter des Fritz Bauer Instituts, Nr. 30, Frühjahr 2007, S. 79f.

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