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Hans Hirschfeld: Verweigerte Ehre

So wenig wir die »Schwarzen Schafe« in unserer geschichtlichen Darstellung auslassen oder deren Ehrenmitgliedschaft rückgängig machen können, so wenig können wir ein anderes Phänomen aus dieser Zeit „rückgängig“ machen, das spiegelbildlich, geradezu komplementär dazugehörte, dass nämlich die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft verweigert wurde…

Von Peter Voswinckel, Berlin, September 2012

Jubiläumsschrift ‚75 Jahre DGHO

Stellvertretend für andere nennen wir hier das Schicksal von Hans Hirschfeld, dem zweifellos bekanntesten deutschen Hämatologen und Krebsforscher der dreißiger Jahre. Ihm hätte als Nestor des Faches als Erstem ein Ehrenpreis zugestanden. Er hat ihn nicht erhalten, und noch schlimmer: er wurde ihm noch fünfzig Jahre nach dem Krieg vorenthalten. Es wäre zu einfach, seinen Tod im Konzentrationslager allein den „bösen Nazi-Schergen“ anzulasten, wie es zuletzt noch in einem Beitrag auf der DGHO-Jahrestagung in Basel 2011 formuliert worden ist. Vor Hirschfelds physischem Tod standen seine soziale, berufliche, bürgerliche, rechtliche, fiskalische und ökonomische Liquidierung unter billigender Mitwirkung aller Kreise der deutschen Bevölkerung, gipfelnd in der vollständigen Ausraubung seines Vermögens, seiner Papiere und seiner Würde. Es waren auch Hirschfelds Hämatologie-Kollegen, bis hinauf in den Vorstand der DHG, die bei seiner Ausgrenzung mitgewirkt haben und die ihn nach dem Krieg mit Stillschweigen übergangen haben.

Nach ungezählten historischen Analysen, Faschismustheorien und anderen Erklärungsversuchen bietet der Berliner Schriftsteller und Historiker Götz Aly in seinem neuesten, sehr empfehlenswerten Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ (2011), ein überraschend „einfaches“, dabei gut fundiertes und überzeugendes Erklärungsmuster, worin dem klassischen Neid eine zentrale Rolle zukommt -freilich unter den spezifischen soziokulturellen Prägungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein Resümee sei hier in ganzer Länge zitiert:

„Neid und Versagensangst, Missgunst und Habgier trieben den Antisemitismus der Deutschen an – Gewalten des Bösen, die der Mensch seit Urzeiten fürchtet und zivilisatorisch einzuhegen versucht. Die an christliche und juridische Traditionen durchaus gebundenen Deutschen waren sich der niederen Beweggründe ihrer Judenfeindschaft bewusst. Sie schämten sich dafür. Das machte sie für die Rassentheorie empfänglich. Die [Rassenlehre] veredelte den Hass zur Erkenntnis, das eigene Manko zum Vorzug und begründete gesetzliche Maßnahmen. Auf diese Weise delegierten Millionen Deutsche ihre verschämten, aus Minderwertigkeitsgefühlen herrührenden Aggressionen an den Staat. So konnten staatliche Akteure jeden Einzelnen entlasten und individuelle Bosheit in die überpersönliche Notwendigkeit zur »Endlösung der Judenfrage« verwandeln«

Genau dies geschah auch auf dem 3. Hämatologenkongress 1940 in Wiesbaden, als der eingeladene Festredner, Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti, verkünden konnte:
„Die Rolle des Judentums, das die sittlichen Grundlagen des ärztlichen Berufes zersetzt, ist für immer ausgespielt.“

Hans Hirschfeld um 1938
(Klick erg. Vergrößerung)…

Gipfel der legalistischen Perfidie war der sogenannte „Heimeinkaufsvertrag“, wie er sich für Hans Hirschfeld erhalten hat (siehe 1. Seite und 2.Seite). Geschaffen mit dem explizit formulierten Ziel, im Zusammenhang mit den Deportationen „lästige Interventionen mit einem Schlage auszuschalten“ (so Heydrich bei der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942), stellte der Heimeinkaufsvertrag ein einzigartiges Täuschungsmanöver dar, mit dem Alte (über 65 Jahre) sowie im Weltkrieg verwundete oder besonders ausgezeichnete Juden ihres Vermögens beraubt und ihnen vorgegaukelt wurde, sie kämen in ein reguläres Sanatorium oder Altenheim. Besorgte Beobachter – Kollegen, Assistenten, Patienten – wurden so ruhiggestellt und zugleich mit der Perspektive belohnt: Hier stehen demnächst Neubesetzungen an, hier werden Tausende Stellen frei, lästige Konkurrenz ist ausgeschaltet, Arztpraxen und Laboratorien stehen zur Verfügung, jede Menge Mobiliar, Kunstgegenstände und Bibliotheken sind billig zu haben.

Der zweite Teil des Ehrenbandes zum 75.-jährigen Bestehen der Gesellschaft besteht ausschließlich aus Dokumenten die diese Vörgänge belegen. Es ist und bleibt für alle Zeiten eine Hypothek, die auf der frühen Geschichte der DGHO lastet, und, wie Ehrenmitglied Richard Duesberg in einer Ansprache 1965 ausführte, „eine Schande, die in der historischen Zukunft untilgbar und nicht verjährbar sein wird.“ Ein anderer, selbst von Verfolgung betroffener Kollege, Ehrenmitglied HENRY RAPPAPORT, bestätigte in einem Brief an den Verfasser aus Anlass des 50. ]ubiläums 1987:

„The sad thought occurs to me that the Deutsche Gesellschaft für Hämatologie at the time of its founding (1937) must have been „judenrein“. I hope you will understand my bitterness after so many years od Exile but i wish to emphazize, that your Generation is totally innocent of the crimes perpetrated at that time. I Have great compassion for the members of your genaration who, because they care for their fellowmen regardless of race and religion, carry this awful burden of that heritage.“.

Mittlerweile ist Henry Rappaport verstorben, wie auch die letzte Tochter von Hans Hirschfeld, die Ärztin Ilse Hirschfeld, völlig unbemerkt vom deutschen hämatologischen Klínikbetrieb 1991 im Alter von 86 jahren in New York verstorben ist.

In Absprache mit dem Vorstand der DGHD wollen wir deren und vieler anderer Vermächtnis erfüllen, indem wir den zweiten Teil dieses Buches der Erinnerung an Hans Hirschfeld widmen. Fern von Debatten über Erin- nerungskultur und fern von ausschweifenden moralischen Appellen sollen hier vereinbarungsgemäß nur Dokumente selbst zur Sprache kommen. Damit kommen wir derAufforderung nach, die Frank Ulrich Montgomery in diesem Jahr auf dem Ärztetag bei der Eröffnung der Ausstellung über die Vertreibung jüdischer Ärzte formuliert hat: „Wo man Geschehenes nicht begreifen kann, wollen wir wenigstens dokumentieren, damit wir nie vergessen“.

Noch pointierter formulierte es der Schriftsteller und Soziologe H. G. Adler († 1988), zugleich der letzte Zeuge von Hirschfelds hämatologischer Tätigkeit in Theresienstadt (vgl. S. 134, 135): »Verstehen muss man nicht. Es gibt nichts zu verstehen. Wissen muss man es, weil es gewesen ist.«

siehe auch: aerzte.erez-israel.de

Stolperstein für Prof. Hirschfeld

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