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Der Holocaust- …und die Muslime

Ein Sammelband stellt Beiträge einer Pariser Konferenz von 2010 zum Thema „Europeans Muslims Perceptions of the Holocaust“ vor…

Von Ramona Ambs

Umstrittene Geschichte„Hamas Hamas Hamas, Juden ab ins Gas“ ist eine antisemitische Parole, die in den Niederlanden am Rande von propalästinensischen Demonstrationen in den letzten Jahren vermehrt gerufen wurde. Die Frage, wie dieser Slogan, der heutzutage Juden ins Gas schicken will, zu der mittlerweile globalen, propalästinensischen Bewegung kam, wie er rezipiert wird und wurde und wer ihn letztlich aufgebracht hat, wird von Evelien Gans beantwortet. In ihrem Artikel über die Geschichte der antisemitischen Parole von 1945 – 2010 erfährt der Leser einiges über die Hintergründe und Motivation insbesondere der muslimischen Protestgruppen der Pro-Palästina-bewegung in den Niedelanden.

„Umstrittene Geschichte“ heisst der Sammelband, in dem dieser Aufsatz, neben vielen weiteren zu finden ist. Untertitel „Ansichten zum Holocaust unter Muslimen im internationalen Vergleich“ klingt zunächst verstörend. Scheint es doch so, als ob man hier die höchst heterogene Gruppe muslimischer Menschen in einen Topf zu werfen versucht. Dem ist jedoch nicht so. Im Vorwort wird bereits diesem Eindruck widersprochen: „Macht es überhaupt Sinn, Ansichten zum Holocaust von doch so unterschiedlichen »Muslimen« untersuchen zu wollen? Oder mündet das in eine rassistisch gefärbte Pauschalisierung? (…) Auch wenn davor zu warnen ist, Muslime auf ihre religiöse Identität festzulegen oder gar auf diese zu reduzieren, ist diese doch auch in Europa für viele ein prägender Faktor. In der sozialpsychologischen Forschung ist seit Langem bekannt, dass Identifikationen mit Kollektividentitäten individuelle Einstellungen mitprägen (Hale 2004, Abrams/Hogg 1999). Es ist zu untersuchen, ob dies, zumindest bei einigen Muslimen, auch auf Ansichten zum Holocaust zutrifft. Um Einflussfaktoren und Hintergründe, die die Ansichten zum Holocaust unter Muslimen in Europa auf direkte oder indirekte Weise beeinflussen, und wie in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in Europa damit umgegangen wird, geht es in diesem Buch.“

Und dabei trifft man auf erstaunliche Zusammenhänge, deren Kenntnis enorm wichtig ist, will man gruppenspezifisch gezielt gegen diesen speziellen, vermeintlich „islamisch“ motivierten Antisemitismus vorgehen.

Georges Bensoussan beispielsweise schreibt über die europäische Mythologisierung des Holocausts: „Im Europa von 1945 kehrte Ruhe ein. Das Grauen sei nicht mehr als ein Zwischenspiel gewesen. In Deutschland selbst werden die nationalsozialistische Partei und die sie umgebende Bande von „psychischen Kriminellen“ als alleinig verantwortlich ausgemacht (…) Auch die Kirche ist mit Vergesslichkeit geschlagen: man ist überzeugt, dass der mörderische Antisemitismus das Werk einer handvoll irregeleiteter Heiden gewesen wäre, dass die grassierende Judeophobie keinerlei christliche Wurzeln hätte.(…)Auf diesem verminten Terrain hat eine Mythologie Wurzeln geschlagen, die sich bis heute auswirk. (…)“

Und über die Auswirkungen dieser Mythologisierung in Frankreich speziell berichtet er weiter: „Lange Zeit herrschte die Idee vor, dass die Überlebenden geschwiegen hätten. Zu großen Teilen war das ein beruhigender Mythos. Die Schwierigkeit zuzuhören hatte sich in die Sprachlosigkeit der Zeitzeugen verwandelt, als hätte sich das Schweigen der Zeitgenossen auf die Überlebenden übertragen, gleichwohl diese seit Ausgang des Krieges versucht hatten, zu reden, zu schreiben und zu veröffentlichen. (..) Die angebliche Sprachlosigkeit ist ein Mythos. Wie Simone Veil 1990 sagte: „ Niemand wollte uns zuhören. Was wir sagten, war zu hart“. 1946 schien die Sache bekannt, man hatte „zu viel“ über die Deporatation gesprochen. Das Gefühl der Übersättigung, das unsere Zeit zu charakterisieren scheint, wirkte schon damals.“

Neben dem Blick auf die verschiedenen Länder Europas, findet man aber auch Darstellungen zur Türkei und dem arabischen Raum. Dort sind problematische Ansichten zum Thema Holocaust fast Standard. Dennoch entdeckt man auch hier erstaunliche Geschichten, wie beispielsweise im Aufsatz von Esther Webman, die über verschiedene Publikationen in arabischen Medien berichtet:

„Im Februar 1945 veröffentlichte eine damals führende ägyptische Wochenzeitung die Kurzgeschichte von Hasan Fathi Khalid, „Mendel…der Buchhändler“, die Stefan Zweig gewidmet war. Die Hauptfigur der Geschichte, ein ägyptischer Gelehrter, stattet (…) seiner ehemaligen Studienstadt Wien einen Besuch ab und wirft dabei einen Blick auf die Verfolgung der Juden während des zweiten Weltkriegs.(..) Während der Held der Geschichte durch die Stadt streift, betritt er eher zufällig ein Wiener Kaffeehaus, wo er früher (…) Jakob Mendel, dem Buchhändler begegnet war, der dort damals jeden Tag anzutreffen war, stets bereit, in aller Ausgiebigkeit sein Wissen mit anderen zu teilen. Ausgelöst durch die Frage einer Toilletenfrau, beginnt er über Mendels Leben zu erzählen, wie dieser aus Osteuropa nach Wien kam, bis hin zu seinem tragischen Tod. Er berichtet auch Details aus dessen Leben unter der unverkennbar deutschen Besatzung, über die Schrecken der Konzentrationslager und das Schicksal der jüdischen Bevölkerung. Die alte Frau entgegnet, dass Mendel nach seiner Befreiung nie wieder er selbst geworden wäre und sein psychischer und mentaler Zustand sich stark verschlechtert hätte. Er wäre sonderbar und abstoßend geworden, bis man ihn eines Tages des Kaffeehauses verwiesen hätte. Einige Tage später wäre er erneut hineingestürmt, verwirrt und aufgeregt, und dann noch in der selben Nacht gestorben…“

Im letzten Teil des Buches geht es um Projekte, die bereits auf die Forschungsergebnisse reagieren und spezielle Ansätze daraus entwickelt haben. Als besonders gelungenes Beispiel wird auch hier wieder einmal die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ vorgestellt, die sich u.a. auf die Arbeit mit muslimisch sozialisierten Jugendlichen und Gruppen mit migrantischem Background in Konzeption und Ausrichtung eingestellt hat.

Die Zusammenstellung des Buches ist überaus gelungen und gibt einen Einblick in die inner- und außereuropäische Rezeption von Muslimen auf den Holocaust. Dass dabei differenziert wird und auch Lösungsansätze diskutiert werden, machen diesen Band umso wertvoller für den politischen Diskurs. Außerdem finden sich immer wieder kleine, unerwartete Geschichten, die der Theorie die Farbe geben, die ein wissenschaftliches Werk benötigt, um nachhaltig wirken zu können. Unbedingte Empfehlung!

Günther Jikeli (Hg.), Kim Robin Stoller (Hg.), Joelle Allouche-Benayoun (Hg.), Umstrittene Geschichte. Ansichten zum Holocaust unter Muslimen im internationalen Vergleich, Campus Verlag 2013, 315 S., Euro 34,90, Bestellen?

Anmerkung: Die Zitate aus dem Buch wurden entgenderisiert.

1 comment to Der Holocaust- …und die Muslime

  • efem

    Im Zusammenhang sollte man sich vielleicht daran erinnern, dass
    KZ-Häftlinge, sobald sie abgemagert und dem Tode nah waren, sowohl von der KZ-Mannschaft und den Eingekerkerten im Lagerjargon als „Muselmann“ (eine veraltete, früher geläufige Bezeichnung für Muslim) bezeichnet wurden. Darüber machen sich n.a. sowohl das iwrith- wie auch das arabisch- als auch das persischsprachige Wikipedia Gedanken.

    Deutsche Wikipedia’s versuchen sich natürlich an Deutungen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Muselmann_(KZ),

    z.T. identisch mit iwrithsprachigen, die jedoch Beispiele bringen:
    http://he.wikipedia.org/wiki/%D7%9E%D7%95%D7%96%D7%9C%D7%9E%D7%9F

    Das Englishsprachige verlinkt einen Text von Yad Vashem; der erläutert zwar, was der Ausdruck meint, bringt dann aber dies, so als ob die Verfasser des Textes noch nie islamische Betende gesehen hätten: „Some scholars believe that the term originated from the similarity between the near-death prone state of a concentration camp Muselmann and the image of a Muslim prostrating himself on the ground in prayer.“

    Jedoch ist das neben anderem auch die Ansicht des arabischen Wikipedia, das zusätzlich in einem zitierten Text einen Bogen schlägt zur westlichen Wahrnehmung „der Orientalen“ seit der Zeit der Kreuzzüge – und damit schließt sich, denke ich, ein Kreis zum besprochenen Buch. Das Persischsprachige bringt wenig, aber bezeichnend ist eben, dass man „im Orient“ hellhörig wurde…

    Noch Anderssprachige – es sind gerade mal zwei(!) – bringen z.T. weitere Erklärungen.