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Etta Federn — eine jüdisch-libertäre Pionierin

Gelegentlich müssen 60 Jahre vergehen, bis eine bemerkenswerte Schrift in ihrem „Ursprungsland“ erstmals zugänglich wird. Bei diesem schönen, reich bebilderten Büchlein ist dies so. Die Ursache hierfür ist, wie so häufig, in unserer gewalttätigen, tragischen Vergangenheit zu suchen. Was von den Nazis entwurzelt, vertrieben, ausgelöscht wurde, wird zwei Generationen später von einer engagierten „Nachgeborenen“ (Brecht) ausgegraben, übersetzt und als Buch vorgelegt. Hierzu nun Näheres…

Von Roland Kaufhold

federnEtta Federn, 1883 als jüngste Tochter eines Arztes und einer Frauenrechtlerin in Wien geboren, gehörte zum assimilierten jüdischen Bürgertum Österreichs. Einer ihrer fünf Geschwister war der Psychoanalytiker und enge Freud-Mitarbeiter Paul Federn, Vater des Psychoanalytikers und mutigen Antifaschisten Ernst Federn. Etta Federn verliess früh ihre Familie, ging 22-jährig nach Berlin, veröffentlichte ab 1906 Biographien, Essays, Gedichte und Übersetzungen und verkehrte im anarchistisch-libertären Milieu um Rudolf Rocker.

Ihre Biographien über Goethes Frau Christiane sowie über den liberalen, demokratischen Politiker Walther Rathenau, 1927 veröffentlicht, waren literarische Erfolge. Sie brachten ihr Ansehen, aber auch antisemitische Einschüchterungen ein, die bis hin zu konkreten Morddrohungen reichten. 1932 musste sie nach Spanien emigrieren und engagierte sich sogleich bei der anarchosyndikalistischen Frauenorganisation Mujeres Libres als Pädagogin und Literatin. Diese aktivistische Organisation hatte 1939 20.000 Mitglieder. Ihre Bedeutung muss im Kontext der breiten anarchosyndikalistischen Bewegung gelesen werden, die, wie Marianne Kröger in ihrem Nachwort in komprimierter Form nachzeichnet, tief in der demokratischen, antifaschistischen Bewegung Spaniens verwurzelt war. Diese gilt für viele bis heute als überzeugender historischer Orientierungspunkt, als Modell für die enge Verschränkung zwischen individuellen und gesellschaftlichen Emanzipationsbestrebungen.

1938, während des Spanischen Bürgerkrieges, veröffentlichte Etta Federn im Verlag der Frauenbewegung die Broschüre „Mujeres de las revoluciones“. Diese Schrift, die Marianne Kröger im vorliegenden Buch erstmals übersetzt und kommentiert hat, richtete sich vorwiegend an die spanischen Frauen, denen der Zugang zur Allgemeinbildung weitgehend versperrt geblieben war. Ihre Broschüre intendierte in Form eines historischen Rückblickes auf 12 couragierte, unabhängige Frauen eine Frauengeschichtsschreibung. Diese 12 Frauen (u.a. Ellen Key, Rosa Luxemburg, Angelica Balabanoff, Alexandra Kollontai und Isadora Duncan), exemplarisch als Leitfiguren einer libertären Gesinnung zu lesen, werden in persönlich gehaltenen Kurzbiographien porträtiert. Diese knappen Skizzen, mit insgesamt 48 Photos grosszügig bebildert, sind auch heute noch mit Genuss zu lesen. Zur Vertiefung werden in einem Anhang ausführliche Literaturhinweise zu den porträtierten Frauen sowie zu Etta Federns Leben und Werk dargeboten.

Weiterhin werden zwei pädagogische Texte sowie ein Gedicht Etta Federns erstmals veröffentlicht, die diese 1937 und 1938 in der Zeitschrift „Mujeres Libres“ publiziert hatte: „Beseitigt die Angst“, „Neues Leben“ und „Grausamkeit und Zorn bei Kindern“. Diese Texte sind von einer anrührenden Lebendigkeit und Aktualität und regen zur vertiefenden historisch-biographischen Spurensuche an. Exemplarisch für die kulturrevolutionären, emanzipatorischen Bemühungen Etta Federns mag folgende Passage aus „Beseitigt die Angst“ stehen, in der sie ihre Berliner Erfahrungen mit ihrer neuen Lebenssituation im spanischen Exil unmittelbar verknüpft:

„Walther Rathenau, der von den früheren `Nazis´ ermordete deutsche Minister – `frühere Nazis´, weil das noch zu einem Zeitpunkt war, bevor Hitler seine berüchtigte Antithese des `Nationalsozialismus´ erfunden hatte -, sagte einmal: `Wer seine Kinder in Furcht erzieht, und sei es in der Furcht vor Gott, begeht eine unverzeihliche Sünde an den kommenden Generationen.´ Rathenau, der der meistgefährdete Mensch von ganz Deutschland war, glaubte nur an eine einzige Tugend: an den inneren Wert. Er war ein Revolutionär, ein Anarchist sogar, ohne dies zu wissen. Er hielt sehr viel von der individuellen und der universellen Freiheit, weshalb er dann auch von den Faschisten umgebracht wurde. (…) Die echte Demokratie, die wir auf sozialem Gebiet anstreben, müssen wir vorher bereits im Familienleben verwirklichen. Ein Kind, das daran gewöhnt ist zu überzeugen und sich von anderen überzeugen zu lassen, wird später im sozialen Bereich nie danach trachten, anderen zu befehlen oder ihnen etwas aufzuzwingen. Aus diesem Grund wiederhole ich Rathenaus Gedanken, nur mit anderen Worten: Liebe Eltern, wenn ihr für die Revolution seid und für den libertären Geist, dann beseitigt die Angst, die Strafe und die Drohung aus euren Häusern, aus euren Familien und aus der Erziehung eurer Kinder. Macht aus ihnen wertvolle Menschen, Menschen ohne Angst, freie Menschen.“ (S. 102)

Einige kurze biographische Daten zu Etta Federn seien hinzugefügt: 1938 floh die 55-jährige aufgrund der massiven Bombardierung Barcelonas nach Paris. Gemeinsam mit ihren beiden Söhnen schloss sie sich der Resistance an und überlebte in einem Versteck. Einer ihrer Söhne kam 1944 bei einem Gefecht ums Leben. 1951 verstarb sie in Paris, nachdem sie zuvor noch als Mutter eines verstorbenen Resistancekämpfers vom französischen Staat geehrt worden war.
Der im Jahr 2007 verstorbene Ernst Federn, Pionier einer Psychologie des Terrors, bemerkt in seinem Vorwort zu „Etta Federn: Revolutionär auf ihre Art“:

„Etta Federn entsprang einer an die bürgerliche Gesellschaft angepassten jüdischen Familie, die versucht hat, sich völlig zu assimilieren; teils durch Taufe, teils durch Aufgeben alles jüdischen Verhaltens. (…) Diese Assimilationsbewegung war in Berlin und Wien um die Jahrhundertwende und nach dem 1. Weltkrieg sehr stark, verlor aber durch Hitlers Machtergreifung ihre historische Bedeutung. Etta Federn lebte diese Assimilierung, hatte nie Geld und wurde von reichen Verwandten in den Vereinigten Staaten Zeit ihres Lebens unterstützt. Als ihr jüngster Neffe freue ich mich sehr, dass ihr Name heute der Vergangenheit wieder entrissen wird.“ (S. 9f.)

Marianne Kröger (Hrsg.): Etta Federn: Revolutionär auf ihre Art. Von Angelica Balabanoff bis Madame Roland – 12 Skizzen unkonventioneller Frauen, Giessen 1997.

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