Tuvia Tenenbom erkundet Israel…
Rezension von Galina Hristeva
„Mein Name ist Tuvia. Ich wurde in Israel geboren und wuchs dort in einer ultraorthodoxen, antizionistischen Familie im seinerzeit elitärsten ultraorthodoxen Umfeld auf. Mein Vater war Rabbiner, wie so viele der Väter unserer Nachbarn. Wir waren die Stellvertreter Gottes auf Erden. Mein Großvater hatte sich geweigert, nach Israel zu gehen, weil er nicht unter Zionisten leben wollte, wofür die Nationalsozialisten ihn und den Großteil seiner Familie damit belohnten, dass sie sie an Ort und Stelle umbrachten…“
Tuvia Tenenbom, der Autor des hier zitierten Bekenntnisses, studierte wie seine Vorfahren zuerst ebenfalls eifrig „Gottes Gesetze“, um dann aber „Satan in die Falle“ zu gehen und sich in den USA Wissenschaft und Kunst und vor allem dem Theater zu verschreiben. Seine ‚theatralische Sendung‘ beweist Tenenbom – der Gründer des Jewish Theater of New York – auch während einer mehrmonatigen, von Nostalgie, Wissbegier und Abenteuerlust geprägten Reise nach Israel, die er 2013-2014 machte.
Wer sich für das „endlose Labyrinth des Heiligen Landes“ interessiert, kann Tenenbom getrost auf seiner 55 Stationen umfassenden Reise folgen. Langweilig wird es nie – und dies nicht nur wegen der umwerfenden Schönheit der beschriebenen Landschaften (seien dies die Golanhöhen, das Westjordanland oder die Wüste Negev), des feierlich-geheimnisvollen Klangs der Namen der historischen Orte und der überwältigenden Fülle an Begegnungen mit Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. ,Lustprämien‘ gibt es im Buch auch in Hülle und Fülle: von den lebendigen Dialogen und dem von Witz und guter Laune sprühenden Narrativ bis zu den zahlreichen Fotos, worunter sich sogar ein Bild Tenenboms mit zwei Tel Aviver Prostituierten befindet. Humor gibt es im Buch ebenfalls zuhauf. Richtig dramatisch wird die Darstellung aber erst durch Tenenboms kühne Methode: unermüdlich, voller Leidenschaft und keineswegs risikofrei schlüpft der weltgewandte Polyglott mal in die Rolle eines Deutschen, der sich Tobi nennt, mal in die Rolle eines Arabers, sodass sich aus seinen Verkleidungsexperimenten eine Anzahl lustiger und spannender Situationen ergibt.
„Das hier ist der Nahe Osten. Kein Ausländer wird ihn je verstehen.“ Mit seinen Verkleidungstricks und einer großen Prise List erhält der Journalist Tenenbom Zutritt zu Personen und Orten, den man einem Juden schlichtweg verweigert hätte. So avanciert er zum guten Freund des charmanten Palästinenserführers und Politikers General Dschibril ar-Radschub, der für die Palästinenser „eine lebende Legende“, für die Israelis „ein Terrorist“ ist. Dank solcher Taktiken wird auch der Leser, zu dem der Autor immer einen regen Kontakt unterhält, ‚miteingeschmuggelt‘ und erhält einen tiefen Einblick in die israelische Gesellschaft. Auch wenn man Tenenboms Aussage „In diesem Land kennt man sich einfach nie aus.“ zustimmen muss, bringt das Buch den Leser in seinem Verständnis dieses außergewöhnlichen Landes ein ganzes Stück weiter.
Tenenboms amüsantes Buch ist brillante Reiseliteratur – kulinarische Tipps eingeschlossen (Vgl. etwa: „Die hiesigen Käsesorten und die Milch aber, das versichere ich Ihnen, sind allein schon die Reise wert.“) – und doch übersteigt es deutlich dieses Genre, wie auch die Verkleidungsspiele, die der Autor betreibt, nicht zweckfrei sind. Hinter Lederhose und arabischem Umhang, hinter der lustigen Fassade verbirgt sich ein kluger, hartnäckiger, unnachgiebiger Entlarver von Illusionen, von unhinterfragt angenommenen Halbwahrheiten, von Mythen und „Sprüchen“ sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite. Tausende von Fragen durchziehen das Buch des „Meisteragenten“ Tenenbom und treiben seine Gesprächspartner oft „in den Wahnsinn“, z.B. wenn er die palästinensische Christin Nadja – eine mit einem Moslem verheiratete Sängerin – kompromisslos durchleuchtet. Was sich aus diesem Interview herauskristallisiert, ist Nadjas enormer Hass auf Israel – auf das Land, das ihr ermöglicht hat, „einige Jahre“ an der Hebräischen Universität in Jerusalem und danach „fünf Jahre lang Musik an der Jerusalemer Akademie für Musik und Tanz“ zu studieren. Dass Nadja kostenlos studieren durfte, betrachtet sie aber als Pflicht der israelischen Besatzer, wie Tenenbom staunend zu hören bekommt: „Besatzer müssen einen Preis für ihre Besatzung zahlen: Sie müssen für die Krankheitskosten, Ernährung und höhere Bildung aufkommen.“
„Allein unter Juden“ entpuppt sich als eine erschütternde, viele frappante und beunruhigende Einsichten eröffnende Reisereportage auf den Spuren und zu den Wurzeln des Judenhasses. Ein echter „Tanz über Minen“ – auch in „ausgestorbenen“, von Zerstörung und Elend gezeichneten Gegenden wie dem jüdischen Ghetto in Hebron, das in grellem Kontrast zu den „reizenden Straßenzügen“ und Prachthäusern auf der arabischen Seite Hebrons steht und das Bild von den Israelis als „gnadenlosen Besatzern“ relativiert. Juden sind in vielen Teilen Israels unerwünscht und werden im eigenen Land ausgegrenzt – das lernen wir mit Tenenbom aus seinen Gesprächen mit Einheimischen, beispielsweise in Nazareth, wo „kein Jude lebt“ und wo niemand sein Haus je an einen Juden verkaufen würde. Juden werden „aller erdenklichen Schlechtigkeiten“ beschuldigt. Davon ausgenommen ist nicht einmal der Wegbereiter des Staates Israel Theodor Herzl, dem man eine Syphilis ankreidet. Was aber alles noch schlimmer macht, ist der jüdische Selbsthass, der einige Juden dazu treibt, Öl ins Feuer der Judenfeinde zu gießen.
Tenenbom macht in seinem Buch keinen Hehl daraus, wer die Judenfeinde sind. Sie haben im Buch ein konkretes Gesicht – die Vertreter mehrerer NGOs aus der ganzen Welt, die sich in Israel regelrecht tummeln und ein unverhältnismäßig starkes Engagement im Vergleich zur tatsächlichen Größe dieses kleinen Landes an den Tag legen. Tausende von NGOs pumpen unaufhörlich Geld in die palästinensische Wirtschaft. Eine NGO-Mitarbeiterin klärt Tenenbom über Palästinas Verhältnis zu den NGOs auf: „In Palästina besteht die Wirtschaft aus NGOs. Palästina ist ein NGO-Land […] Hier wird praktisch nichts fabriziert, hier wächst nichts und wird nichts produziert außer für NGOs“. Die Frau macht sich Sorgen um Palästinas Zukunft: „Eines Tages werden die NGOs abziehen, und dann haben wir nichts. Es ist nicht gesund für ein Land, von Almosen zu leben.“ Tenenboms bittere Bilanz: Die NGOs machen sich auch den jüdischen Selbsthass zunutze, um Israel zu untergraben: „Die NGOs suchen das Land nach den ˃besten˂ Juden ab, den Ex-Juden, die mit Sicherheit am schlechtesten über Israel und seine Juden sprechen.“ Für Morde, die Araber an Juden verüben, haben diese Organisationen aber ein taubes Ohr. Zu den Höhepunkten des Buches gehört insbesondere die heftige Kritik Tenenboms an den Aktivitäten und Machtpraktiken des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK).
Schnell erfährt man außerdem, dass auch Deutschland „große Summen in den Aufbau des palästinensischen Staates investiert.“ Eine Investition, die sich lohnt, denn – wie Tobi der Deutsche am eigenen Leib feststellen kann: „Der Gott des Islam liebt die Deutschen“. Die Einmischung Deutschlands in die inneren Angelegenheiten Israels ist einer der Brennpunkte im Buch. So lautet der Titel der 46. Station von Tenenboms Reise: „Raten Sie mal, welches Land am meisten Steuergelder für antiisraelische Kampagnen ausgibt?“ In mehreren Gesprächen mit Einheimischen, mit Vertretern von deutschen NGOs, von Stiftungen und politischen Parteien untersucht Tenenbom Deutschlands Unterstützung für die Palästinenser und stellt angesichts des überragenden Engagements Deutschlands in Israel die Frage: „Wie kommt es, dass der durchschnittliche Deutsche sein Geld lieber für die endlose Jagd nach einem Juden ausgibt als für ein angenehmes Wochenende in Florida oder Bad Gastein?“ Wie andere NGO-Vertreter reisen auch deutsche NGO-Aktivisten „tausende von Kilometern, um den Juden zu erwischen – wo immer sie ihn finden“.
„Catch the Jew!“ – wie „Allein unter Juden“ im amerikanischen Original heißt – ist ein Buch mit vielen Fakten und Befunden, ein Buch über Krieg und Frieden, über anti-israelischen Aktivismus, Antisemitismus und den abgrundtiefen Judenhass. Mögen manche Bilder und Schlussfolgerungen auf den ersten Blick etwas übertrieben wirken, z.B. die Metapher von der Judenjagd, so bleiben einem doch das Bild der im PLO-Hauptquartier in Ramallah hängenden Landkarte „Palästina 1948 (das heißt ohne Israel)“ oder von Silwan, einem ausschließlich arabischen, „judenfreien“ Viertel in Jerusalem, im Gedächtnis haften. Sie wirken der Schwarz-Weiß-Malerei bei der Betrachtung der Nahostkonflikte entgegen und laden zu kritischer, vorurteilsfreier Überprüfung der Lage in Israel ein. Die Zukunftsängste der Israelis um ihr Land und Tenenboms Sorge, dass der Frieden nur „ein Traum“ sein könnte, strömen aus allen Poren dieses Buches und gipfeln im bestürzenden Finale: „Mitzuerleben, wie die Europäer, von den Deutschen ganz zu schweigen, enorm viel investieren und sich unablässig bemühen, um das Leben der Juden in diesem Land, in Israel zu untergraben, war eine extrem verstörende Erfahrung. Von Arabern mit Liebe überschüttet zu werden, nur weil sie mich für einen Arier hielten, einen Deutschen, war ausgesprochen unbehaglich. Die Juden zu beobachten und zu sehen, wie ohnmächtig sie sind, selbst jetzt, wo sie einen eigenen Staat haben, war qualvoll.“
„Aufgeladen in jedem einzelnen Quadratmeter“ – so stellt uns Tenenbom dieses großartige Land, Israel, dar – und so ist auch sein Buch: ergreifend, brisant, zündstoffgeladen.
Tuvia Tenenbom: Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel. Aus dem Amerikanischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag Berlin 2014. 473 S., € 16,99, Bestellen?
Diese Rezension erschien zuerst am 3.3.2015 auf literaturkritik.de.
Ein wahrlich seltsam lobende Besprechung für ein Machwerk, das jeden Kritiker als Antisemit und Judenhasser denunziert.
Wäre nicht ein ordentlicher Verriss und Warnung eher geeignet?
Sind wirklich alle Menschenrechtsorganisationen, die in Israel und in den Besetzten Gebieten arbeiten Israels Feinde?
Kritischer Leser
Eine Rezension, der ich zustimme. Habe dieses Buch mit schmunzeln, entsetzt und interessiert gelesen. Der Autor nimmt auf seiner spitzen Feder die extremen Positionen vieler der dort Lebenden aufs Korn und gewinnt dabei Einsichten, andere, als sie bisher oft zugänglich sind. Mancher wird den Autor, dem offensichtlich der Eulenspiegel ein Vorbild ist, wegen seiner Respektlosigkeit ablehnen.
Meine Empfehlung: Lesen.
Die Lederhose dieses Tannenbaums entspricht wohl seiner politischen Gesinnung. Ist der geistige Riese bereits in der CSU oder soll man ihm einen Aufnahmeantrag übermitteln?
Bei der Kritik an den ausländischen NGOs denkt man unwillkürlich an die gleichartige Moskauer Gangart unter Wladimir Putin. Die wird in Israel nicht nur von dem ehemaligen moldawischen Türsteher Avigdor Liebermann, sondern auch von dem an der Bar-Ilan Universität lehrenden Politikwissenschaftler Gerald Steinberg vertreten, der akademischen Speerspitze der rechten Politikszene im Lande. Vermutlich zählt Tuvia zu ihren Duz-Freunden.
Nicht nur David Ben-Gurion würde sich im Grabe umdrehen…
Allein der Satz:
„Wie kommt es, dass der durchschnittliche Deutsche sein Geld lieber für die endlose Jagd nach einem Juden ausgibt als für ein angenehmes Wochenende in Florida oder Bad Gastein?“ Wie andere NGO-Vertreter reisen auch deutsche NGO-Aktivisten „tausende von Kilometern, um den Juden zu erwischen – wo immer sie ihn finden“
trifft präziser den Nagel auf den Kopf.
Herzlichen Dank für den Buchtipp!!
Kein Wunder, dass viele meiner christlichen Brüder und Schwestern nach der Lektüre des Buches ihren nervous breakdown haben.
Allein schon die Schnappatmung der Herren Frankenstein und Kochen sind ein Beweis für die Qualität dieses Buches!
Hier ein spannendes interview mit Tuvia Tenenbom:
https://www.youtube.com/watch?v=ogoKPg3TYHk