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„… nicht den Anspruch, die Geschichte der Polizei umfassend aufzuarbeiten…“

Publikation und Ausstellung über die Münchner Polizei in der NS-Zeit…

Die Münchner Polizei und der NationalsozialismusIm Jahr 2009 kontaktierte das Polizeipräsidium München die Leitung des im Aufbau befindlichen NS-Dokumentationszentrums. Die Weichen für diesen zukünftigen Lern- und Erinnerungsort wurden bereits 2001 vom Münchner Stadtrat gestellt; voraussichtlich 2015 soll eröffnet werden. Beide Institutionen haben sich zum Ziel gesetzt, die Ursachen und Auswirkungen des Nationalsozialismus in der „Hauptstadt der Bewegung“ zu erforschen – die einen umfassend, die anderen reduziert auf ihre eigene Geschichte.

Während das geplante Dokumentationszentrum außer Personalquerelen bislang kaum handfeste Ergebnisse präsentieren kann, erkannte der Arbeitskreis „Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus“ – ihm gehörten Mitarbeiter des Polizeipräsidiums und des NS-Doku-Zentrums an – schnell, „welche wichtige Rolle die Polizei für die Etablierung und die Aufrechterhaltung des NS-Regimes gespielt hat und wie zentral ihre Bedeutung bei der Umsetzung der ausgrenzenden, diskriminierenden und vernichtenden Politik der Nationalsozialisten war.“ Respekt!

Vor mittlerweile über 20 Jahren legte der renommierte US-Historiker Christopher Browning seine Untersuchung „Ganz normale Männer“ über die Verbrechen der deutschen Polizei im Nationalsozialismus vor. Seit dieser Zeit beschäftigen sich auch zahlreiche hiesige Wissenschaftler mit diesem lange Zeit verdrängten Kapitel der jüngsten deutschen Vergangenheit. Offensichtlich scheinen die historisch interessierten Polizisten und die professionellen Geschichtsforscher das nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Im Literaturverzeichnis des Ausstellungsbandes findet der Leser weder Brownings Standardwerk noch andere grundlegende Veröffentlichungen zum Thema.

Ungeachtet dieser Versäumnisse haben sich die Autoren ehrlich bemüht. Die etwas über 200 Seiten umfassende Publikation erzählt die Geschichte der Polizei nicht erst ab der „Machtübernahme“, sondern beschreibt bereits die blutige Niederschlagung der Räterepublik nach dem Ersten Weltkrieg sowie die Sympathie für die faschistoiden Freikorpsverbände, das Erstarken der völkischen Bewegung und ihre Verstrickungen mit der staatlichen Ordnungsmacht. Damit werden Entwicklungslinien nachgezeichnet, die letztlich darin mündeten, dass die Polizei zum integralen Bestandteil des NS-Vernichtungsapparates wurde. Dabei wird die Übernahme der Polizei durch die Nationalsozialisten thematisiert und auf die Karriere von Münchens erstem NS-Polizeipräsidenten hingewiesen, die hier ihren Anfang nahm – Heinrich Himmler auf dem Weg zum Reichführer SS und Chef der deutschen Polizei.

Alle Polizeisparten waren an der Verfolgung derjenigen beteiligt, die als Gegner des Regimes, als „Volksfeinde“, betrachtet wurden, sei es im Reich oder in den besetzten Ländern. Ein Kapitel widmet sich deshalb auch der sogenannten Partisanenbekämpfung, d. h. den Verbrechen an der Zivilbevölkerung, an dem viele Tausend von Münchner Polizisten beteiligt waren. Eine Grafik informiert über 16 Verbände, in denen „mindestens eine Kompanie Münchner Polizisten“ tätig war. Leider erfährt man kaum etwas über die Aktionen der Truppen – obwohl die Sekundärliteratur darüber Auskunft gibt! Als Beispiel hierfür steht das Reserve-Polizeibataillon 72: Nach ihrer Ankunft in Tschenstochau befanden sich viele Polizeioffiziere „in einem Blutrausch“. Mit Hilfe „von oder unter dem Schutz der deutschen Polizei“ wurde die Synagoge angezündet. Im Dezember 1939 holten die Männer „nachts bei eisiger Kälte etwa 250 Juden auf die Straße“ und „führte die Menschen nach einigen Stunden in eine Schule“. Dort mussten sie sich nackt ausziehen und insbesondere die Frauen wurden, auf der Suche nach Gold „von den Polizisten u. a. in den Geschlechtsteilen untersucht.“ Zudem liegen Hinweise vor, dass „das Bataillon etwa im Juni 1940 in Palmiry bei Warschau ungefähr 100 bis 125 polnische Zivilisten exekutierte“. Nachzulesen sind diese und andere Fakten in der Publikation von Wolfgang Curilla, „Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei“.

Abschließend wird die Nachkriegszeit behandelt und der Leser erfährt, wie nahtlos viele Karrieren weitergingen. Nun dienten die Polizisten wieder als angesehene „Schutzmänner“ auf den Straßen von München, andere waren bei der Kriminalpolizei, dem Grenz- oder beim Verfassungsschutz tätig. Der frühere Kommandeur der Schutzpolizei und Mitglied der SS, Martin Riedmayr, brachte es 1954 sogar zum Präsidenten des Bayerischen Landsamtes für Verfassungsschutz. Sein Kollege, Kriminalrat Franz Straub, ehemals Gestapochef in Brüssel, trat 1952 wieder in den Dienst der Bayerischen Grenzpolizei ein.

Trotz mancher Schwächen ist die als Ergänzung zur gleichnamigen Ausstellung konzipierte Veröffentlichung als Einstieg ins Thema „Polizei in der NS-Zeit“ sowie als lokalhistorische Zusammenschau zu empfehlen. Allerdings schreiben die Macher, dass sie nicht den Anspruch hätten, die Geschichte der Münchner Polizei umfassend aufzuarbeiten und darzustellen – obwohl sie sich jahrelang mit ihr beschäftigt hatten. Es sollte vielmehr ein grundlegender Überblick, „basierend auf bereits bekannten, einzelnen Aspekten“ erstellt werden. Warum dann aber die umfangreiche Sekundärliteratur nicht aufgeführt wird, bleibt das Geheimnis der Autoren.

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. Mai 2014, täglich von 8 bis 23 Uhr, im Foyer des Gasteig, in der Rosenheimer Straße 5 in München zu sehen. Der Eintritt ist frei! (jgt)

Joachim Schröder (Hg.), Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus, Essen 2013, 208 Seiten, 18,95 €, Bestellen?

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