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Rezeptionen des Nationalsozialismus in Syrien und dem Libanon, 1933-1945

"Ich sah den Mördern in die Augen! Die letzten Jahre und der Tod von Rudolf Hess" — so lautet der Titel eines Buches, das von Abdallah Melaouhi von der "Tunesischen Vereinigung in Berlin e.V." verfasst wurde. Melaouhis Buch sorgte für einige Aufmerksamkeit, schliesslich vertritt er die These, der Kriegsverbrecher Rudolf Hess sei 1987 von den Alliierten ermordet worden. Das Gedenken an Hess als Märytrer zählt seit Jahren zu den zentralen Themen rechtsextremer Propaganda…

ufuq.de, 18.02.2009

Melaouhi war zwischen 1982-1987 im Spandauer Gefängnis als Krankenpfleger des ehemaligen "Stellvertreters des Führers" tätig. Auch deswegen stiess sein Buch in rechtsextremen Kreisen auf breites Interesse. Unter dem Titel "Wahrheit macht frei – ein Augenzeuge meldet sich zu Wort" tourte Melaouhi im vergangen Jahr durch Deutschland, um im Rahmen von Veranstaltungen mit NPD-Ortsvereinen, Kameradschaften und Burschenschaften über die letzten Jahre des Altnazis zu berichten. (Siehe dazu eine Presseerklärung des Migrations- und Integrationsbeirat Spandau, in dem Melaouhi bis Sommer 2008 vertreten war. Der Migrations- und Integrationsbeirat zeigte sich empört über Melaouhis Kontakte in die neonazistische Szene und beantragte im Juli 2008 die Abberufung Melaouhis aus dem Beirat.)

Was macht die Faszination aus, die rechtsextreme Thesen auf jemanden wie Melaouhi ausüben? Diese Frage wurde in der Vergangenheit am Beispiel islamistischer und arabisch-nationalistischer Gruppierungen diskutiert, die sich auf die extreme Rechte beziehen. (Zum Beispiel im Themenheft der Zeitschrift Der Rechte Rand sowie im ufuq Newsblog.) Dabei wird immer wieder auf vermeintliche Parallelen zwischen arabischem Nationalismus, Islamismus und Nationalsozialismus hingewiesen. Dass die Rezeption des NS in der arabischen Welt jedoch durchaus vielfältig und widersprüchlich war, zeigt das gerade erschienene Buch „Nazism in Syria and Lebanon. The ambivalence of the German option, 1933-45„.

Die These des Buches lautet: Für die Mehrzahl der syrischen und libanesischen Beobachter war der Nationalsozialismus keineswegs zwangsläufiger Bündnispartner im Kampf gegen die französischen und britischen Mandatsmächte. Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war vielfach geprägt von Interesse und Faszination, was deutliche Vorbehalte und scharfe Kritik an zentralen Elementen der nationalsozialistischen Ideologie und Politik allerdings keineswegs ausschloss. Während der autoritäre Nationalismus für viele Kommentatoren als wegweisendes Beispiel einer nationalen Erneuerung erschien, stiessen die Rassenlehre und der offenkundige Expansionismus des Nationalsozialismus auf breite Ablehnung.

Ganz ähnlich fielen die Reaktionen auf den Antisemitismus und die antijüdischen Verfolgungen aus: Während die antijüdischen Massnahmen in Teilen der Öffentlichkeit mit Schadenfreude und bisweilen ausdrücklicher Zustimmung beobachtet wurden, zeigten sich andere Kommentatoren entsetzt über die willkürlichen Repressionen und die staatlich gelenkte Gewalt gegen die Juden. Der Nationalsozialismus erschien dabei nicht selten als unmittelbare Bedrohung auch für die Gesellschaften des Nahen Ostens.

Die Diskussion um den Nationalsozialismus in den 30er und frühen 40er Jahren spiegelte den Selbstverständigungsprozess, in dem sich die Gesellschaften unter französischer Mandatsherrschaft nach dem Ende des Osmanischen Reiches befanden. Der Wunsch nach Restauration, Reform oder Revolution verband sich hier mit ganz unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen, die von den jeweiligen Strömungen verfochten wurden: vom Sozialismus über die parlamentarische Demokratie bis hin zum Kalifat. Der Nationalsozialismus bot bei dieser Suche nach einer gesellschaftlichen Ordnung einen möglichen Anknüpfungspunkt. Die autoritären Modernisierungsprojekte in der Türkei und im Iran, die Sowjetunion und die Erfahrungen der Front Populaire in Frankreich waren weitere Modelle, die kontrovers diskutiert wurden.

Aus heutiger Sicht erscheint vielleicht gerade die Vielfältigkeit der Positionen in diesen Auseinandersetzungen überraschend. Während in der Literatur über die arabischen Beziehungen zum Nationalsozialismus meist besonderes Augenmerk auf die Rolle von Personen wie dem palästinensischen Mufti Hadj Amin Al-Husayni gelegt wurde, die mit dem Nationalsozialismus in vielfältiger Weise kooperierten, gerieten andere Stimmen weitgehend in Vergessenheit — dabei wären die Argumente vieler Autoren, die in den 30er und 40er Jahren aus unterschiedlichen Erwägungen gegen den Nationalsozialismus Position bezogen, auch heute noch aktuell. Schliesslich waren es nicht zuletzt die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, in denen sich reform-islamisches, liberal-demokratisches und sozialistisches Denken schärfte.

nordbruch
Götz Nordbruch:
Nazism in Syria and Lebanon. The Ambivalence of the German Option, 1933-1945
Osas/Routledge Studies in the Middle East, 2009
Geb., 209 S. , Euro 90,99

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Götz Nordbruch, der Autor des Buches, ist Mitbegründer des Vereins ufuq.de und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Contemporary Middle East Studies an der Universität of Southern Denmark, Odense.

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