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Wenn aus Naziflaggen Hosen werden

Ein Buch über das „internationale Kinderzentrum Kloster Indersdorf 1945–1946″…

Von Ramona Ambs

„Ich sah riesige Rollen von rotem Stoff, das Material für Naziflaggen gewesen war, und es gab riesige Rollen mit blau-weiß-kariertem Stoff, den die Deutschen für Bettwäsche benutzt hatten. Wir entwarfen ein rotes Herz auf blau-weißer Hose und eine rote Hose mit einem blau-weiß-karierten Herz. Die Kinder sahen hinreißend aus, so wie französische Seeleute.“ So berichtete Greta Fischer, Sozialarbeiterin der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die sich um die Kinder kümmerte, die im Kloster Indersdorf, dem „International D.P. Children’s Center“, direkt nach der Schoa aufgenommen wurden. Und während aus den Naziflaggen Kinderkleider genäht wurden, erzählten die traumatisierten Kinder und Jugendlichen pausenlos über das Erlebte.

„Wir krochen unter die Haufen aufgeschichteter Leichen und bewegten ihre Arme, so dass Vorübergehende erschraken“, erzählte der zwölfjährige Toddy, der das KZ Dachau überlebt hatte. „Das war lustig! Es sah so aus, als ob sie ‚Heil Hitler‘ machten oder ‚Lebewohl‘ winkten.“ Es sind viele solcher Geschichten. Es sind Geschichten vom Weg „Zurück ins Leben“. Geschichten von Kindern, die aus Konzentrationslagern kamen. Geschichten von Kindern, die nirgendwoher kamen. Geschichten von Kindern und ihrer Traurigkeit.

Anna Andlauer hat die Geschichten dieser Kinder, die unmittelbar nach der Schoa ins Kloster Indersdorf gekommen waren, nun gesammelt und aufgeschrieben: „Die meisten hatten gelernt, wie lebensverbessernd oder gar lebenserhaltend es war, die persönlichen Auskünfte den jeweiligen Situationen anzupassen. Es konnte vorkommen, dass ein Jugendlicher erst nachdem er sich an die Umgebung gewöhnt und genügend entspannt hatte, um frei zu sprechen, sachdienliche Hinweise zu seiner Identifizierung enthüllte“. Doch nur, wenn man wusste woher die Kinder kamen, konnte man versuchen, sie in ihre Familien zurück zu vermitteln oder eben ein neues Zuhause für sie zu finden.


Kinder und Jugendliche im Speisesaal. (c) Antogo Verlag

Greta Fischers Aufzeichnungen, die das „Brennen nach Leben“ dieser verlorenen Kinder protokollierten, sind neben den Interviews mit den Überlebenden, die Andlauer aufspürte, Grundlage des Buches. Fischer sah in ihren „Erfahrungen mit diesen traumatisierten Heranwachsenden vor allem den Beweis für die Resilienz des Menschen und den unbeugsamen Mut des menschlichen Geistes“. Gleichzeitig wird deutlich, wie überfordert die Klosterschwestern teilweise mit dem Schmerz der Kinder waren. „Die Freiwilligen der UNRRA waren auf diese psychisch schwer verletzten Menschen nicht vorbereitet, die mit monotonen oder völlig überdrehten Stimmen von unfassbaren Gräueln berichteten. Den Barmherzigen Schwestern ging das Verhalten eines 17-jährigen polnischen Juden besonders nahe, den sie als ‚äußerst gutmütigen, intelligenten Jungen‘ beschrieben. Dieser hatte im KZ, als seine Eltern, besonders seine Mutter, verbrannt wurden, seinen klaren Verstand verloren. „Es war oft ein jämmerliches Bild, wenn dieser junge, nette Mensch halbe Nächte auf den Steintreppen im Kloster saß und weinte und klagte wie ein kleines Kind.“


Greta Fischer assistiert Kleinkindern beim Essen. (c) Antogo Verlag

Der größte Schatz in diesem Buch sind die zahlreichen Bilder der Kinder und ihres Alltags im Kloster. Selten gibt es so viel authentisches Bildmaterial aus dieser Zeit in einem Buch zusammengefasst. „Ich danke allen Überlebenden für ihre bewegenden Berichte, Fotos und Dokumente. Ich bin dankbar für die vielfältigen Zeichen der Freundschaft und hoffe, dass ich ihnen in dieser Darstellung gerecht werde“, schreibt Anna Andlauer in ihrem Vorwort.

Nach der Lektüre des Buches mag man ihr versichern: ja, man liest die Zuneigung in jeder Zeile und versteht.

Anna Andlauer, Zurück ins Leben. Das internationale Kinderzentrum Kloster Indersdorf 1945–1946, Antogo Verlag 2011, 189 Seiten, 22 x 14 cm, 114 Abb., Pb, ISBN 978-3-938286-40-1, 17,90 EUR [D], Bestellen?

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