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Ungarn im Umbruch

Der 1929 in Ungarn geborene Paul Lendvai ist vielleicht der österreichische Journalist, der die unmittelbare Nachbarschaft Österreichs im Osten und Süd-Osten am besten kennt. Bereits in den frühen 70er Jahren hat er das Buch „Antisemitismus ohne Juden“ verfasst, in dem er den von oben kommenden Antisemitismus in den Ländern des „realen Sozialismus“ beschrieb, womit er sich in der Region nicht nur Freunde machte. Auch sein jüngstes Buch „Mein verspieltes Land / Ungarn im Umbruch“ wird ihm nicht die Sympathien der jetzt regierenden völkischen Fidesz-Partei einbringen…

Rezension von Karl Pfeifer

Lendvai macht auf die verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierungen Orbán und Medgyessy sowie Gyurcsánys aufmerksam, die dazu führte, dass Ungarn bis 2009 weit davon entfernt blieb, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, d.h. unter anderem nach diesem 1992 geschlossenen Vertrag, darf das öffentliche Defizit nicht 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und der öffentliche Schuldenstand nicht 60 Prozent des BIP übersteigen.

Er wirft auch einen kritischen Blick auf die Fidesznahen Medien, die wie seinerzeit in den Volksdemokratien üblich, keine der großen kritischen Reportagen aus dem Westen abdrucken. „Nur in den im weinerlichen oder empörten, spöttischen oder aggressiven Stil verfassten gelegentlichen Zusammenstellungen werden einige Sätze aus dem Zusammenhang gerissen und oft verzerrt zitiert.“ Abgesehen von den Diplomaten und den wenigen sprachkundigen Fachreferenten, erfährt die völkische Elite praktisch nichts davon, wie die westlichen Medien Ungarn sehen. Die Tatsache, dass in einigen Medien, die der Fidesz nahe stehen, antisemitische Hetze betrieben wird, stört diese Elite nicht, denn die Tageszeitung „Magyar Hirlap“, das Wochenmagazin „Magyar Demokrata“ und das „Echo TV“ dienen Fidesz zur Einbindung von radikalen, extremistischen und rassistischen Wählern.

„In der verkehrten Welt der ungarischen Medien wäre ein Sender wie Radio Freies Europa (RFE), der Tag und Nacht die Ungarn (wie auch andere Osteuropäer) in ihrer Muttersprache informiert hatte, von großer Bedeutung.“

Paul Lendvai beendet sein von Sorge um sein Geburtsland getragenes Buch mit dem Karl Kraus Zitat: „Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch“. Für solche „Spitzfindigkeiten“ haben die provinziell denkenden und handelnden Elemente der Fidesz wenig Verständnis. Denn in einem Land, in dem die „mit Orbán persönlich befreundeten, weitaus reichsten ungarischen Forintmilliardäre von Spitzenbankiers bis zu den Großindustriellen und Ölbaronen fast alle Fäden in der Hand haben“ kann man mit den „von Orbán und seinen Getreuen am laufenden Band verbreiteten Phrasen eines völkischen Antikapitalismus gegen die heimischen Oligarchen und die fremden Spekulanten und über den Schutz der „fleißig arbeitenden ungarischen Menschen“ diesen das Fell über die Ohren ziehen.

Und so dürfen wir uns auch nicht wundern, dass eine Präsentation dieses wichtigen Buches über unser Nachbarland, das in der österreichischen Botschaft in Berlin hätte stattfinden sollen, kurzfristig abgesagt wurde. Anscheinend, ist dem der ÖVP angehörenden sympathischen Aussenminister Michael Spindelegger die Solidarität mit der völkischen Schwesterpartei wichtiger als die von ihm postulierte Betonung der Meinungsfreiheit.

Doch gerade Paul Lendvai hat in seinem fundierten und gut lesbaren Buch auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die davon ausgehen, dass in Ungarn Chauvinismus, Rassismus und ungehemmter Antisemitismus fröhliche Urständ feiern. Wir können gespannt sein, ob wenigstens während dem halben Jahr der ungarischen EU-Präsidentschaft diese Ismen – schon um das eigene Image zu verbessern – zurückgedrängt werden.

Das hoch aktuelle Buch soll in ungarischer Sprache im Februar 2011 in Budapest vorgestellt werden.

Paul Lendvai: Mein verspieltes Land: Ungarn im Umbruch
Ecowin Verlag Salzburg, 2010, Euro 23,60, Bestellen?

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