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Jüdische Ärzte in Frankfurt am Main 1933-1945: Isolation, Vertreibung, Ermordung

Bereits am 24.03.1933, unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers, wurden die ärztlichen Spitzenverbände gedrängt, jüdische Mitglieder aus ihren Vorständen und Ausschüssen zu entfernen und durch nichtjüdische Ärzte zu ersetzen. Mit der Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22.04.1933 wurde den jüdischen Ärzten im gesamten “Deutschen Reich” die Kassenarzttätigkeit verboten…

von Birgit Drexler-Gormann

Eine Neuzulassung jüdischer Ärzte wurde endgültig unmöglich. Die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen stellten Listen auf, welche jüdischen Ärzte von der Kassenzulassung ausgeschlossen werden sollten. Diese sowie zahlreiche folgende Verordnungen und Erlasse zerstörten die Existenzgrundlage der jüdischen Kolleginnen und Kollegen.

Ausgrenzung und Isolation, Verarmung und Flucht in die Emigration

Auch wenn viele ihrer Einspruchsverfahren gegen diese Maßnahmen zunächst erfolgreich waren – anfangs schützte zum Beispiel noch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Soldat -, führten weitere Verordnungen, Gesetze und Anordnungen von Stadtregierungen, Behörden, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und betriebsmedizinischen Stellen, aber auch von Konzernleitungen und den Universitäten innerhalb weniger Jahre zur Existenzvernichtung. Zusätzliche Geldforderungen des Reichs, zum Beispiel nach dem reichsweiten Pogrom am 8. und 9. November (“Reichskristallnacht”), führten – als Sondersteuer oder Kontributionszahlungen getarnt – zum ökonomischen Zusammenbruch vieler jüdischer Arztfamilien.
Der durchschnittliche Anteil der “nichtarischen” Ärzte an der Gesamtzahl der Kassenärzte im Reichsgebiet sank kontinuierlich: von zunächst 16,5 % im Jahr 1933 auf 11,4 % im Jahr 1935. In Großstädten, insbesondere Berlin, Frankfurt und München, betrug er bis 35 %. Durch Anordnung des Kommissars der ärztlichen Spitzenverbände (Wagner 10.08.1933) wurde eine Zusammenarbeit zwischen “arischen” und “nichtarischen” Ärzten sowie deren Vertretung untereinander verboten. Dies bedeutete nicht nur die Aufgabe und Zerstörung einer jahrzehntelangen fruchtbaren Zusammenarbeit.

Es bedeutete zudem nicht weniger als die Zerstörung einer der tragenden Säulen im Gebäude der theoretischen und praktischen Medizin, der interdisziplinären und interpersonellen Zusammenarbeit. Dies bedeutete, noch zur Zeit der Hitlerdiktatur, einen Qualitätsverlust bei der medizinischen Betreuung der Patienten und stand im Widerspruch zum ärztlichen Ethos, das international die bestmögliche Behandlung der sich anvertrauenden Patienten einfordert. Die negativen Auswirkungen auf die Medizin nach 1945, der Exodus an berühmten Wissenschaftlern, all dies kann nur erahnt werden.

“Aufgrund von Vereinbarungen zwischen dem Hartmannbund und dem Verband privater Krankenkassenversicherungsunternehmungen in Deutschland werden in Zukunft die privaten Krankenversicherungen Rechnungen ,nichtarischer’ Arzte nur dann erstatten, wenn entweder auf den Arzt die Ausnahmebestimmungen der VO des RAM (Zulassung seit 1914 oder Frontkämpfer) zutreffen und er daher seine Zulassung bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse behalten hat, oder wenn es sich um die Behandlung ,nichtarischer’ Mitglieder der Krankenversicherung, die sich selbst als ,nichtarisch’ bezeichnen, handelt.” (Infoblatt Nr. 7 des Verbandes der PKV vom 20.7.1933)

Ab dem 01.01.1938 wurde allen jüdischen Kassenärzten endgültig die Zulassung zu den Ersatzkassen entzogen und mit dem rechtswidrigen Entzug der Approbation am 30.9.1938 die Existenzgrundlage in Deutschland zerstört. Einige wenige haben als “Krankenbehandler” noch jüdische Mitmenschen behandeln dürfen, aber nicht mehr in eigenen Praxisräumen, sondern in vorgeschriebenen Einrichtungen und unter demütigenden Auflagen, in der Regel in den jüdischen Krankenhäusern.

Das “Gesetz zum Schulze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” vom 15.09.1935 untersagte jüdischen Familien, weibliche Angestellte “deutschen oder artverwandten Blutes” unter 45 Jahren in ihrem Haus zu beschäftigen. Das hieß, dass jüdische Ärzte langjährige Angestellte enlassen mussten, ohne dass sie dafür einen entsprechenden Ersatz fanden.
Ärzte, die aufgrund des “Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” (14.7.1933) ein Gutachten über Schwangerschaftsunterbrechungen zu erstellen hatten, mussten “arischer” Abstammung sein.

Als es jüdischen Studenten noch gestattet war, Medizin zu studieren, und sie noch nicht von ihren “Kommilitonen” durch Beleidigungen, Quälen und Bedrängen zum Verlassen der Universität gedrängt wurden, musste geprüft werden, ob es ihnen gestattet ist, gynäkologische Untersuchungen an “deutschen Frauen” durchzuführen.
Aufgrund eines Erlasses des Reichsinnenministers vom 09.10.1936 erhielten im öffentlichen Dienst Beschäftigte keine Beihilfen und Unterstützungen mehr für Kosten, die durch Inanspruchnahme jüdischer Arzte entstanden. Nachweise jüdischer Arzte über dauernde oder vorübergellende Dienstunfahigkeit wurden nicht mehr anerkannt (J. Walk 1996).
Diese Situation führte zu mehreren Auswanderungswellen der jüdischen Arzte, die sich z. T. in der Meldekartei durch die entsprechenden Eintragungen auf der Rückseite des Meldebogens rekonstruieren lassen. Nur ein Teil der jüdischen Arzte meldete sich damals offiziell ab bzw. erstattete Mitteilung an die Polizei oder an das Einwohnermeldeamt, wenn sie Deutschland verlassen mussten. Die Eintragungen auf dem Meldebogen lauteten meist folgendermaßen:

• Laut Mitteilung des Einwohnermeldeamtes am […] ins Ausland verzogen.
• Laut polizeilicher Mitteilung nach dem Ausland verzogen.
• Nach Angabe des umseitig genannten ins Ausland verzogen.
• Nach Angabe der Ehefrau ins Ausland.

Nach Schätzungen in der Literatur war die Anzahl der noch aktiven jüdischen Arzte im gesamten Reichsgebiet bis zum Erscheinen des Reichsmedizinalkalenders von 1937 auf rund die Hälfte, also ca. 4.220, zurückgegangen. Es ist zu vermuten, dass ein großer Teil von ihnen zwischen 1933 und 1936 ausgewandert ist; man schätzt die Quote auf 50 bis 60 %. Uber diese erste frühe Emigrationswelle liegen der Autorin auf der Grundlage der ausgewerteten Quellen für Frankfurt am Main nur lückenhafte und zufällige Daten vor.
Auf die Tatsache, dass die Begrifflichkeiten der “Auswanderung”, der “Emigration” oder der “Ausreise” das persönliche Schicksal nur unzureichend beschreibt, wurde an anderer Stelle hingewiesen.

Dass es sich bei der Auswanderung der jüdischen Arzte nicht um eine freiwillige Emigration, sondern um eine erzwungene Flucht handelte, lässt sich auch daran ablesen, dass die nationalsozialistischen Finanzgesetze zu einer systematisch betriebenen Verarmung der “Auswanderer” führten.
Bevor sie Deutschland verließen, mussten sie mindestens folgende Abgaben leisten:

1) Reichsfluchtsteuer (ca. 25 % des gesamten Vermögens)
2) Dego-Abgabe (Abgabe an die Deutsche Golddiskontbank)
3) Judenvermögensabgabe.

Hinter diesem Begriff, der vielleicht harmlos erscheinen mag, stand Folgendes:

VO über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12.11.1938:
„Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem Deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne. Ich bestimme daher…
§ 1 Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 100.000.000 RM an das Deutsche Reich auferlegt.
§ 2 Die Durchführungsbestimmungen erlässt der Reichsminister der Finanzen.“

4) Auswandererabgabe
Laut Verordnung Nummer 11 des Reichsbürgergesetzes konnte das Vermögen jüdischer Bürger jederzeit beschlagnahmt und zwangsversteigert werden.
Weitere zahlreiche Verordnungen regelten die Durchführung der Ausreise. Die Folge war, dass die Auswanderer mittellos und auf Unterstützung angewiesen im Ausland ankamen, wie zahlreiche Beispiele in den Kurzbiografien belegen.

Von der vorliegenden Grundgesamtheit von 276 jüdischen Ärzten in Frankfurt am Main wanderten laut Eintragung in die Meldebögen 72 Ärzte aus. In der Terminologie des Sachbearbeiters wurde dies meist mit “ins Ausland verzogen” umschrieben, manchmal wurde auch das Land genannt.
Durch die Auswertung der Entschädigungsakten erhöhte sich die Anzahl der nachweislich emigrierten jüdischen Ärzte auf insgesamt 157.

Der Frankfurter Arzt Max Kirschner beschreibt in seinem Tagebuch “Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit” (Kirschner 2004) die organisatorische, finanzielle und vor allem psychische Belastung der zwangsweisen Emigration in anschaulicher Weise. Es ging ja nicht nur um die Ärzte selbst, sondern in der Regel um eine ganze Familie.
Aufgrund der ausbleibenden Patienten war er gezwungen, seine Praxis in Heddernheim aufzugeben und im Hause seiner Mutter in Frankfurt/Main – in einem Nebenraum unter hygienisch und sachlich bescheidenen Bedingungen – seine ärztliche Arbeit fortzusetzen, da hier der jüdische Bevölkerungsanteil noch eine geringe Existenzgrundlage bot, die in Heddernheim nicht mehr gegeben war. Auch dieses ging zu dieser Zeit nur noch, da ihm eine Zulassung als “Krankenbehandler” zugestanden wurde. Das war kein Einzelfall, sondern für viele jüdische Arzte die einzig verbliebene Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen.

Wie aus den Meldebögen der Meldekartei hervorgeht, entzog die Kassenärztliche Vereinigung Deutschland den Frankfurter jüdischen Ärzten endgültig zum 01.01.1938 die Zulassung zu den Ersatzkassen. Dies wurde auf jedem Meldebogen sorgfältig handschriftlich vermerkt. Auf den Meldebögen wurde auch der “Verzicht auf Ausübung des ärztlichen Berufes” erfasst. Wie es zu diesem “Verzicht” kam und ob es wirklich ein freiwilliger Verzicht war, ist nicht bekannt.

Auffällig ist, dass es sich bei insgesamt neun Meldungen jeweils um den Monat Oktober des Jahres 1936 handelte, mit unterschiedlichem Tagesdatum. Der Begriff “Verzicht” an sich ist diskriminierend. Es ist zu vermuten, dass die Wortwahl eher vom Sachbearbeiter der Ärztekammer stammte als vom betroffenen Arzt.
In der Regel wurde davon gesprochen, dass der Arzt oder die Ärztin “die Praxis aufgegeben” habe. Dies im doppelten Sinne: Die Diskriminierung und Isolation der Verfolgten durch die nationalsozialistischen Verordnungen und Terrormaßnahmen taten ihre Wirkung – die Betroffenen gaben auf.

Mit dem Entzug der Approbation zum 30.09.1938 und den Novemberpogromen sowie der Verhaftung und Internierung aller männlichen Frankfurter Juden im KZ Buchenwald am 11. November 1938 wurde die Lage aussichtslos. Viele entschlossen sich zur Flucht ins Ausland, auch wenn sie älter und nicht mehr gesund waren und nur über geringe finanzielle Mittel verfügten.

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