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Wir sind, was wir erinnern

„Was soll ich über unseren Bruder, den kleinen blonden Wirbelwind mit seinen wachen blauen Augen erzählen?“ fragt Jolana, und dann erzählt sie doch so lebendig von dem fröhlichen Kind und seinem viel zu kurzen Leben, das zehnjährig in Auschwitz endete…

Von Ramona Ambs

Konrad Görg, Autor und Internist, stieß auf diese Geschichte bei einem Friedhofsbesuch mit seinem Freund Petr Abeles. Auf dem Grabstein von Petrs Mutter Hilda standen auch noch die Namen ihrer Eltern und ihres kleinen Bruders Erwin Katz. Darunter:

in Erinnerung an die,
die kein Grab haben

Konrad Görg fragte nach und bekam die Geschichte von Erwin Katz erzählt. Und er erzählt sie in seinem Band weiter, damit sie nicht vergessen wird. Aber er erzählt nicht nur die Geschichte von Erwin Katz – er sammelt Stimmen und Zitate von Tätern, Analysten und Opfern aus der Zeit vor der Verfolgung, währenddessen und aus der Zeit danach. Und diese Zitatensammlung liest sich vor dem Hintergrund der Geschichte des Erwin Katz noch einmal ganz neu und anders. Es sind nicht mehr einfach nur historische Äußerungen und Analysen, sondern ihre Wirkmacht wird durch Erwins Schicksal konkret.

„Der gefährlichste Feind des Gedächtnisses ist die Abstraktion. In diesem Sinne gilt es weniger in anonymer und staatspolitischer Weise der „Opfer des Nationalsozialismus“ zu gedenken, sondern wir sollten beispielsweise wieder lernen, Geschichten zu erzählen: die Geschichte dieses Vaters Schlomo Wiesel,
dieser Mutter Lena Donat,
dieses Mädchens Eva Heymann,
oder dieses Jungen Erwin Katz…
Der Holocaust ist nicht sechs Millionen, sondern Einer und Einer und Einer und Einer…“ steht zu Beginn des Buches und wird zur Leitidee.

In den Zitaten zur Ausgrenzung findet sich so manche Zeile, die verdeutlicht, wie weit verbreitet ein subtiler Hass gegen die Juden war. So konnte man im Stuttgarter Evangelischen Sonntagsblatt vom Juni 1933 Folgendes lesen:

„Kauft nicht bei Juden – Der Boykott am 1. April und das fernere Vorgehen gegen die Juden hat in manchen christlichen Kreisen eine Gewissensnot verursacht, mit der sie nicht fertig werden können. Diese Not mag davon herrühren (…), dass sie überhaupt kaum noch etwas von den schweren Gefahren aller Art wussten, die unserem Volk von jüdischer Seite drohen (…) Sich mit allen brauchbaren Mitteln zu erwehren, war das gute Recht des deutschen Volkes. Dabei mitzuhelfen war die Pflicht auch des Christen (…) Wer sein Volk in der Gefahr im Stich lässt, der ist nicht nur ein Feigling, sondern er vergeht sich gegen Gottes Willen! (…) Volksfremdes, weltbürgerliches Denken ist nicht christlich, weil es die Schöpfungsordnung verleugnet.“

Görg versteht es die Zitate so zusammenzustellen, dass sie greifbarer und konkreter werden. Auf das Evangelische Sonntagsblatt folgt eine kurze Schilderung von Lilli Jahn über die zunehmende Ausgrenzung und ein Zitat von Blaise Pascal: „Niemals tut man so vollständig und ruhig das Böse, als wenn man es mit religiösem Gewissen tut“.

Das Buch ist keines, das man nur einmal liest und dann nie wieder zur Hand nimmt. Die vielen und vielfältigen Zitate insbesondere der Täter verlangen dem Leser viel ab, so dass man das Lesen immer wieder unterbricht, ja unterbrechen muss. Dennoch ist es gerade diese Vielfalt, die garantiert, dass jeder Leser in diesem Buch fündig wird und so je an „seinem“ eigenen Zitat hängen bleibt. Horst-Eberhard Richter schreibt in seinem Geleitwort: „ Es verlangt beim Lesen immer wieder Innehalten und Beharrlichkeit, um die Zeugnisse in sich wirken zu lassen – und die Gegenüberstellung mit den Stimmen von Tätern, Handlangern und Beschwichtigern auszuhalten.“ Und deshalb endet diese Rezension auch mit einem Zitat von Hannah Arendt aus dem Buch:

„Die Wahrheit aushalten
Das Höchste, was man erreichen kann,
ist zu wissen und auszuhalten,
dass es so und nicht anders gewesen ist,
und dann zu sehen,
was sich daraus – für heute – ergibt.“

Konrad Görg: Wir sind, was wir erinnern. Zwei Generationen nach Auschwitz. Stimmen gegen das Vergessen. In Erinnerung an Erwin Katz
Vorwort von Erhard Roy Wiehn, Geleitwort Horst Eberhard Richter
Hartung-Gorre Verlag Konstanz, 2. Aufl. 2009. 110 Seiten. € 9,95. ISBN 3-86628-208-7, Bestellen?

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1 comment to Wir sind, was wir erinnern

  • Yoshi

    Wer Auschwitz denkt und nicht warnend Machmut Machmirdendjihad ruft, hat die falsche Lehre gezogen!
    NIE WIEDER!
    UND AM YISRUEL CHAY!!!!