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Die Einäugigen unter den Blinden

The Gatekeepers – Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes…

Von Susanne Benöhr-Laqueur/ Orlando Berliner

Prolog: ….Kopenhagen, Juli 2001 und Januar 2014

Der Ärger begann mit einem Interview im Sommer 2001. Carmi Gillon, der zukünftige Botschafter Israels in Dänemark – und ehemalige Direktor des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin-Bet – erklärte der Zeitung „Jyllands-Posten“ in einem Anflug von verstörend-provokanter Ehrlichkeit, er habe bei Verhören von Palästinensern in über 100 Fällen „gemäßigte physische Gewalt“ genehmigt.[i] Diese Art von Verhören war erst kurz zuvor vom Obersten Israelischen Gerichtshof verboten worden.[ii] Gillon meinte jedoch, dass angesichts der Selbstmordanschläge in Israel eine Wiedereinführung angedacht werden könnte. Das war für die liberalen und freiheitsliebenden Dänen eindeutig zu viel. Sie wollten keinen Folterknecht[iii] im diplomatischen Corps begrüßen müssen. Die Überlegungen des dänischen Justizministers gingen sogar soweit, Gillon, sobald er dänischen Boden betreten würde, aufgrund der UN-Antifolterkonvention[iv] verhaften zu lassen.[v] Circa zwölf Stunden später erinnerte sich der dänische Justizminister (!) jedoch daran, dass die wesentlich ältere Wiener Konvention Diplomaten Immunität verleiht und eine Verhaftung wohl doch besser nicht in Betracht käme.[vi] Gillon kam und blieb für zwei Jahre.[vii]

Dreizehn Jahre später: Der Dokumentarfilm „The Gatekeepers“, indem auch Gillon auftritt, sollte in Kopenhagen gezeigt werden. Gillon, der sich in dem Film überaus kritisch mit den Methoden des Shin-Bet auseinandersetzt, sollte den einführenden Vortrag halten. Dazu kam es aber nicht. Eine pro-palästinensische Gruppe erstattete gegen ihn Anzeige wegen Folter. Gillon, nunmehr Privatmann, trat – begleitet von hämischen Bemerkungen[viii] – den ‚geordneten Rückzug‘ an und verließ Dänemark mit dem nächsten Flugzeug.[ix]

Ein Verhörraum ist kein Hotelzimmer

Der Fall Gillon zeigt zum einen das Maß an weltweiter Aufmerksamkeit, dass der Film „The Gatekeepers“ erregte und zum anderen die rechtspolitischen Verwicklungen, die er auslöste. In dem Film sinnieren sechs ehemalige Direktoren des israelischen Inlandsgeheimdienstes, nämlich Avraham Schalom, Jaakov Peri, Carmi Gillon, Ami Ajalon, Avi Dichter und Juval Diskin – soweit es die Staatsräson erlaubte – über die Methoden, Erfolge und Niederlagen des Dienstes.

Dies ist nicht nur in Bezug auf Israel und den Nahostkonflikt interessant. Vielmehr rückt das Vorgehen des Shin-Bet angesichts der zunehmenden Terrorgefahr in Europa und der massiven Forderung nach mehr innerer Sicherheit in den Focus des Interesses.

Nun standen sowohl der Shin-Bet, als auch der Auslandsnachrichtendienst Mossad de facto schon immer unter Verdacht, bei der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich zu sein. Dies umfasst die gesamte Nomenklatura von Grausamkeiten, die zwar wohlbekannt sind, aber über die man besser nicht spricht. Dass Avraham Schalom vor laufender Kamera offen zugibt, den Befehl erteilt zu haben, die Entführer des Busses 300 zu eliminieren (S. 45), Avi Dichter die Möglichkeiten und Grenzen der Eliminierung von potentiellen Terroristen und ihren religiösen Anstiftern beschreibt (S. 348), Gillon das Für- und Wieder des Schüttelns von Gefangenen analysiert (S. 172) und Jaakov Peri vielsagend erklärt: „Die israelische Bevölkerung muss verstehen, dass ein Verhörraum kein Hotelzimmer ist“ (S. 91), hinterlässt Fragen. Vor allen Dingen die Folgende: In was für einem Zustand muss sich ein Staat befinden, in dem sechs Geheimdienstchefs sich derart offen äußern dürfen und was bewegte die Herren es zu tun?

The Gatekeepers: Aus dem Inneren des israelischen GeheimdienstesEine Antwort gibt das im Februar 2015 erschienene und über 450 Seiten umfassende Buch. Hier lässt Dror Moreh die sechs Männer ihre Standpunkte wesentlich ausführlicher darlegen, als in den (gleichwohl beeindruckenden) 100 Filmminuten. Neben einem Vorwort und einem Personen- und Sachindex verfügt das Werk dankenswerter Weise auch über eine Stichwortsammlung. Das ist sehr hilfreich, denn nicht jeder Leser weiß den „Pulsa-dinora-Fluch“ oder die „Kompanie 35“ einzuordnen. Im Übrigen folgt das Buch der Dramaturgie des Films, d.h. die Direktoren wurden in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Dienstzeiten von Moreh befragt. Bei speziellen Fragestellungen kommt nicht nur der Direktor des jeweiligen Kapitels zu Wort, sondern auch seine Nachfolger.

Einsame Rufer in der Wüste

Weder das politische Establishment Israels noch die amtierende Regierung bzw. der Shin-Bet haben sich Mühe gemacht, den Film oder die Publikation der Interviews zu verbieten. Juristische Konsequenzen scheinen gleichfalls nicht eingetreten zu sein. Zudem sind fünf Direktoren nach wie vor am Leben – Schalom starb im Sommer 2014 im Alter von immerhin 86 Jahren.[x]

Dies lässt zwei Schlussfolgerungen zu, entweder sind die Herren in Israel inzwischen zu ‚Einsamen Rufern in der Wüste‘ mutiert – deren Meinung ohnehin keinen mehr wirklich interessiert – und bzw. oder, die Mehrheit der Bevölkerung hat sich mit dem „Status quo“ abgefunden und dieser beinhaltet, dass Israel unter allen Umständen versuchen muss, weiterhin kompromisslos Härte zu zeigen. Härte ist aber in der Tat ein Charakteristikum, dass die sechs Direktoren auszeichnete. Treffsicher titelte eine deutsche Zeitung im Februar 2013 über den Film „Harte Wahrheiten, von harten Männern“.[xi]

Aber was ist wahr? Israel ist ein Land, das seit Jahrzehnten einen Mehrfrontenkrieg führt, wobei das Hauptproblem schnell benannt werden kann: Es ist die ungelöste Palästinenserfrage. Besonders deutlich wird dies, wenn Schalom meint: „…dass wir um einen separaten Palästinenserstaat nicht herumkommen. Dass weder sie noch wir mit der Besetzung leben können. Ich behaupte, dass wir diejenigen sind, die mit der Besetzung nicht leben können. Um die Araber mache ich mir keine Sorgen.“ (S. 470). Schaloms Sorge um die israelische Gesellschaft teilen auch Gillon (S. 457, 468), Ami Ajalon (S. 448) und Juval Diskin (S. 464, 465). De facto beschreiben die Direktoren, dass sich in Israel – und hier vor allen Dingen in der Armee – eine moderne Form von „Master and Slave“ abspielt. Besonders deutlich wird Gillon: “Wir überlassen die Entscheidung über das richtige Maß einem Soldaten, der vielleicht erst ein paar Monate im Dienst ist, der im besten Fall ein Jahr zuvor die Oberstufe absolviert hat. Und der steht einem Vater mit einem Baby gegenüber und muss entscheiden, ob er ihn durchsuchen soll oder nicht, ob er ihn passieren lassen will oder nicht.“ (S. 444)

Die Folgen sind klar: Der Hass auf beiden Seiten nährt die Gewaltspirale. Eine Lösung ist nicht in Sicht und ist im Übrigen auch nicht gewollt, denn es fehlt an politischen Visionären wie Jitzchak Rabin oder Ariel Scharon. Keine israelische Regierung ist seither Willens und in der Lage gewesen, den Friedensprozess fortzusetzen.

Keine politischen Visionäre

Wortgewaltig bemängeln die Direktoren diesen Zustand (S. 458,465,468,470). So glaubt Juval Diskin: „…dass unser Staat vor einer Unmenge von sehr, sehr großen Herausforderungen steht. Um diese zu meistern brauchen wir Führungspersönlichkeiten ersten Ranges, und die fehlen uns meinem Empfinden nach“ ( S. 465). Was die Herren jedoch außer Acht lassen ist, dass politische Visionäre ’nicht auf den Bäumen wachsen‘. Israel ist zwar eine Zivilgesellschaft und die einzige Demokratie im Nahen Osten, aber der Einfluss der Armee ist allgegenwärtig und allumfassend. Alle Direktoren haben einen militärischen Hintergrund – Rabin, Scharon, Barak und Netanyahu sowieso. In den inneren Zirkel des politischen Establishments stößt man nur vor, wenn man sich in der Armee bewährt hat. Der Einsatz in einer Eliteeinheit und bzw. oder bei einer Kommandoeinheit im Generalstab sind der Schlüssel zum Erfolg. Die politische Führungsschicht des Landes wird also nicht an einer Eliteuniversität oder einer staatlichen Führungsakademie geformt, sondern im militärischen Einsatz. Folglich kann nur ein bestimmter Personenkreis zum Zuge kommen: Nervenstarke, strategisch denkende, willens- und führungsstarke sowie vorzugsweise mit einem immensen Selbstbewusstsein ausgestattete Männer. Diesem Profil entsprechen alle Direktoren des Shin-Bet und dies wird in allen Interviews stets ausführlich in der jeweiligen Vitae betont. Das bedeutet jedoch, dass die Kritik der Direktoren das Selbstverständnis des israelischen Staates tangiert und damit letztendlich die Quadratur des Kreises angestrebt wird. Anders formuliert: Solange die Sicherheit Israels konkret oder vermeintlich bedroht ist, werden die „Falken“ immer die Geschicke des Landes bestimmen. Da nun aber die Sicherheit Israels ständig bedroht ist – und Rabin ein Ausnahmepolitiker war – wird der Shin-Bet auch weiterhin das tun, was er schon immer getan hat, nämlich die Feinde Israels unschädlich machen und sich – wie Gillon es ausdrückte – als die rechte Hand des Ministerpräsidenten fühlen dürfen. (S. 165) Diese Wortwahl lässt aufmerken. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes wird zur „rechten Hand“ des Ministerpräsidenten – weder der Kanzleichef noch der Verteidigungs- bzw. Innenminister. Wie unter einer Lupe wird deutlich, welchen tendenziell gefährlichen Machtzuwachs die Geheimdienste in Demokratien erzielen können, wenn die innere Sicherheit in Zeiten von ISIS, Al-Quaida und Syrien-Rückkehrern bedroht ist.

Mit allen reden…

Am Ende des Films und mehr noch nach der Buchlektüre beschleicht einen Ratlosigkeit. Die bedrohlichen ‚Schatten an der Wand‘ lassen sich nach den Attentaten auf das Jüdische Museum in Brüssel, Charlie Hebdo in Paris, das Kulturzentrum und die Bar-Mitzvah-Feier in Kopenhagen, einem abgesagte Karnevalsumzug in Braunschweig, dem nicht stattgefundenen Radrennen in Frankfurt sowie einem Terroralarm in Bremen weder ignorieren noch hinweg diskutieren. Und so fragt man sich, ob Schaloms Ratschlag für Israel, dass man mit den potentiellen Feinden reden und „immerzu im Gespräch bleiben… (soll) …jederzeit. An jedem Ort, an dem sie mit uns reden wollen. Über jedes Thema, das sie vorschlagen“ (S. 470) auch Geltung für Europa beanspruche kann?! Was für ein Ansinnen…

Nachtrag

Gillon wurde weder 2001 noch 2014 von den dänischen Behörden unter Anklage gestellt.[xii] Im Wahlkampf 2015 bezeichnete er den amtierenden Ministerpräsidenten als Egomanen – darüber hinaus würde Israel von einer Gruppe Pyromanen regiert werden, wobei der Ministerpräsident das Land in den Abgrund führe.[xiii]

Dänemark erscheint mittlerweile auf der Beobachtungsliste von „Amnesty International“. Dänische Soldaten haben im Irak- und im Afghanistankrieg bewusst Gefangene an die USA und die dort agierenden Geheimdienste und Behörden ausgeliefert – wo ihnen unter Garantie Folter und Misshandlungen – drohte.[xiv]

Dror Moreh: The Gatekeepers. Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes, Kiepenheuer&Witsch 2015, 480 S., Euro 22,99, Bestellen?
Die deutsche Fassung der DVD erschien unter dem Titel: Töte zuerst – Der israelische Geheimdienst Schin Bet, Euro 12,99, Bestellen?

[i] Denmark won’t arrest envoy Gillon, but Danes united against him, Haaretz, Jul. 26, 2001, http://www.haaretz.com/print-edition/news/denmark-won-t-arrest-envoy-gillon-but-danes-united-against-him-1.65103 (Zugriff am 5.5.2015)

[ii] Israel: Höchstes Gericht verbietet die Folter, 6.9.1999, http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-hoechstes-gericht-verbietet-die-folter-a-40321.html (Zugriff am 5.5.2015)

[iii] Dänen wollen keinen „Folterknecht“, 17.7.2001, http://www.rp-online.de/politik/daenen-wollen-keinen-folterknecht-aid-1.2250260 (Zugriff am 5.5.2015)

[iv] « Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe » kurz « Antifolterkonvention », http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19840309/index.html (Zugriff am 5.5.2015). Dänemark hat die Konvention 1987 ratifiziert, Israel im Jahre 1991.

[v] Dänemark will Israels neuen Botschafter festnehmen, Spiegel-Online, 25.07.2001, http://www.spiegel.de/politik/ausland/diplomatie-daenemark-will-israels-neuen-botschafter-festnehmen-a-146870.html (Zugriff am 5.5.2015); Vom israelischen Geheimdienstchef zum Botschafter, taz, 17.7.2001, http://www.taz.de/1/archiv/archiv-start/?ressort=au&dig=2001%2F07%2F17%2Fa0073&cHash=2d4fd936a7 (Zugriff am 5.5.2015).

[vi] Rückzieher: Dänemark will Israels neuen Botschafter doch nicht festnehmen, 27.7.2001, http://www.spiegel.de/politik/ausland/rueckzieher-daenemark-will-israels-neuen-botschafter-doch-nicht-festnehmen-a-147011.html (Zugriff am 5.5.2015).

[vii] Die „Gillon-Affäre“ ist in völkerrechtlicher Hinsicht untersucht von Jacques Hartmann, siehe: „The Gillon Affair“, in: International and Comparative Law Quarterly, Volume 54, Issue 03, July 2005, 745-755.

[viii] Festivalleder: Torturanmeldelse er dansk ignorance, når den er værst, 12.1.2014, http://www.b.dk/nationalt/festivalleder-torturanmeldelse-er-dansk-ignorance-naar-den-er-vaerst; Tortur-anklaget eksdiplomat forlader Danmark, 11.1.2014, http://politiken.dk/indland/ECE2180053/tortur-anklaget-eksdiplomat-forlader-danmark/; Ex-Shin Bet chief flees Denmark following leftist group’s complaint to police, haaretz, 12.1.2014, http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/.premium-1.568063 (Zugriff am 5.5.2015)

[ix] Ex-Shin-Bet-Chef verlässt Dänemark nach Anzeige wegen Folter, in: Israel Nachrichten, 13.1.2014, http://www.israel-nachrichten.org/archive/7213 (Zugriff am 5.5.2015).

[x] Avraham Shalom, 86, Israeli Spy Chief Who Hunted Eichmann, Dies, in: The New York Times, June 19, 2014, http://www.nytimes.com/2014/06/20/world/middleeast/avraham-shalom-hunter-of-eichmann-dies-at-86.html?_r=0 (Zugriff am 5.5.2015).

[xi] Harte Wahrheiten von harten Männern, Hamburger Abendblatt, 28.2.2013, http://www.abendblatt.de/meinung/article113991433/Harte-Wahrheiten-von-harten-Maennern.html (Zugriff am 5.5.2015)

[xii] Ex-Shin-Bet-Chef verlässt Dänemark nach Anzeige wegen Folter, in: Israel Nachrichten, 13.1.2014, http://www.israel-nachrichten.org/archive/7213 (Zugriff am 5.5.2015).

[xiii] Former Shin Bet Chief Slams Netanyahu as ‚Egomaniac‘, 11.3.2015,  http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/188025#.VUZ7gp1R4wA (Zugriff 5.5.2015)

[xiv] https://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/daenemark, Nato-Chef Rasmussen verheimlichte Folter, in: Frankfurter Rundschau, 5.1.2012, http://www.fr-online.de/politik/irak-krieg-nato-chef-rasmussen-verheimlichte-folter,1472596,11389774.html,  The Ministry of Foreign Affairs of Denmark, August 2014, http://um.dk/da/~/media/UM/Danish-site/Documents/Nyheder/CAT%20%20Denmark%20%20Combined%20sixth%20and%20seventh%20periodic%20report.pdf (Zugriff am 5.5.2015).

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