Der aus Freinsheim stammende Hermann Sinsheimer (1883–1950) zählt zu den bedeutendsten jüdischen Intellektuellen des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik…
Er begann als Journalist in Mannheim und wechselte 1919 zu den Münchner Neuesten Nachrichten. In seinen Theaterkritiken dieser Zeit rühmte er als Erster den noch unbekannten jungen Dramatiker Bertolt Brecht. 1924 übernahm Sinsheimer die Chefredaktion der satirischen Zeitschrift Simplicissimus in München und verhalf dieser zu neuem Ansehen.
Nach fünf Jahren wechselte er dann in das Feuilleton des Berliner Tageblatts, wo er neben Alfred Kerr Kritiken und Betrachtungen zu den Berliner Kulturereignissen schrieb. Als Kerr im Februar 1933 fluchtartig Deutschland verlassen musste, übernahm Sinsheimer sein Amt und veröffentlichte uneingeschüchtert in den ersten Monaten der Naziherrschaft noch Aufsätze unter anderem zu Max Reinhardt und Jakob Wassermann. Im September 1933 wurde er entlassen.
Sinsheimer lebte noch bis 1938 in Berlin, schrieb für jüdische Zeitschriften und für den jüdischen Kulturbund und arbeitete an seinem Buch Shylock, das er mit ins englische Exil nahm und dort veröffentlichte. Die Niederschrift seiner Autobiografie Gelebt im Paradies erfüllte seine letzten Jahre.
Die posthum erschienenen Erinnerungen Gelebt im Paradies, das bekannteste Werk des Autors, bilden den ersten Band einer dreibändigen Werkausgabe im Verlag für Berlin-Brandenburg. Sinsheimer erzählt vom Aufwachsen eines jüdischen Jungen in der Pfalz, vom Leben in München und Berlin, gibt Porträts seiner Zeitgenossen von Erich Mühsam bis Joachim Ringelnatz, von Frank Wedekind bis Alfred Kerr. Es ist ein lebendiges Buch, zeugend von jenem anderen einstigen Deutschland, das man nach 1945 wiederzufinden versuchte.
Gelebt im Paradies erschien erstmals 1953, aber – wie sich jetzt zeigt – mit entstelltem und aus nachwirkendem NS-Bewusstsein zensiertem und verkürztem Text. So bringt unsere neue Ausgabe ein fast neues Buch, das dem Autor endlich gerecht wird und das in die Reihe der wichtigen Erinnerungsbücher aus der Zeit des Exils gehört.
Vorwort und editorischer Bericht der Herausgeberinnen rekonstruieren die Entstehungsgeschichte und geben Auskunft über die verfälschenden Eingriffe in der Erstausgabe. Gelebt im
Paradies ist der Beginn einer neuen Bekanntschaft.
Hermann Sinsheimer: Gelebt im Paradies. Gestalten und Geschichten. (Werke in drei Bänden, Bd. 1), Hrsg. v. Nadine Englhart, ca. 380 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Euro 24,95, Bestellen?
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