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Ein wieder zu entdeckender Essayband

„Das Unverlierbare“ von Ernst Weiß erscheint in der Buchreihe „zu Unrecht vergessene Publizisten des 18.-20. Jahrhunderts“…

In ohnmächtiger Verzweiflung über das betrachtete Einfahren deutscher Militärfahrzeuge ins kampflos überfallene Paris nahm sich am 15. Juni 1940 der emigrierte Schriftsteller und Arzt Ernst Weiß das Leben. Vielen Stellen seines Werkes kann man eine bereits vorher bestehende pessimistische Verzweiflung ansehen, die viele Künstler zwischen den Weltkriegen erfasste und sie mit der Frage beschäftigte, ob man nicht mehr verloren habe durch den Krieg als man je wieder aufbauen könne, also ähnlich wie A. Gryphius es mit dem verlorenen „Seelenschatz“ nach dem 30jährigen Krieg meinte.

In 27 Essays, die heutigen Schülern und Studenten in ihrer Textform als Beispiele gelten können, vermittelt uns Ernst Weiß eine intensive Sprache zu Autoren (Flaubert, Goethe, Wedekind), Entdeckern (Conrad, Shackleton) sowie den Themen Kunst, Malerei und Musik.  Die Essaysammlung widmete Ernst Weiß seiner Mutter, die er pflegte und welche sechs Jahre nach deren Erscheinen starb. Diese vielseitige Essaysammlung war seit über 80 Jahren vom Buchmarkt verschwunden und ist somit eine exemplarische Wiederentdeckung.

Aus dem einleitenden Vorwort von Prof. Erhard Bahr, Universität Los Angeles:

„Der hochbegabteErzähler und Dramatiker Ernst weiß (1882-1940) gehörte zeitweilig zum bekannten Prager Kreis. Franz Kafka hielt ihn für einen Juden von der Art, ,,die dem Typus des westeuropäischen Juden am nächsten ist“, und identifizierte sich deshalb gleich mit ihm. Er schätzte seinen Roman Die Galeere, der 1913 erschienen war. (…)

Wer war dieser Ernst Weiß, der in einer kritischen Phase von Kafkas Leben eine so wichtige Stelle einnahm? Und von dessen Romanen er bis zu seinem frühen Lebensende mit Anerkennung sprach. Geboren am 28. August 1882 in Brünn (Brno, Tschechische Republik), verlor Weiß mit vier Jahren seinen Vater, der 1886 starb. Trotz finanzieller Probleme war es ihm möglich, sein Medizinstudium in Prag und Wien 1911 abzuschließen. Er wirkte zunächst als Chirurg in Wien und Berlin. Um eine Tuberkulose auszukurieren, nahm er eine Stellung als Schiffsarzt an und kam dabei nach Indien, Indochina und Japan. Die Bekanntschaft mit Kafka erfolgte nach seiner Rückkehr nach Berlin im Juni 1913. Im Ersten Weltkrieg wurde Weiß als Regimentsarzt in die österreichische Armee eingezogen. Aus der Kriegserfahrung erwuchs sein engagierter Pazifismus. Er schrieb für die Zeitschrift Der Friede, die von 1918 bis 1919 in Wien erschien. Nach Kriegsende war er bis 192 i in einem Krankenhaus in Prag angestellt. Danach zog er nach Berlin um, wo er als freier Schriftsteller und Mitarbeiter des Berliner Börsen-Courier lebte.

Die Veröffentlichung seines Essaybandes Das Unverlierbare von 1928 füllt in die Berliner Zeit. Bis dahin hatte er bereits acht Romane, fünf Erzählungen und einige Dramen verfasst und war der literarischen Kritik als beachtenswerter Schriftsteller bekannt. Man kann das Jahr 1928 als einen erfolgreichen Abschnitt seiner schriftstellerischen Karriere betrachten. Er brachte ihm weitere Bestätigung seines literarischen Talents: er erhielt den Adalbert-Stifter-Preis des Landes Oberösterreich und gewann bei der Olympiade in Amsterdam eine Silbermedaille beim Kunstwettbewerb. Der Essayband lässt sich als Ende des Expressionismus in seinem Gesamtwerk einordnen. Von einer Wende zur Neuen Sachlichkeit, die seinen folgenden Romanen zugeschrieben wird, ist dagegen noch wenig zu verspüren.

Aufgrund der politischen Entwicklung hielt es Ernst Weiß nicht mehr lange danach in Deutschland. Nach dem Reichstagsbrand 1933 verließ der Schriftsteller Berlin und kehrte nach Prag zurück, um seine Mutter bis zu ihrem Tod 1934 zu pflegen. Danach emigrierte er nach Paris, wo er sich mühsam als Mitarbeiter von Exilzeitschriften wie Die Sammlung, Das Neue Tage-Buch und Maß und Wert durchschlug, da er als Ausländer keine Genehmigung zur Ausübung seines Arztberufes erhielt. Nach der Besetzung von Paris durch deutsche Truppen beging Ernst Weiß Selbstmord und starb in einem Krankenhaus am 15. Juni 1940. Die Schriftstellerin Anna Seghers hat ihm in ihrem Exil-Roman Transit (1944) ein Denkmal in der Figur des Dichters Weidel gesetzt.

Auf das Jahr 1928 waren noch fünf weitere Romane gefolgt, darunter Der Augenzeuge, ein Arzt-Roman über die erfolgreiche Behandlung eines durch Giftgas erblindeten Kriegsversehrten mit den Initialen A. H. (in offensichtlicher Anspielung auf Hitlers Aufenthalt 1918 im Mllitärlazarett in Pasewalk). Dieser Roman, der 1939 abgeschlossen wurde, war für den literarischen Wettbewerb der American Guild for German Cultural Freedom eingereicht worden, die damit den deutschsprachigen Exilschriftstellern Publizität verschaffen wollte. Das Manuskript wurde damals jedoch von der Jury abgelehnt und postum erst 1963 veröffentlichl. Der Augenzeuge isl wohl sein erfolgreichster Roman.

(…)

Die kulturpolitischen Essays vermitteln dem Leser von heute, dass Ernst Weiß als Sprecher der Weltkriegsgeneration und Vertreter des Pazifismus höchste Bedeutung zuzumessen ist. Hätte man ihm und den anderen Warnern seiner Generation zugehört, wäre uns die bittere Lektion eines noch schrecklicheren Zweiten Weltkriegs erspart geblieben. Er ist mit seiner Generation durch ,,die Höllenkreise“ des Ersten Weltkrieges gegangen und wollte diese Lektion seinen Zeitgenossen vermitteln. Seine Verzweiflung ist nicht zu überhören: ,,Die Unendlichkeit des Todes hinter uns. Die Unendlichkeit des Todes vor uns. Die Hölle dieser Erde zu unseren Füßen“ (S. 149). Das Erbe der Generation vor 1914 wird mit Verachtung zurückgewiesen. Die Helden und Heiligen der Vergangenheit werden abgelehnt.

Das Zeitlose seines Werkes besteht in dem credo, quia absurdum, das Weiß zusammen mit seiner Generation wagt. Nicht nur seine Zeit – auch unsere Zeit braucht ,,das Unverlierbare“: die Humanität des einfachen Menschen, der sein Hab und Gut opfert, um seine Mitmenschen vor einer Katastrophe zu retten.“

Ernst Weiß, Das Unverlierbare, Lexikus Verlag 2011, ISBN: 978-3-940206-30-5, Euro 19,90, Bestellen?

Mittlerweile ist auch das dritte Werk in der Buchreihe „zu Unrecht vergessene Publizisten des 18.-20. Jahrhunderts“ erschienen: Ilka Maria Ungar – „Feierabend“ und weitere Gedichte

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