Die Geschichte der Juden in Frankfurt a. M. von 1945 bis heute…
„Ich hörte den vertrauten Dialekt und ich sah die vertrauten Ansichten. Und dann hatte ich den fruchtbaren Drang, von all dem zu fliehen, meinen Jeep zu nehmen und wegzurasen und die schrecklichen Erinnerungen auszuwischen“, notierte der US-Offizier Walter H. Rothschild am 3. April 1945. Neun Jahre zuvor war er gezwungen, aus seiner Heimatstadt Frankfurt ins nordamerikanische Exil zu flüchten.
Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme lebten in der hessischen Metropole etwa 30.000 Juden, die sich als wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft und als deutsche Staatsbürger fühlten. Als die US-Armee am 29. März 1945 in Frankfurt einmarschierte, lag die Stadt in Schutt und Asche, etwa die Hälfte der Wohnungen war zerstört. Inmitten der Trümmer hatten nur einige hundert Juden den Tag ihrer Befreiung erlebt. Die einst zweitgrößte jüdische Gemeinschaft in Deutschland war nahezu vollständig ausgelöscht.
66 Jahre später zählt die „Jüdische Gemeinde Frankfurt a. M.“ über 7.000 Mitglieder. Es war ein langer, schwerer und nicht immer unumstrittener Weg, der als „Überleben nach dem Überleben“ begann und Jahrzehnte als Zwischenstation mit gepackten Koffern nach irgendwo angesehen wurde. Das neue Buch der Historikerin Helga Krohn über sechs Jahrzehnte jüdischer Geschichte in Frankfurt spannt einen Bogen von der Befreiung, über die bleierne Zeit der fünfziger und sechziger Jahre, die Student- und Häuserkampfbewegung, die Auseinandersetzungen um das Fassbinder Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“, der russischen Zuwanderung, bis hin zu einer selbstbewussten deutsch-jüdischen Gemeinde.
„Es war richtig, wieder anzufangen“, sagte Ignatz Bubis schon bei der Einweihung des Jüdischen Gemeindezentrums 1986. Denn zu dieser Zeit stand nicht nur für ihn fest, dass die Frankfurter Juden sich zu einer wichtigen Stimme im Diskurs über jüdisches Leben in Deutschland entwickelt hatten. Nicht von ungefähr wurde daher in der Stadt am Main im November 1988 auch das erste Jüdische Museum in Deutschland eröffnet. Auf dem Weg zu einer modernen, religiös-pluralistischen Gemeinde, nehmen die Frankfurter, mit ihren prominenten und einflussreichen Persönlichkeiten, schon lange eine Vorreiterrolle ein.
Mitglieder der jüdischen Gemeinde Frankfurt während der Enthüllung der Gedenktafel an die zerstörte Synagoge, März 1946. Foto: Brandes & Apsel Verlag.
Obwohl die Autorin im Vorwort schreibt, dass sich das Buch „in erster Linie an eine nichtjüdische Öffentlichkeit richtet, die wenig über die Geschichte der hier lebenden Juden weiß“, ist der informative Band mit seinen reichhaltigen Illustrationen, Erinnerungen von Zeitzeugen und den abgedruckten Dokumenten ein wichtiges Überblickswerk, das sich an alle Bevölkerungsschichten wendet. – jgt
Helga Krohn, „Es war richtig, wieder anzufangen“. Juden in Frankfurt am Main seit 1945, 364 Seiten, Brandes & Apsel Verlag 2011, ISBN 978-3-86099-691-1, 29,90 €, Bestellen?
Am Sonntag, 29. Mai 2011, um 11.00 Uhr, stellt die Autorin ihr Buch im Jüdischen Museum Frankfurt, Untermainkai 14-15 vor.
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