Aharon Appelfelds Roman „Katerina“ nähert sich dem Antisemitismus in der Bukowina vor der Schoah aus ungewöhnlicher Perspektive…
Von Andrea Livnat
Wiederum ist es eine starke Frauenfigur aus der Feder Aharon Appelfelds, die den Leser in Besitz nimmt. Und wiederum ist diese Frau an sich nicht stark, wie etwa die zerbrechliche Tzili. Katerina stammt aus einer ruthenischen Bauernfamilie. Ihre Kindheit ist durch Gewalt und Lieblosigkeit geprägt. Nach dem Tod der Mutter verlässt sie den Hof und findet schließlich Arbeit bei einer jüdischen Familie. Obwohl sie Juden vom Markt aus ihrem Dorf kennt, fürchtet sie sich zunächst vor ihren neuen Arbeitgebern und ihren seltsamen Sitten. Doch mit der Zeit findet Katerina großen Gefallen an den jüdischen Gebräuchen, der Religion und dem Jiddischen. Mehr noch, Katerina verehrt das jüdische Ehepaar aus ganzem Herzen.
Eine Welt bricht für sie zusammen, als beide bei einem Pogrom ermordet werden. Katerina flieht mit den beiden Söhnen der Familie und versteckt sich in einem Dorf. Doch dieses idyllische Zusammenleben findet ein abruptes Ende mit dem Auftauchen der Tante, die Katerina Entführung vorwirft.
Allein und ein Stück weit entwurzelt kehrt Katerina nach Czernowitz zurück, findet erneut Anstellung in einem jüdischen Haus und vertieft ihre Liebe zur jüdischen Religion und Tradition. Doch auch diese Verbindung endet mit dem Tod der Arbeitgeberin. Katerina läuft ziellos durch die Stadt, von Wirtshaus zu Wirtshaus, trinkt, spricht wieder ihre Sprache, das Ruthenische, und ist dennoch fremd geworden. Zu sehr hätten die Juden sie verdorben, hört sie täglich.
Schließlich trifft Katerina Sami, einen Juden, der ebenfalls zum ziellosen Trinker in Czernowitz wurde, und zieht mit ihm zusammen. Das kleine Paradies hält nicht lange, denn Katerina wird schwanger und Sami will keine Kinder. Sie zieht den Jungen alleine groß, lässt ihn beschneiden und nennt ihn Benjamin. Er ist ihr ganzes Glück. Es sind die innigsten Momente ihres Lebens.
Benjamin wird von einem betrunkenen Ruthenen erschlagen, Katerina nimmt Rache. Sie muss für diesen Mord lebenslang ins Gefängnis. 40 Jahre verbringt sie dort wie in Trance. Sie ist im Gefängnis Außenseiterin. Nicht nur, weil sie eine Mörderin ist, sondern auch, weil sie keine schlechten Reden über die Juden ertragen kann. In den letzten Jahren sieht Katerina die Züge mit Juden vorüberfahren. Bis endlich alles still steht und die Frauen frei sind.
Katerina macht sich auf den Weg nach irgendwo und findet ein Land ohne Juden.
Aharon Appelfeld ist ein Meister des Erzählens mit wenigen Worten. Seine Geschichte ist ein ergreifendes Zeugnis der Zustände in Czernowitz und Umgebung in der Zeit vor der Schoah, also seiner eigenen Heimat. Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz geboren und überlebte den Holocaust im Ghetto, im Lager und schließlich alleine in den ukrainischen Wäldern. Nach dem Krieg kam er über Italien nach Palästina und erlebte dort Staatsgründung und Aufbauphase Israels.
Wie in vielen seiner Bücher kommt auch in „Katerina“ der Sprache eine besondere Bedeutung zu. Appelfelds eigene Lebensgeschichte kreist um Sprache, um die Muttersprache deutsch, die Sprache des Vergangenen und der Geschundenen, jiddisch, die Sprache der Zukunft und der Fortsetzung, hebräisch. Es ist die Geschichte eines Vierzehnjährigen, „dem alle Sprachen, die er gekonnt hat, verloren gegangen waren, sodass er keine mehr hatte“, wie er in „Geschichte eines Lebens“ schreibt. „Katerina“ greift die entgegengesetzte Position auf und lässt die Protagonistin die Entfremdung und erneute Annäherung an ihre Herkunft über die ruthenische Sprache erfahren.
Aharon Appelfeld: Katerina.
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Rowohlt 2010, Euro 19,95, Bestellen?
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