
Aharon Appelfeld:
Geschichte eines Lebens
Rowohlt Verlag 2005
Euro 17,90
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Erinnern:
Kindheit im
Holocaust |
Geschichte eines Lebens:
Aharon Appelfeld erzählt
Von Andrea Livnat
Die Erinnerung an den Holocaust jener, die
diese Zeit als Kinder erlebten, ist eine andere Erinnerung als der
"erwachsenen" Überlebenden. Kinder merken sich keine Fakten, Zahlen und
Namen, sie kannten kein Leben vor jenem in Furcht und Schrecken. "Der
Holocaust als Leben, als Leben in seiner auf den Schrecken
konzentrierten existenziellen wie sozialen Ausprägung - eine derartige
Wahrnehmung wiesen die erwachsenen Opfer zurück. Für Kinder, die während
des Holocaust herangewachsen waren, war auch dieses Leben etwas
möglicherweise Begreifbares, denn sie hatten es in sich aufgesogen",
resümiert der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld.
Die "Geschichte eines Lebens" von Appelfeld
liegt nun endlich auch in deutsch vor. Es ist jedoch keine Autobiografie
im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr "Aspekte des Lebens, die von der
Erinnerung gebündelt wurden und nun leben und atmen."
Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz
geboren und überlebte den Holocaust im Ghetto, im Lager und schließlich
alleine in den ukrainischen Wäldern. Nach dem Krieg kam er über Italien
nach Palästina und erlebte dort Staatsgründung und Aufbauphase Israels.
"Geschichte eines Lebens" erzählt von diesen
Stationen, von Erinnern und Vergessen, von der Spaltung zwischen hier
und dort. "Im Krieg", schreibt Appelfeld, "war ich nicht ich selbst. Ich
glich eher einem winzigen Tier (...). Gedanken und Gefühle waren
zusammengeschrumpft. Stimmt, manchmal stieg in mir ein schmerzhaftes
Staunen auf, warum und zu welchem Zweck ich alleine zurückgeblieben war,
aber es verzog sich mit dem Dunst im Wald, und das Tier in mir hüllte
mich wieder in sein Fell." Doch als Aharon Appelfeld in Palästina ankam,
war auch hier kein Platz, an das Erlebte zu erinnern, es aufzuarbeiten,
zu reflektieren. Das Vergessen hatte sich schon in der Seele breit
gemacht, Erinnerung war im jüdischen Pionierstaat auch nicht erwünscht.
Es hat den Schriftsteller viele Jahre
gekostet, die Erinnerung zuzulassen und frei zu legen und so auch zum
Schreiben zu finden. Seine Lebensgeschichte kreist um Sprache, um die
Muttersprache deutsch, die Sprache des Vergangenen und der Geschundenen,
jiddisch, die Sprache der Zukunft und der Fortsetzung, hebräisch. Es ist
die Geschichte eines Vierzehnjährigen, "dem alle Sprachen, die er
gekonnt hat, verloren gegangen waren, sodass er keine mehr hatte."
Aharon Appelfeld schreibt wie kein anderer
über die Schoah und ihre Auswirkungen, klar und nüchtern, und dabei
unmissverständlich: "Ich war in den Kriegsjahren ein Kind. Dieses Kind
wurde erwachsen, und alles, was ihm widerfuhr und mit ihm passierte,
wirkte in seinen Jahren als Erwachsener weiter: der Verlust des
Zuhauses, der Verlust der Sprache, Misstrauen, Angst, Redehemmung,
Fremdheit. Aus diesen Empfindungen webe ich die Geschichte meines
Lebens."
hagalil.com
15-03-05 |