Gerade rechtzeitig zur Krise in den türkisch-israelischen Beziehungen erscheint im Mandelbaum Verlag ein Stadtführer zur jüdischen Gemeinde in Istanbul, die einmal zu den größten in der Welt zählte. Erste Ansiedlungen von Juden finden sich schon vor mehr als 1700 Jahren, Überlebende der römischen und byzantinischen Massaker. Später kamen die sephardischen Juden von der iberischen Halbinsel, die im Zuge der Reconquista vertrieben worden sind…
Aus Russland, Polen, Italien, Deutschland und Ungarn fanden Juden in Istanbul Zuflucht. Durch diese jüdischen Migrationsschübe wurde das Leben, die Kultur und das Stadtbild nachhaltig geprägt, sei es durch die Gründung von Synagogen oder die verschiedenen Orte, die heute jüdische Namen tragen. Das Buch bietet eine Fülle von Vorschlägen für Stadtspaziergänge zu vergessenen Geschichten, Schulen, Geschäften, Gebäuden und Menschen, die hier vorgestellt werden. Daneben finden auch viele Errungenschaften im Buch Erwähnung, die von Juden während des Ottomanischen Reichs nach Istanbul gebracht worden sind: etwa die Druckerpresse, die Seidenraupenzucht oder später auch das Kino.
Oksan Svastics, die Autorin, kam in Ankara zur Welt und lebt heute in Wien. Seit 1987 ist sie Journalistin, Redakteurin, Herausgeberin sowie Korrespondentin für zahlreiche türkische und internationale Zeitschriften, Magazine und Verlage.
„Istanbul ist eine wunderschöne Stadt, kompliziert, spannend und voller Überraschungen“, schreibt Oksan Svastics im Vorwort ihres Buches „Jüdisches Istanbul“. Kompliziert und spannend war es auch, das Buch zu schreiben: „Überaus spannend gestaltete es sich, in den Tiefen der Stadt umherzuschlendern, die vergessenen und versteckten Geschichten ihrer Straßen zu ergründen und die mehr als 1.700 Jahre zurückreichenden Spuren jüdischer Geschichte in Istanbul aufzuspüren“.
Es bedeutete für sie auch, neue Hintergründe zu Altbekanntem zu entdecken, wie im Stadtteil Balat, einer der ältesten jüdischen Siedlungen, in dem auch ihre Eltern aufwuchsen und wo sie die Sommerferien bei der Großmutter verbrachte.
Im Zuge der Recherchen verstand sie auch, „wieso in einem anderen multikulturellen Stadtteil namens Osmanbey meine Nachbarin Sara Kazes, die mir beibrachte, wie man Sauerkirschlikör macht, perfekt Französisch und Englisch sprach, wo doch ihr türkisch so mäßig war“.
Insgesamt war es wohl kompliziert für jemanden von außerhalb der jüdischen Gemeinde über das jüdische Istanbul nachzuforschen: „Das Leben als »geschlossene Gesellschalt« über die Jahrhunderte und eine Vielzahl von Sicherheitsbedenken machten Recherchen zum Teil unmöglich“ schreibt sie. „Briefe blieben meist unbeantwortet und Telefonnummern wurden gehütet wie Staatsgeheimnisse. Konkrete Informationen blieben oft unter der Obcrllächc. Zudem änderten sich, wie in kaum einer anderen Stadt, in Istanbul die Straßennamen und Hausnummern ständig: Allein in den letzten fünfzig Jahren hieß die heutige Bankalar Caddesi einmal Voyvoda, einmal Yeni Yol oder Hezaren, für eine Weile galt sie sogar bloß als Anfang einer anderen Straße, der Okcu Musa Caddesi. Eine weilen Besonderheit Istanbuls ist, dass auf Grund der bis ins 19. Jahrhundert weit verbreiteten Holzarchitektur jedes Jahr einige der vielen Stadtteile den Flammen zum Opfer fielen….
Da die Tradition des Archivierens im Osten spät Einzug gehalten hat, ist es nur mittels langwieriger und intensiver Untersuchungen möglich, an präzise Daten heranzukommen. Daher gilt ihr Dank unter anderen Rifat Bali, „dessen wertvolle Bücher im gleichen Maß beeindrucken wie seine hellsichtige Betrachtungsweise der jüdischen Geschichte“.
Anna Soucek berichtet am 09.06.2010 in der Ö1 Sendung Leporello, Menschen – Moden – Lebenskunst, um 07:52, über das Jüdische Istanbul . Nachzulesen hier und auch nachzuhören.
Aus dem Buch:
- Abwanderung: Die Juden in der Türkei nach 1945
- Sefardische Lieder in der klassischen türkischen Musik
Siehe auch: G’ttesdienstzeiten in Istanbul | Liste der Synagogeen |Koscher in Istandbul
- haGalil Lexikon: Türkische Juden
- Unterwegs nach Jerusalem: Bilder aus der Türkei…
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