Professor Wolfgang Wippermann (Berlin) analysiert in einem etwas grob gestrickten Buch die neue Lust an der NS-Relativierung…
Von Martin Jander
Als Ernst Nolte und andere westdeutsche Historiker in der Mitte der 80 Jahre des letzten Jahrhunderts den Versuch unternahmen, die Verbrechen des Nationalsozialismus unter Verweis auf die Verbrechen Stalins und anderer zu relativieren und zu verharmlosen, lösten sie damit eine der heftigsten öffentlichen Kontroversen der deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Das politische Vorhaben der revisionistischen Historiker scheiterte weitgehend.
Schon kurze Zeit später jedoch, nach dem Untergang der DDR 1989/90, kam der Versuch der Relativierung der NS-Verbrechen in Deutschland erneut wieder in Mode und hält bis heute an. Unter Verweis auf die Bombardierung deutscher Städte im II. Weltkrieg, Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus osteuropäischen Ländern am Ende des II. Weltkrieges und die Teilung Deutschlands im Gefolge des Endes der Anti-Hitler-Koalition mit dem Beginn des Kalten Krieges erlebte die Relativierung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Aufschwung. Für den Zentralrat der Juden in Deutschland sprach Salomon Korn im Januar 2004 von einer neuen "Waagschalenmentalität".
In seinem neuen Buch "Dämonisierung durch Vergleich" geht der Historiker Wolfgang Wippermann einem Teil dieses neuen schwelenden Historikerstreits nach. Er verortet seinen ideenpolitischen Kern in einer neuen Popularität der Totalitarismustheorien. Das Buch ist auf jeden Fall empfehlenswert. Bei genauer Lektüre stellen sich jedoch einige Fragen, denen Wolfgang Wippermann — zumindest in diesem Buch — ausweicht.
Im ersten Kapitel seines Buches ("Theorien und Begriffe") zeichnet Wolfgang Wippermann die politischen Konjunkturen der Totalitarismustheorien nach. Die Gleichsetzung von Bolschewismus und Nationalsozialismus begann mit dem Aufstieg des Faschismus in Italien. Sie erlebte eine zweite Konjunktur seit dem Hitler-Stalin Pakt und bildete nach dem II. Weltkrieg bis zum Ende der 60er Jahre die ideelle Legitimationsphilosophie des Westens. Ohne Übertreibung kann man sagen, die Totalitarismustheorien waren in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die wichtigsten Legitimationsphilosophien der Bundesrepublik. Seit dem Untergang der DDR ist ein erneuter Aufschwung der Totalitarismustheorien zu verzeichnen.
Die Parallelität der ideenpolitischen Konjunkturen der Totalitarismustheorien mit politischen Problemstellungen der westlichen Demokratien ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb Wippermann sie im Kern für politische Legitimationsphilosophien hält, die analytisch keinerlei Relevanz beanspruchen können. Es handle sich, so Wippermann in seinem Buch wörtlich, "beim Totalitarismus mehr um eine politische Doktrin als um eine politikwissenschaftliche Theorie".
In ihrem begrifflichen Kern hält Wippermann sie für unzureichend, da sie (1.) nicht vergleichbare Phänomene miteinander gleichsetzen, (2.) zu statisch angelegt sind um die Entwicklungsdynamik autoritärer Gesellschaften unterschiedlichen Zuschnitts angemessen analysieren zu können und (3.) in der ideellen Gleichsetzung von faschistischer und kommunistischer Ideenwelt, schlicht den aufklärerischen und emanzipativen Kern sozialistischer Kapitalismuskritik leugnen.
Im zweiten Kapitel seines Buches ("Diskurse und Kontroversen") führt Wippermann Diskursfelder vor, in denen seit dem Untergang der DDR eine Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der DDR stattfindet. Besonders hervorgehoben werden die Gleichsetzung der Stasi mit der Gestapo und die Gleichsetzung der sowjetischen Speziallager mit den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Dieses Kapitel ist besonders ergänzungsbedürftig, denn viele andere Diskursfelder (Vertreibung von Deutschen nach 1945, Bombardierung deutscher Städte während des II. Weltkrieges, u. a.) der deutschen Selbstexkulpationsdebatte, tauchen darin gar nicht oder nur unzureichend auf. Das Kapitel beschränkt sich darüber hinaus auf die deutsche Debatte. Der Aufschwung des Totalitarismuskonzepts in Osteuropa seit dem Untergang des sowjetischen Imperiums, der im Kontext der Auseinandersetzung um die verschiedenen Vergangenheiten dieser Länder seit den 30er Jahren steht, wird nicht behandelt. Auch die Kontexte der Totalitarismuskonjunktur in anderen westlichen Ländern bleiben unbehandelt.
Im dritten Kapitel ("Institutionen und Personen") beschreibt Wippermann vor allem die Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages, den Forschungsverbund SED-Staat, die Stasi-Unterlagen Behörde (BStU) und den Publizisten und Leiter des ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnisses der Stasi, der heutigen Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe.
Dieses Kapitel ist trotz vieler treffender Beschreibungen besonders ungenügend. Insbesondere die Charakterisierung des Anliegens und der Forschungen der so genannten "Gauck-Behörde" sind enttäuschend. Die vielen ganz unterschiedlichen Forschungs-Beiträge der Gauck-Behörde wie auch die verschiedenen Interventionen ihrer Repräsentanten, lassen sich nicht über einen Kamm scheren, sie folgen auch keineswegs alle dem Totalitarismuskonzept.
In diesem letzten Kapitel des Buches wird ein zentrales Manko des gesamten Buches besonders sichtbar. Wippermann lehnt aus guten Gründen eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus wie sie von den meisten Totalitarismustheorien entweder explizit oder implizit betrieben wird ab.(1) Er stellt sich jedoch der Frage nicht, mit welchen analytischen Konzepten denn die kommunistischen Regime in Europa und ausserhalb Europas angemessener zu fassen und zu beschreiben wären. Dies freilich wäre notwendig. Die zeitgeschichtliche Forschung wird diese Gegenstände ja nicht einfach ausklammern können. Auch ein tatsächlicher Vergleich ihrer Verbrechen und ihrer Ursachen mit denen des Nationalsozialismus — wie das z. B. in der Völkermordforschung geschieht — ist dabei nicht von vornherein abzulehnen, sondern geradezu notwendig.(2)
Darüber hinaus unterscheidet Wippermann nicht zwischen den Totalitarismuskonzepten selbst und den mit ihnen häufig verbundenen erinnerungspolitischen Diskursen. Nicht alle derjenigen, die sich analytisch bei dem Versuch die DDR, die anderen osteuropäischen Regime oder linker Bewegungen zu beschreiben der Totalitarismuskonzeptionen bedienen, lassen sich in der Bundesrepublik oder ausserhalb einfach der Seite der Relativierer der Verbrechen des Nationalsozialismus zuschlagen.
Trotz dieser Einwände ist das Buch Wolfgang Wippermanns dem kritischen Leser ans Herz zu legen. In der Tat ist die neue Konjunktur der billigen rot gleich braun Gleichsetzerei, die "Waagschalenmentalität", ein beunruhigendes Phänomen, ein Kennzeichen einer neuen und doch so alten (nicht nur) deutschen Selbstexkulpationskultur. Deren Quellen lassen sich jedoch womöglich besser mit dem Instrumentarium der Forschung zur politischen Kultur eruieren. Der Blick auf die Totalitarismustheorien allein ist dabei zu eng.
Wolfgang Wippermann
Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich
Berlin 2009, Rotbuch Verlag, 160 S., 9.90 ‚¬uro, Bestellen?
Anmerkungen:
(1) Ich selbst verdanke den Wippermannschen Interventionen wichtige Erkenntnisse. Als Wolfgang Wippermann, Jürgen Kocka, Peter Steinbach, Gesine Schwan u. a. am Ende der 90er Jahre den Forschungsverbund SED-Staat angriffen, dem ich damals angehörte, fand ich ihre Kritik überzogen. Ich habe die Kritik deshalb auch entsprechend zurückgewiesen. Ich fand mich bereits wenige Wochen nach Wippermanns Kritik an der Seite eines Bernd Rabehl wieder, ebenfalls Mitarbeiter im Forschungsverbund SED-Staat, der vor der rechtsradikalen Burschenschaft "Danubia" eine völkische und sekundärantisemitische Rede gehalten hatte. Die Kollegen des Forschungsverbundes SED-Staat, die ich noch wenige Wochen zuvor gegen Wippermanns Vorwurf in Schutz genommen hatte, den Nationalsozialismus zu verharmlosen, waren nicht bereit Bernd Rabehl wegen seines Referates öffentlich zu rügen, oder sich gar von ihm zu trennen. Ich habe Bernd Rabehl seither öffentlich attackiert und den Forschungsverbund verlassen. Wippermanns aufmerksame und leidenschaftliche Attacken spielten dabei eine wichtige Rolle.
(2) Siehe z. B.: Gunnar Heinsohn, Lexikon der Völkermorde, Reinbek bei Hamburg 1998.
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