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Vom Verschwinden der Juden

In den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, hat der lokalgeschichtliche sowie biografisch orientierte Ansatz Verbreitung gefunden. Der Journalist Ulrich Völklein, welcher in den letzten Jahren diverse Publikationen über den Nationalsozialismus vorgelegt hat, erbt in den 1990er Jahren in seinem kleinen fränkischen Dorf Geroldshausen ein Feld…

Von Roland Kaufhold

judenackerBereits in seiner Kindheit sprach man hierbei vom „Judenäckerle“, ohne dass hierzu Näheres zu erfahren war. Auch lebten keine Juden in Geroldshausen, und man schien sich auch nicht an solche Mitbürger erinnern zu können. In dem einführenden Kapitel „Das Erbe“ führt Völklein aus: „Es gibt keine Juden in Geroldshausen. Es gab Juden in Geroldshausen. Es müssen dort Juden gelebt haben, denn wie wäre der Acker sonst zu seinem Namen gekommen? Wer mit Menschen, die heute dort wohnen, spricht, wird von den Geroldshäuser Juden nur wenig oder gar nichts erfahren. Da ist nichts, was an sie erinnert, keine Gedenktafel an einem Haus und kein Strassenschild, kein Grab auf dem Friedhof "“ (S. 11 f.)

Dieses Erbe wurde als Verpflichtung, aber auch als Chance gesehen, die familiäre und dörfliche Geschichte aufzuarbeiten. In einer gelungenen, literarisch ansprechenden Mischung aus biographischer Rekonstruktion sowie historischer und lokalgeschichtlicher Forschung rekonstruiert Völklein das Schicksal mehrerer jüdischer Familien seines Heimatdorfes wie auch einiger lokaler Protagonisten des Nationalsozialismus — hierunter auch seines Vaters.

Die scheinbar ausgelöschte Vergangenheit wird bedrückend gegenwärtig, was durch das Überleben einer jüdischen Familie Geroldhausens — die Übrigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet — überhaupt erst ermöglicht wurde. Hauptprotagonisten seiner erzählten Geschichte sind hierbei Eduard Wirths, der als SS-Standortarzt in Auschwitz tätig war, sein Vater Günther Völklein, der als Untersturmführer bei der Waffen-SS war — sowie Heinz Maier, Sohn des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Geroldshausens, dessen Spuren er in den USA wiederfand.

Völklein zeichnet die Geschichte der gesellschaftlichen Aussonderung, Entrechtung, Deportation und Ermordung der Geroldhausener Juden nach, wie auch die Geschichte der gesellschaftlichen Reintegration der SS-Täter in die Dorfgemeinschaft nach dem Krieg. Parallel hierzu erzählt er das Schicksal von Heinz Maier, der bei Kriegsende als amerikanischer Soldat an den Ort seiner Jugend zurückkehrt. Es war ihm gelungen, 1941, unmittelbar vor seiner Flucht, das Archiv der jüdischen Gemeinde seiner Heimat zu verstecken. Nach dem Krieg rettet er dieses Vermächtnis, kehrt wieder in die USA zurück und führt gemeinsam mit seinen Eltern einen — weitgehend vergeblichen — Kampf um eine zumindest symbolische Wiedergutmachung.

Ulrich Völklein: Der Judenacker. Eine Erbschaft, Psychosozial Verlag 2004, Euro 22,00, Bestellen?

Diese Rezension ist zuvor im vom Fritz Bauer Institut herausgegebenen Newsletter Nr. 26 (Herbst 2004) erschienen. Wir danken dem Fritz Bauer Institut herzlich für die Nachdruckerlaubnis.

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