„Von dem Leben, von den Lieben, / denen ich so weit entrückt / sind in meiner Hand geblieben / Zauberblumen, die ich pflückt. In den Märchen, in den Träumen, / die sich meiner mild erbarmen / wandele ich in schönen Räumen / lebe in der Liebe Armen. […] Doch wenn grausam Wirklichkeiten / mich aus meine Träumen wecken / packt mich Finsternis und Leiden / und der Gram schleicht um die Ecken / Und nur meine armen Lieder / kühlen meinen heißen Schmerz / singen meinen Kummer nieder / löschen leise meine Tränen“, schreibt Edith Jacobson irgendwann zwischen 1935 und 1936 in ein schwarzes Heft im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit…
In diesen Zeilen spiegelt sich all das Elend und die Angst, die die jüdische Psychoanalytikerin durchmachen musste, als sie wegen Hochverrats angeklagt und inhaftiert wurde. Ihre Gefängnisaufzeichnungen (mit Faksimiles) wurden nun von Judith Kessler und Roland Kaufhold herausgegeben.
Edith Jacobson, die 1897 in eine jüdisch-assimilierte Arzt-Familie geboren wurde, studierte in Jena, Heidelberg und München Medizin und wurde schließlich in Berlin Psychoanalytikerin und Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Jacobson spürte früh die Gefahr, die von Hitler ausging, aber statt zu emigrieren, engagierte sie sich in der Widerstandsgruppe „Neu beginnen“- bis sie von der Gestapo verhaftet wurde. Einige ihrer Kollegen reagierten besorgt und erschreckt, andere wiederum „insbesondere sofern sie keine Juden und insofern sie nicht persönlich bedroht waren, fühlten sich offenkundig nicht durch die Entrechtung und Gefährdung Jacobsons in ihrem Seelenleben gestört. Sie fürchteten vielmehr, hierdurch nun selbst Gegenstand von direkten Verfolgungsmaßnahmen zu werden,“ stellt Roland Kaufhold fest, und Judith Kessler schreibt: „Tatsache ist, dass ihr – der Jüdin und vermeintlich unpolitischen und neutralen Person – von Kollegen Täuschung, Verrat und Illoyalität vorgeworfen und ihr Name aus der Mitgliederliste der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft gestrichen wurde.“ Andere Kollegen jedoch versuchten, ihr zu helfen und sie aus der Haft frei zu bekommen, was 1938 dann auch gelang. Edith Jacobson konnte über die Tschechoslowakei nach New York fliehen.
Dass ihre Gefängnisaufzeichnungen nun publiziert werden konnten, lässt sich auf die Beharrlichkeit eines schwarzen Hefts zurückführen. In diesem Heft, das Judith Kessler im Nachlass ihrer Mutter fand, waren eben jene Aufzeichnungen von Edith Jacobson. Und diese Notizen waren sehr aufdringlich. Denn sowohl 1988 zum ersten, 1995 zum zweiten und 2005 zum dritten Mal versuchten sie, die Aufmerksamkeit von Judith Kessler zu bekommen, doch immer wieder wurden sie beiseite gelegt. Erst 2014, nach einem Gespräch mit Roland Kaufhold, hat sich Judith Kessler das Heft näher angesehen. Und dann recherchiert. Und von weiteren schwarzen Heften gelesen. Und festgestellt, wie verwoben ihr Leben mit dem von Edith Jacobson ist. Spannend wie ein Krimi liest sich diese Geschichte, die gleichermaßen von Edith, als auch von Judith erzählt. Und die zeigt, dass sich auch andernorts die Notitzen von Jacobson aufgedrängt haben.
Gut so! Denn so lernen wir eine Frau kennen, deren Stärke und Willenskraft beeindruckend sind, und deren Gedichte, Texte und Analysen uns viel erzählen. Von damals und von heute.
Edith Jacobson, Gefängnisaufzeichnungen. Mit einem Vorwort von Hermann Simon, herausgegeben von Judith Kessler und Roland Kaufhold, Psychosozial-Verlag 2015, 247 S. Euro 29,90, Bestellen?
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