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Das wortreiche deutsche Schweigen

Eine Abrechnung von Peter Ambros…

Von Roland Kaufhold

Peter Ambros, 1948 in der Tschechoslowakei geboren und aufgewachsen, er musste das Land als Jude 1968 verlassen, legt einen wortgewaltigen Band vor – nach einer längeren Periode des eigenen literarischen Schweigens. „Das wortreiche deutsche Schweigen“ ist er betitelt, worin sich Ambros´ Groll, z.T. auch seine tiefe Bitterkeit über viele Entwicklungen in der jüngeren deutschen „Erinnerungskultur“ ausdrückt – bis hin zu den ungeheuerlichen NSU-Morden, die Ambros erschüttert haben. Sie gaben wohl den letzten Anlass zum Verfassen dieser zornigen Abrechnung.

„Ich rechne ab“ lautet sein einführender Essay. Und so geht es auch los: „Ich rechne ab mit vier Jahrzehnten Heuchelei und Selbstbetrug, die ich in Deutschland über mich ergehen ließ. Ich rechne ab mit der Lüge von der Kollektivschuld der Deutschen. Ich rechne ab mit der Weigerung, das Aussprechen der Wahrheit über die Geschichte der Hitlerei und über den Umgang mit dieser Geschichte in der Gegenwart zuzulassen. Ich rechne ab mit dem Gedenken und seinen Ritualen. Ich habe die Nase voll.“ (S. 13)

Peter Ambros ist als langjährigem Publizisten und Funktionär – er war, nach einem Studium der Geschichte und Judaistik u.a. von 1986-1998 als enger Mitarbeiter von Heinz Galinski Pressesprecher der Jüdischen Gemeinde Berlins und ist seit 2001 Referent des Oberbürgermeisters von Chemnitz – die Instrumentalisierung von „unbotmäßigen“ Äußerungen gerade von jüdischen Autoren sehr vertraut. Deshalb schiebt er gleich hinterher: „Um dem zu erwarteten Missbrauch meiner Abrechnung vorzubeugen, möchte ich gleich vorausschicken: Ich bin Jude und lebe nur dank der Tatsache, dass meine Eltern – anders als ihre Mütter und viele Geschwister – zufällig nicht vergast worden sind. Und ich habe den Mördern meiner Großmütter nicht verziehen, verzeihe ihnen nicht und werde ihnen nicht verzeihen. (…) Ich hasse die Mörder von ganzem Herzen und wünsche ihnen, falls sie noch leben, alles Schlechte und die Krätze an den Leib. Das insgesamt ist mein großes Unbehagen.“ (S. 12)

Peter Ambros schreibt in seinen im Buch versammelten 15 Essays immer wieder über die deutsche, die fantasierte Schuld, das schlechte Gewissen – und das hieraus erwachsene verleugnende Agieren. Günter Grass und Martin Walser (für die Ambros im Buch immer wieder, in mich befremdender Weise, Verständnis äußert)  als „politische Schriftsteller“ symbolisieren diese Form des Recht-haben Müssens, des Agieren. Demgemäß konstatiert Ambros in kompromissloser sprachlicher Eindeutigkeit, zum Glück dennoch nicht frei von Selbstironie:
„Was mich an normalen zwischenmenschlichen Beziehungen mit Deutschen hindert, ist ihr durch Infiltration eingebildetes schlechtes Gewissen. Und dieses Buch ist der größenwahnsinnige Versuch, die in meinen Augen kranke deutsche Seele einer Therapie zu unterziehen. Wenn Sie sich darauf einlassen, sollen Sie am Ende nicht sagen können, ich hätte Sie nicht gewarnt.“ (S. 15)

Es folgen Abhandlungen u.a. über „Der Fall Lea Rosh“, „Der Fall Nachmann“, „Der Fall Historikerstreit“, „Der Fall Staat Israel“, „Der Fall Adorno“ und „Lehren aus der Vergangenheit?“. Keine leichte Kost, durchgehend. Ansichten und Erfahrungen eines Zeitgenossen, eines Beteiligten und doch der Majorität fernstehenden Beobachters.

Für Walser hatte er anfangs viel Verständnis, hatte dieser sich doch in den 68er Jahren – ganz im Zeitgeist und wie bereits seinerzeit in anklagend-rechthaberischer Manier – mit den deutschen Verbrechen auseinander gesetzt. Als braver DKP-Sympathisant wusste Walser bereits vor gut 40 Jahren, wer zu „den Guten“ und wer zu „den Bösen“ gehörte. Irgendwann hatte er genug von den deutschen Verbrechen, von der Schoah – und lebte seine Antipathie „gegen Juden“ sehr ungebremst aus. Sein öffentlich gefeiertes Agieren in der Frankfurter Paulskirche gegen ein Erinnern an deutsche Verbrechen bildete eine Zäsur in der „Verarbeitungsgeschichte“ der Bundesrepublik.

Hellhörig wurde Peter Ambros erst, als er der verbreiteten modernen antisemitischen Strategie Walsers gewahr wurde: Walser mochte durchaus Juden, kein Zweifel – jedoch nur die, die assimiliert sind, die ihre eigene Regierung, ihr eigenes Land scharf kritisieren – und „die Deutschen“ nicht mehr mittels ihrer bloßen Existenz an ihr Fantasma von Schuld erinnern: „Mit anderen Worten: Die Toleranz bis Zuneigung des Autors gilt nur Juden, die weder jüdisch empfinden noch jüdisch aussehen. Eine solche Aussage macht in meinen Augen aus dem Autor einen Antisemiten, ob er sich seines Antisemitismus nun bewusst ist oder nicht.“ (S. 29) Eine sehr zutreffende Interpretation.

Die Fernsehmoderatorin Lea Rosh lernte Ambros 1978 nach Abschluss seines Studiums an der Berliner Universität kennen: Da er keine akademische Stelle fand, jedoch einen kleinen Sohn hatte, arbeitete er als Auslieferer eines größeren Berliner Weinhändlers. Regelmäßig brachte er Lea Rosh einige Flaschen erlesenen Weines in deren Privatwohnung, erhielt hierfür „vernünftiges Trinkgeld“ (S. 39). Einige Jahre später erlebte er sie als scharfzüngige Moderatorin der Talkshow „3 nach 9“, später dann als vehemente Kämpferin für das monumentale Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden. Seine anfängliche Sympathie verwandelte sich in abgrundtiefe Enttäuschung: Sehr scharf hatte sich Ambros mit dem bekannten stark rechtslastigen Berliner CDU-Politiker Heinrich Lummer auseinander gesetzt, wegen dessen Kontakten zu rechtsradikalen Kreisen. Als er erfuhr, dass Lea Rosh Lummer in ihre Talkshow einzuladen gedachte schrieb er ihr einen längeren Brief, mit zahlreichen Belegen für Lummers Kontakten zu Rechtsradikalen. Dies kam in der „kritischen“ Talkshow mit keinem einzigen Wort  zur Sprache: „Von der hartnäckigen Fragerin keine Spur, brav wie ein Lämmchen.“ (S. 48) Für Ambros eine verstörende Erfahrung, symptomatisch für das „wortreiche deutsche Schweigen“.

Ausführlich und in autobiographischer Offenheit beschreibt Peter Ambros seine eigenen seelischen Erschütterungen nach dem Besuch eines Wochenendseminars zum Thema „Zweite Generation nach der Schoah“ im Jahr 1992. Die Erfahrungen bildeten eine Zäsur in seinem Leben, nun vermochte er seiner eigenen verstörenden Familienbiografie nicht mehr auszuweichen. Die Schoah war kein bloß historisches, gesellschaftliches Ereignis mehr – sie wurde zu seinem eigenen, individuellen Trauma. Hiervon vermochte er sich kaum noch zu erholen, so wirkt es. Das „deutsche Schweigen“ raubte ihm die Luft zum Atmen, zum Weiterleben.

Wohl wurde in Deutschland immer wieder über die nationalsozialistischen Verbrechen „der Nazis“ geschrieben – in sehr viel geringerem Maße jedoch über die Verstrickungen der eigenen Familie in den Nationalsozialismus, über ihre Rolle als Täter, Zuschauer oder – ganz gelegentlich – als Retter.

Deutsche, so erlebte er es immer wieder, blieben in ihrer Geschichte gefangen – allen „Bearbeitungsversuchen“ zu Trotz: „Es kann keine unbefangenen deutschen Stimmen zum Thema Hitler und Judenvernichtung geben, und das ist zum gegebenen Zeitpunkt gut so. Gäbe es sie, würde es bedeuten, dass Deutschland eine Vergangenheit bewältigt hat, die man nicht bewältigen kann. Daher kann man keine deutsche Bewertung eines Films wie Schindlers Liste als objektiv gelten lassen, selbst wenn sie sich hinter wissenschaftlichen oder ästhetisierenden Theorien verschanzt“ (S. 124), resümiert Ambros. Und an anderer Stelle bemerkt er: „Was ich mit dieser Geschichte dokumentieren möchte, ist, dass es mir unmöglich erscheint, im 20. Jahrhundert Israel von Deutschland aus objektiv oder gar unbefangen wahrzunehmen.“ (S. 107)

Am Ende dieses schwierigen Werkes kommt  Ambros – der sich, so macht es den Eindruck, in Deutschland nie „zu Hause“ fühlte – noch einmal ausführlich auf seine Erfahrungen beim Treffen mit Bekannten der zweiten Generation der Überlebenden zurück. Zwei Jahre lang besuchte er diese Seminare. In einer Arbeitsphase sollten die zehn Gruppenteilnehmer versuchen, sich in die Gefühlswelt ihrer Eltern während der Gefangenschaft im Konzentrationslager zu versetzen.

Ein Ausschnitt sei zitiert:
„…Nach und nach begannen wir über unsere Kindheitserlebnisse zu erzählen, und die Atmosphäre veränderte sich schlagartig. (…) Mich überkam auf einmal ein nie zuvor gekanntes wohliges Gefühl: Ich befand mich zum ersten Mal in meinem vierundvierzigjährigen Leben (1992, RK) in einer Gruppe von Menschen und spürte, dass ich nicht auf der Hut zu sein brauchte, dass mir hier auf keinen Fall von jemandem eine Gefahr drohte, dass ich mich in einem angstfreien Raum aufhielt.“ (S. 165). Zwei Jahre lang besuchte er diese esra-Seminare. Seine Einstellung zu seiner deutschen Umwelt veränderte sich hierdurch sehr.

Ein äußerst schwieriges Leben. Eine zornige Abrechnung. Gewidmet „Für Frau Bundeskanzler“ (S. 6)

Peter Ambros: Das wortreiche deutsche Schweigen. Hamburg, Argument  Verlag 2013, 191 S., gebunden, 18,- Euro, Bestellen?

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