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Die Deportationen der mainfränkischen Juden 1941-44

Band beleuchtet historische Hintergründe und aktuelle Erinnerungskultur…

Am 10. Mai 2011 versammelten sich in Würzburg mehr als 3.000 Menschen am Platz’schen Garten. Von diesem Ort, einem ehemaligen Gartenlokal mit großen Festsälen, wurden im April 1942 über 850 Juden aus Würzburg und den mainfränkischen Gemeinden nach Krasniczyn deportiert. Krasniczyn war ursprünglich ein kleines Dorf im Bezirk Lublin; gut die Hälfte der Bewohner waren Juden. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion errichteten die Deutschen dort ein Transitlager, insbesondere für jüdische Deportierte aus dem Reichsgebiet. Der Transport aus Würzburg verlief ohne „besondere Vorfälle“, wie der zuständige Kriminaloberassistent mitteilte. Nur wenig später wurden die Verschleppten in die Vernichtungslager Sobibor oder Belzec gebracht. Insgesamt lassen sich zwischen 1941 und 1944 acht sogenannte Evakuierungs-Transporte mainfränkischer Juden belegen. Von den 2069 Männern, Frauen und Kindern überlebten lediglich 60 – das sind knapp drei Prozent.

Mit Namenstafeln für die Ermordeten in den Händen erinnerten im Frühjahr 2011 Menschen aus der Region um Würzburg sowie Nachkommen jüdischer Familien an dieses dunkle Kapitel der mainfränkischen Geschichte. Der Schweigemarsch folgte dem Weg vom Platz’schen Garten bis zum Güterbahnhof „An der Aumühle“, wo am 25. April 1942 der Todeszug nach Ostpolen abfuhr.

Auf dem Weg zum Güterbahnhof „Aumühle“
Auf dem Weg zum Güterbahnhof „Aumühle“, Foto: aus dem besprochenen Band

Mit der Publikation „Deportationen und Erinnerungsprozesse in Unterfranken und an den Zielorten der Transporte“ liegt nun ein Buch vor, das sowohl die historischen Ereignisse dokumentiert, wie auch die Erinnerungskultur vor Ort etwa in Riga, Ostpolen, Theresienstadt und Auschwitz beschreibt. Der Band richtet sich nicht an ein Fachpublikum, sondern will eine breite Leserschaft, in verständlicher Form, jedoch auf wissenschaftlicher Basis, über die Deportationen aus Mainfranken und die Lager im Osten informieren. Abgerundet wird die Publikation mit sehr individuellen Eindrücken von Teilnehmern an Gedenkaktivitäten, darunter Lehrer, die mit ihren Schülern einige Deportationsziele besucht hatten. Dabei irritiert der Reisebericht von Albrecht Fürst zu Castell-Castell, dem in Auschwitz von „messianischen Juden“ seine Sünden und die seiner Familie „vergeben“ wurden. Somit wird allerdings der Hinweis der Herausgeberin verständlich, dass jeder Autor „für seinen Text allein verantwortlich“ sei.

Deportationen und Erinnerungsprozesse in Unterfranken und an den Zielorten der Transporte Gleichwohl ist der Band als Überblickswerk für ein dunkles Kapitel der regionalen NS-Geschichte geeignet, gibt er doch einen Einblick in die örtlichen und zeitlichen Abläufe der Deportationen in Würzburg und ihre heutige Verankerung in der lokalen und internationalen Erinnerungskultur. (jgt)

Rotraud Ries/Elmar Schwinger (Hg.), Deportationen und Erinnerungsprozesse in Unterfranken und an den Zielorten der Transporte, Würzburg 2015, 113 Seiten, zahlr. Abb., 12,00 €, Bestellen?

Buchvorstellung, Donnerstag, 16. April 2015, 19.30 Uhr im Shalom Europa, David-Schuster-Saal, Valentin-Becker-Str. 11, Würzburg.
Der Eintritt ist frei.

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