Jüdische Mediziner in der Stadt der Reichsparteitage…
Bereits im Sommer 1933 erkannte Dr. med. Lazarus Eisemann die Zeichen der Zeit und flüchtete mit seiner Familie aus Deutschland. Noch im Ersten Weltkrieg hatte er als Militärarzt gedient. Danach ließ er sich in Nürnberg nieder und praktizierte bis zum Entzug seiner Kassenzulassung als Allgemeinmediziner. Zunächst hoffte Lazarus Eisemann in Frankreich Fuß fassen zu können – vergeblich.
1935 siedelte die deutsch-jüdische Familie deshalb nach Palästina über, ließ sich im Moschaw Neve Yaakov bei Jerusalem nieder und versuchte sich – aufgrund eines Überangebots von Ärzten, zumeist aus Deutschland – für einige Jahre in der Landwirtschaft. „Für die Viehzucht war mein Vater völlig ungeeignet“, erinnert sich Sohn Kurt. „Eine Kuh starb an einem verschluckten Nagel, ein eingeschlichener Marder tötete ein Dutzend Hühner und eine ansteckende Krankheit forderte weitere Opfer.“
Dr. Lazarus Eisemann und seine Kinder versuchten sich in Palästina als Hühnerzüchter. Repro: nurinst-archiv
Es gelang Dr. Eisemann in Jerusalem eine kleine Praxis zu eröffnen und privat medizinischen Unterricht für Pflegekräfte anzubieten. Später erhielt er eine Anstellung im staatlichen israelischen Gesundheitswesen, wo er bis zu seiner Pensionierung im Bereich medizinische Vorsorge und Gesundheitsförderung tätig war. Lazarus Eisemann war einer von 90 Nürnberger Ärzten, denen die Auswanderung gelang: 42 emigrierten in die USA, 19 nach Palästina und 14 nach England. Die restlichen fanden Aufnahme in anderen Ländern. 18 wurden deportiert, fünf in den Freitod getrieben. Nur zwei jüdische Ärzte haben in Nürnberg überlebt.
Bild: Der in Nürnberg verlegte Stürmer diffamierte die jüdischen Ärzte als skrupellose Verbrecher. Repro: nurinst-archiv
Wenngleich der Prozess der sozialen Ausgrenzung und wirtschaftlichen Vernichtung von jüdischen Ärzten reichsweit ähnlich verlief, nahm Nürnberg doch aufgrund seiner propagandistischen Vorbildfunktion und des von Gauleiter Julius Streicher befeuerten eliminatorischen Antisemitismus eine Sonderstellung ein. Zwar wurden in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen über die Zeit des Nationalsozialismus in Nürnberg erarbeitet, trotzdem fehlte bislang eine detaillierte, lokalhistorische Studie mit biografischem Schwerpunkt über die verfolgten jüdischen Mediziner. Nachdem vergleichbare Dokumentationen in Hamburg, Berlin, München, Hannover, Frankfurt, Bremen und Stuttgart erschienen sind, hat sich der ehemalige Oberarzt am Städtischen Klinikum Nürnberg, Dr. Bernd Höffken, dieses Themas angenommen.
Sein akribisch zusammengestelltes Überblickswerk „Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933“ dokumentiert die Lebensläufe von 133 jüdischen Ärzten während des NS-Regimes. Daneben bietet das Buch eine kompetente historische Einführung und erläutert die Hintergründe zum Berufsverbot jüdischer Ärzte, die letztlich zur Flucht führten oder in der Vernichtung endeten. Ein Personenregister rundet den empfehlenswerten Band ab, der den hohen Kriterien, die an ein Standardwerk anzulegen sind, genügt und der damit als ein Wegweiser für künftige Forschungen anzusehen ist. – (jgt)
Bernd Höffken, Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933, Berlin 2013, 456 Seiten, € 29,90, Bestellen? – LESEPROBE
Mehr über die vertriebenen deutsch-jüdischen Ärzte und ihre Leistungen beim Aufbau des israelischen Gesundheitswesens erfahren Sie hier:
http://aerzte.erez-israel.de/
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