Kategorien / Themen

Werbung

Verratene Treue

Mit der Veröffentlichung der Dokumentation “Verratene Treue – Jüdische Militärgeistliche in der deutschen Armee während dem Ersten Weltkrieg“ im September 2013 hat deren Verfasser, der Arzt und berühmte Mikrobiologe Professor Dr. PhD Peter C. Appelbaum ein absolutes Novum geschaffen: Zum ersten Mal wurde in englischer Sprache der Militärrabbiner in den deutschen Armeen des Ersten Weltkrieges gedacht…

Loyalty Betrayed: Jewish Chaplains in the German Army During the First World WarDer Verfasser beschreibt nicht nur streng wissenschaftlich, aber doch auch mit sehr viel persönlichem Engagement, ja, sogar mit Herzblut, ihr segenreiches seelsorgerisches Wirken zum Wohle der ihnen anvertrauten jüdischen Soldaten, er vermittelt darüber hinaus äußerst eindrucksvoll das von tiefem patriotischen Gefühl zu ihrem Kaiser und dem deutschen Vaterlande geprägte Verhalten der jüdischen Militärgeistlichen an allen Fronten des Ersten Weltkrieges. Dazu hat er in einem eigenen Kapitel seines Werkes viele ihrer Predigten und andere schriftliche Aufzeichnungen aus dem Deutschen ins Englische übersetzt – eine unglaubliche, nicht genug zu würdigende Leistung, die beispiellos ist! Dem interessierten Leser werden aber nicht nur die außergewöhnlichen Leistungen der deutschen Feldrabbiner vorgestellt, sondern auch der äußerst schäbige und beschämende „Dank des Vaterlandes“, dem sie nach dem verlorenen Krieg in nationalsozialistischen Deutschland ausgesetzt waren, von den Leiden in Konzentrationslagern bis zur Ermordung von vier von ihnen durch die NS-Verbrecher.

Nach einer Seite des Gedenkens – Zachor! – einem Vorwort von Rabbiner Jonathan Wittenberg und einer geschichtlichen Einführung von Professor Michael A. Meyer macht Peter Appelbaum in einem ersten Kapitel seiner 358 Seiten umfassenden Dokumentation – „1813 – 1871“ – den Leser mit der Situation der jüdischen Soldaten in allen Kriegen dieser Zeitspanne – vom Befreiungskrieg gegen Napoleon bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 vertraut. Obwohl die jüdischen Soldaten in allen diesen militärischen Auseinandersetzungen genauso tapfer kämpften wie ihre christlichen Mitstreiter konnten sie – zumindest in fast allen damaligen deutschen Armeen – keine Offiziere werden und sie wurden auch nicht von Militärrabbinern, sondern nur von wenigen zivilen Gemeinderabbinern betreut. Dieser Zustand änderte sich erst mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges.

In den nächsten fünf Kapiteln stellt der Verfasser – exemplarisch für alle damaligen deutschen Militärrabbiner – die folgenden jüdischen Feldgeistlichen vor: Rabbiner Georg Salzberger, Rabbiner Martin Salomonski (den er einen Zola in Uniform nennt), Rabbiner Bruno Italiener, Rabbiner Leo Baeck (Militärgeistlicher und neo-kantischer Philosoph) sowie Rabbiner Aaron Tänzer (den „Erfinder der Suppenküchen“). Die Beschreibungen der Rabbiner sind alle von bestechender und klarer Geradlinigkeit, von bestem historischen Stil, im Sinne der guten alten Linie, die von Mommsen bis Stern reicht. Die Stimmen der kleinen Leute werden wieder lebendig – so lange nach all dem Unglück, das der Erste Weltkrieg auslöste.

Im siebenten Kapitel mit der Überschrift „Sabbathgedanken“ macht Peter Appelbaum die Leser mit einer Vielzahl von Predigten der Feldrabbiner sowohl zum Sabbath als auch zu den jüdischen Feiertagen bekannt – darunter die der schon bekannten Geistlichen, aber auch von den Rabbinern Emil Levy, Georg Wilde, Leopold Rosenack, Reinhold Lewin. Leo Baerwald und Max Wiener. Alle diese Predigten sind ein leuchtendes, sehr stark bewegendes Beispiel nicht nur des ungeheuren Patriotismus, sondern besonders auch des sehr stark ausgeprägten seelsorgerischen Fühlens der Militärgeistlichen für die ihnen anvertrauten Soldaten (und auch Zivilisten im Feindesland).

Während das achte Kapitel die Gedanken von Rabbiner Reinhold Lewin: „Der Krieg ist eine jüdische Erfahrung“ wider gibt und das neunte die Grüße diverser Feldrabbiner zu den Hohen Feiertagen im Kriegsjahr 1915 zum Inhalt hat, befasst sich das zehnte mit den Inhalten von zwei der vielen Rabbinerkonferenzen im Osten und im Westen zwischen 1916 und 1918.

Ein sehr beeindruckendes, tiefschürfendes Nachwort des Verfassers, eine gut verständliche Übersicht über die Lebensläufe von 29 der ungefähr 35 Feldrabbiner und 4 der 19 Hilfsrabbiner und Rabbiner, die als Soldaten dienten (mit Name, Herkunft, Erziehung/Bildung, beruflichen und militärischen Tätigkeiten), eine Übersicht über die deutschen militärischen Dienstgrade im Ersten Weltkrieg, eine weitere Übersicht über hebräische und jüdische religiöse Fachausdrücke, eine Erklärung der vorkommenden Ortsnamen früher und heute, eine übersichtliches Literaturverzeichnis sowie ein umfangreiches Stichwortverzeichnis runden diese exzellente, einmalige und einzigartige, mit mehreren Abbildungen versehene Dokumentation harmonisch ab.

Prof. Dr. Peter C. Appelbaum ist es durch diese seine Veröffentlichung in englischer Sprache in der Tat gelungen, den jüdischen Militärgeistlichen der deutschen Armeen des Ersten Weltkrieges und darüber hinaus allen deutschen jüdischen Soldaten in der englischsprachigen Welt ein bleibendes, ewiges Denkmal zu schaffen. Dafür gebührt ihm und allen, die ihm bei seinem Projekt hilfreich zur Seite standen der Dank aller, denen der ehrliche Umgang mit der deutschen Geschichte und darüber hinaus mit der deutsch-jüdischen Geschichte ein Herzensanliegen ist.

Es ist zu hoffen und noch mehr zu wünschen, dass diese einmalige herausragende Arbeit bald in allen Schul-, Universitäts- und Armeebibliotheken der englischsprachigen Länder unserer Erde vorzufinden sein wird. Äußerst begrüßendwert wäre es zudem, wenn diese exzellente Dokumentation in nicht allzu ferner Zukunft auch in deutscher Sprache erscheinen würde.

Peter C. Appelbaum : „LOAYLTY BETRAYED – Jewish Chaplains in the German Army During the First World War” , Valentine Mitchell Publishers, Edgware; Euro 63,87, Bestellen?

Auch zum Thema neu erschienen:

Sabine Hank, Uwe Hank, Hermann Simon
Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges
Herausgegeben von der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Hentrich & Hentrich 2013, 624 Seiten, Hardcover, 170 Abbildungen

1 comment to Verratene Treue

  • maor

    Avi Primor hat vor wenigen Tagen zu einem verwandten Thema ein Buch in deutscher Sprache vorgelegt. Titel: „Süß und ehrenvoll“

    Vermutlich naheliegender das obige Buch deutschen Lesern zu empfehlen, als ein englischsprachiges Werk, welches in der angelsächsischen Welt nur von einer kleinen historisch interessierten Randgruppe wahrgenommen werden dürfte.

    Ein deutschsprachiges Werk über die kaiserlichen Feldrabbiner (alles unbedingte Patrioten) ist ja schon vor ungefähr zwei Jahren erschienen.