Ein Leben im Zeichen der Sprache und des jüdisch-christlichen Gesprächs…
„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“
Schalom Ben-Chorin (1913-1999), bedeutender israelischer Journalist, Religionsphilosoph und Schriftsteller, verfasste diese Zeilen 1942 in Jerusalem. Der 1913 unter dem Namen Fritz Rosenthal in München Geborene lebte seit sieben Jahren in Palästina. Mitten im barbarischen Krieg, dem sein gesamtes jüdisches Volk zum Opfer zu fallen drohte, verfasste er diese hoffnungsvollen Zeilen.
Als Name ist Schalom Ben-Chorin, dieser unermüdliche jüdische Publizist, bis heute präsent. Er gilt als ein Symbol für den christlich-jüdischen Dialog. Zu seinem breitgestreuten deutschen Freundeskreis, den er auch in Jerusalem aufrecht erhielt, gehörten Thomas Mann, Max Brod, Martin Buber, Hans-Joacheim Schoeps und Leonard Ragaz. Verena Lenzen, die dessen Werkausgabe betreut hat, legt in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ – es ist bereits der Band 142! – eine knappe, bebilderte biografische Skizze vor.
Einige biografische Angaben: In München, nahe der Isar, wächst Schalom Ben-Chorin – seinerzeit hieß er noch Fritz Rosenthal – in einer alt-bayrischen, jüdisch-assimilierten Familie auf. Sein Vater stirbt, als er elf Jahre alt ist, das Gefühl des Verlustes ist er wohl nie ganz los geworden. Er interessiert sich leidenschaftlich für das Kino, ist von Charlie Chaplin begeistert. Mit zehn Jahren schreibt er spontan den Regisseur Franz Osten an – und tritt kurz darauf in einem Kostüm wie Chaplin in einem Kinofilm auf.
Bereits 1923 erlebt Schalom Ben-Chorin brutalen Antisemitismus, wodurch ihm seine jüdischen Wurzeln jäh bewusst werden: „Damals wurde ich als Jude geboren.“ (S. 15)
In der Weihnachtsnacht 1928, Ben-Chorin ist 15, verlässt er aus Protest abrupt für ein Jahr sein Ellternhaus, zieht zu einem älteren Freund – und lernt dort das orthodoxe Judentum kennen. Er schließt sich der jüdischen Pfadfinderbewegung, dem Kadima-Bund, an. 1931, gerade 18 geworden, gibt er sich einen hebräischen Namen, übersetzt: „Friede, Sohn der Freiheit“ (S. 7)
Nach dem Abitur in München macht er eine Lehre zum Buchhändler, von 1931-1934 studiert er in München Germanistik und Religionswissenschaften. 1933 veröffentlicht der 20-Jährige seine erste Erzählung in der Zeitschrift „Die Brücke“. Er verfasst zahlreiche Gedichte, auch über Jesus – diese lösen „in der jüdischen Presse einen heftigen Sturm der Empörung aus.“ (S. 21)
Am 1.4. 1933, dem „Boykottsamstag“, wird Schalom Ben-Chorin in München auf offener Straße verhaftet, blutig geschlagen. Ein Schock – und doch seine Rettung. 1934 stirbt seine Mutter – „Du warst die Heimat, warst die stille Bucht“ (S. 26) notiert er. Als Kaddisch schreibt er den Gedichtzyklus „Der Tod der Mutter“, welcher zehn Jahre später publiziert wird. Hierin heißt es:
„Ich habe nie die Einsamkeit gekannt,
Ich kannte nicht die Furcht vor leeren Stunden,
Ich kannte nicht die Tage, die wie Wunden
Dein großer Grimm mir in das Fleisch gebrannt.“ (S. 27)
1935 heiratet Ben-Chorin die gleich alte Gabriella Rosenthal, die Hochzeitsreise führt sie – mit Zwischenstation beim 19. Zionistenkongress 1935 in Luzern – erstmals nach Palästina. Sie bleiben dort, die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus haben sie erkannt. Ben-Chorin lebt anfangs als Journalist, schreibt für zahlreiche Blätter, das Überleben ist schwierig. Und doch: Der deutschen Sprache bleibt er treu, sie bleibt in seiner Seele – trotz Hitler und den deutschen Nationalsozialisten.
In seiner autobiografischen Schrift „Jugend an der Isar“ sollte er später bemerken: „Unser Verhältnis zu Deutschland und seinem Volk blieb ein ambivalentes. Wir haben dort nicht nur Leid, sondern auch Glück empfangen, vor allem aber die unverwesliche Gabe der Sprache.“ (S. 30). Und: „Heute bin ich ein israelischer Jude deutsch-jüdischer Herkunft.“ (S. 31)
Es folgen im Band knappe Beschreibungen über sein journalistisches und literarisches Wirken in Israel, wie auch über seine sehr zahlreichen Beiträge zur jüdischen Theologie, zum jüdischen Antisemitismus und zur jüdisch-christlichen Versöhnung – lange nach dem Krieg. 1956 reist er erstmals wieder nach Deutschland, mit sehr ambivalenten Gefühlen. Gegen Missionierungsversuche hat er sich immer entschieden gewandt, sie verunmöglichen jeden Dialog, jede Begegnung. In Jerusalem schreibt er Buch um Buch, bleibt dabei „dennoch“ mit seiner Kindheit in München verbunden.
Wer ihn in Jerusalem treffen wollte musste freitags nur ins Café „Atara“ in der Ben-Jehuda-Straße gehen. Dort hielt er jahrzehntelang seinen Jour fixe, inmitten von Freunden und Bewunderern. Schalom Ben-Chorin war ein überzeugter Zionist – und galt doch als ein Fremder innerhalb Israels. In Deutschland, gerade in christlichen Kreisen, wurde er immer wieder geehrt und geehrt. Zugleich wurden viele Deutsche, viele Christen hierdurch ihr Schuldgefühl los – um heute, 20 Jahre später, den demokratischen Staat Israel in heiliger Strenge und Härte wegen seines Bemühens zu überleben zu verdammen. So haben auch Ehrungen ihren Nutzen und Sinn. Am Ende ist man selbst der Sieger – und setzt seiner eigenen Geschichte den Heiligenschein auf.
Am 7. Mai 1999 stirbt der berühmte, schnauzbärtige Gelehrte mit der dunklen Brille, in Jerusalem. Die Trauergemeinde singt zum Abschied sein von Fritz Baltruweit 1981 vertontes Gedicht „Das Zeichen“ über den Mandelzweig (s.o.)..
Der soeben erschienene kleine Band weckt Interesse an Schalom Ben-Chorins Werk. Von ihm, dem Brückenbauer, vermögen wir auch viel über den christlichen Antisemitismus zu lernen.
Verena Lenzen: Schalom Ben-Chorin. Ein Leben im Zeichen der Sprache und des jüdisch-christlichen Gesprächs. Reihe Jüdische Miniaturen, Berlin 2013, (Hentrich & Hentrich), 96 S., 9,90 Euro, Bestellen?
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