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Das Jüdische Echo blickt zurück

Ich habe ein neues Lieblingsfoto. Es ist ein Bild von der Rekonstruktion einer Holzsynagoge aus dem 17. Jhdt im südpolnischen Gwozdziec und findet sich auf Seite 120 des neuen jüdischen Echos. Es besteht aus unendlich vielen bunten Ornamenten, Wappentieren, Bildern und hebräischen Textfragmenten, die so kunstvoll miteinander verwoben wurden, dass man sich daran nicht satt sehen kann…

Von Ramona Ambs

Bestaunen kann man diese Rekonstruktion in der Dauerausstellung im neuen Museum der polnischen Juden in Warschau. Joana Radzyner, selbst in Warschau geboren, beschreibt in ihrem kurzen Essay „Mehr als Erinnerung“ wie das Museum aufgebaut ist, was es zeigt und wie es von den Menschen angenommen und besucht wird – 25 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs. Insgesamt widmen sich viele Beiträge im neuen Jüdischen Echo diesen verschiedenen Anläufen zu einer Kultur der Erinnerung. Der Epochenbruch, der nun ein Vierteljahrhundert alt ist, bedarf der Erinnerung, bedarf der Aufarbeitung, um nachhaltig zu wirken. Vladimir Vertlibs These dazu lautet denn auch „So wie der 8. Mai 1945 keine Stunde null war, sondern eine lange Nachkriegszeit einleitete, so werden wir uns auch mit den Folgen der kommunistischen Diktatur wahrscheinlich noch lange auseinandersetzen müssen“.

Ein Teil dieser Aufarbeitung übernimmt der Gedenkdienst, ein österreichischer Wehrersatzdienst, der überwiegend in Holocaust-Gedenkstätten geleistet wird, und der vor 25 Jahren von dem Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger initiiert wurde. Gedenkdiener Fabian Hilpert berichtet von seinen Erfahrungen in Riga: „Die NS-Okkupation steht hier stark im Schatten der insgesamt viel längeren Sowjetokkupation“ und Gedenkdiener Daniel Haim, der seinen Dienst in Oświęcim leistet, stellt fest: „Erst die Wende in Polen ermöglichte es, sich mit der eigenen jüdischen Geschichte unabhängig von staatlicher Zensur und oktroyierter Erinnerungspolitik zu beschäftigen“ Dass jedoch ein großes Bedürfnis nach Aufarbeitung besteht, eint die verschiedenen Beiträge im neuen Jüdischen Echo.

“25 JAHRE NACH 1989“ lautet das diesjährige Thema des Hefts und fragt im Untertitel: Vom Aufbruch in die Freiheit – zurück zu Hass und Kaltem Krieg? Und tatsächlich analysieren viele Beiträge, die neusten Entwicklungen sehr kritisch. Vom „Ende der 89er Idylle“ spricht beispielsweise Thomas Seifert. Was einst so hoffnungsvoll und friedlich begann, scheint heute gefährdeter denn je zu sein. Die Krim-Krise, die Situation in Ungarn (sehr anschaulich anhand des Besatzungsdenkmals dargelegt von György Dalos) aber auch die scheinbar fernen Konflikte in Syrien und Nahost (sehr schön von Ari Rath) bedrohen den Frieden in Europa. Hinzu kommt der wieder entflammte Antisemitismus, der zunehmend bedrohlicher wird und in vielen europäischen Ländern eine nicht geahnte Renaissance feiert. Danny Leder schreibt denn auch passender Weise von der „Pariser Ratlosigkeit“, wenn er die Reaktion des politischen Establishments auf die vielen verschiedenen antisemitischen Übergriffe der letzten Monate schildert und Helga Embacher beschreibt, inwieweit der spezifisch muslimische Antisemitismus europaweit mittlerweile zu einem gefährlichen Massenphänomen wurde. Am anschaulichsten sind jedoch immer die persönlichen Schilderungen: wenn Karl Pfeifer von seinen vielen Aus- und Wieder-Einbürgerungen erzählt, wird deutlich, wie sich politischen Konflikte auf einen einzelnen Menschen auswirken können.

Und so erzählt also das neue jüdische Echo im Großen und im Kleinen von versunkenen Welten und verpassten Chancen, von Rückkehr von Krisen und Krieg aber auch von Hoffnungen und Neuanfängen und der Wirkmacht von Kultur. Ein vielstimmiges, lesenswertes Resümee der letzten 25 Jahre.

Ein sehr anschauliches Video zu dem oben geschilderten neuen Lieblingsfoto gibt es hier.

Das Jüdische Echo 2014/15, 25 Jahre nach 1989, Falter Verlag 2014, 152 S., Euro 14,50, Bestellen?

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