Im Folgenden dokumentieren wir das Beispiel einer private Haggada. Die von der Judaistin Tanja Esther Kröni für den Zweiten Seder erstellte Haggada vermittelt die Grundlagen des Festes gut übersichtlich und enthält aktuelle Überlegungen zur Bedeutung von Pessach in der heutigen Zeit. Chag sameach! …
Die Pessach-Haggada
Zusammengestellt von Tanja Esther Kröni
Pessach
Die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, wird auch sman cherutenu, Zeit unserer Freiheit, Zeit unserer Befreiung, genannt. Viele religiöse Autoritäten aus früherer und unserer Zeit sagen, dass wir uns in diesen Tagen nicht nur der Befreiung aus Ägypten erinnern, sondern auch überlegen sollen, wie und wo wir heute unfrei, versklavt sind. Und wir sollen darüber nachdenken, wie wir uns aus selbst auferlegten und aus von aussen auferzwungenen Unfreiheiten lösen, respektive unsere Situation verbessern können.
Trotz Fronarbeit und Unterdrückung verloren die Jüdinnen und Juden ihre Hoffnung auf Befreiung nie vollständig. „Mit starker Hand“ des Ewigen fühlen wir uns bis heute aus Ägypten geführt. Doch es brauchte auch eigenen Mut, eigenen Überlebenswillen und geistigen sowie körperlichen Widerstand. Letzteren oft nur im Geheimen, versteckt. Ein Beispiel dafür sind die Hebammen, die die männlichen Neugeborenen nicht töteten.
Durch unsere ganze Geschichte hindurch gab es immer wieder, Zerstörungen, Katastrophen, in der die Juden, trotz Verfolgung, Ermordung, einen letzten Funken Hoffnung nie verloren und deshalb immer wieder neu beginnen konnten. In unserer Gegenwart herrschen Verunsicherung und Ängste, durch Klimaerwärmung, Globalisierung, Finanzkrisen, Abbau der Sozialwerke, Kriege und Terror, Gewalt auf den Strassen und Fremdenfeindlichkeit, Entsolidarisierung der Regierungen von den Bürgern und von Mensch zu Mensch.
Das führte bei vielen Jüdinnen und Juden zu einer Wiederbesinnung auf den Tikkun Olam, die Verbesserung, Vervollkommnung der Welt durch uns Menschen. Ökologie ist angesagt, Einsatz für soziale Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, nicht nur für jüdische Menschen. Die Achtsamkeit gegenüber allen Menschen soll zu innerjüdischem Frieden, Frieden zwischen den Religionen und Nationen führen, zu einer Welt, in der jede und jeder alles hat, was er/sie braucht, niemand mehr diskriminiert, unterdrückt und verfolgt wird. Ein Ziel, für das es sich zu arbeiten und zu leben lohnt.
So wollen wir nun gemeinsam diesen Seder, das Fest unserer Befreiung, in der Hoffnung, auf die Befreiung von Unfrieden und Krieg in unserer Zeit begehen. Wenn wir alle uns genügend um den Tikkun Olam bemühen, dann kann sie zu einer messianischen Zeit werden. Wir wissen, dass die Freiheit ihren Preis hat, und dass die Befreiung mit Schmerzen gepaart ist, und dass sie niemals zur Unterdrückung Anderer führen darf.
Dieses sind die Symbole des Festes:
Pessach: Für das Schlachtopfer, das unsere Vorfahren am Fest darbrachten. Seit der Tempel in Jerusalem zerstört wurde, bestehen keine Opfer mehr. Der Knochen auf dem Pessachteller ist die letzte Erinnerung daran.
Matza, das ungesäuerte Brot: Für das Fladenbrot, das unsere Ahnen beim Auszug aus Ägypten gebacken haben, da sie keine Zeit hatten, das Aufgehen des gewöhnlichen Brotteigs abzuwarten.
Maror, das Bitterkraut, der Meerrettich: Für die Fron in Ägypten, die bitter und schwer war.
Betza, das Ei: Das uralte Symbol des Todes. Auch in unserer Zeit ist es ein Brauch, den Trauernden ein hart gekochtes Ei zu geben. Hier erinnert uns das Ei an die Ägypter, die bei unserem Auszug aus ihrem Land ihr Leben gelassen haben.
Meimelach, Salzwasser: Für das salzige Wasser des Roten Meeres, in dem die Ägypter ertrunken sind. Andere aber meinen, dass das Salzwasser an die Tränen der ägyptischen Mütter erinnern soll, die ihre Erstgeborenen verloren haben.
Charosset, das Süssmus: Für den Lehm, aus dem die Juden bei ihrer Fronarbeit Ziegel formen mussten.
Karpass, das Grünkraut: Noch bevor das Pessachfest eingeführt wurde, feierte man zu dieser Zeit ein Frühlingsfest. Das Symbol dieses Feiertages war das grüne Kraut, das jetzt, nach dem Ende der Regenzeit, Israels Felder bedeckt. Das Gebinde auf unserem Tisch erinnert uns an dieses uralte Fest.
Aus der Pessach-Haggada 1999 von Rafael Rosenzweig
Wir entzünden nun die Festtagskerzen:
Baruch ata adonaj, elohenu, melech haolam, ascher kiddschanu bemitzwotav weziwanu lehadlik ner schel hag hapessach. Amen
Gesegnet seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt hat und uns befohlen hat, die Kerzen für das Pessachfest anzuzünden.
Jitromem libbenu, teschova nafschenu behadlakat ner schel hag ha pessach. Amen
Mögen unsere Herzen sich erheben, unsere Seelen sich beleben, wenn wir das Festlicht entzünden.
Zu Pessach wird jede feiernde Generation mit der ersten vereint und mit allen, die ihr folgten. Wie bei jenem ersten Pessach die Familien sich zu einem lebendigen Volk vereinten, so vereinen sich in der Pessachnacht die Generationen unseres Volkes von Jahr zu Jahr.
Martin Buber
Bevor wir den ersten Becher einschenken, möchten wir unserer Vorfahren gedenken, denen an die wir uns erinnern, und auch denen, deren Namen wir nicht kennen.
Für alle Flügel, die zu wachsen sich freuten,
aber nicht empor flogen;
für den Frohsinn, der sich hinauf schwang, um sich zu freuen,
aber abgekappt hinunter sank –
erhebe, meine Seele, Gebet.
Für jeden Traum, der am Felsen zerschellte –
offenen Auges und sehnsuchtsvoll;
für ein Lied, das in der Ferne wie ein Wunder erklang
und erstickt wurde –
erhebe, meine Seele, Gebet.
Für jeden, der seine Seele anhob, um sie empor zu reissen
im Tal des Jammers;
für jeden der es zu bannen suchte –
erhebe, meine Seele, Gebet.
Moscheh Bassok
1941
Irgendwo sind die Felder gelb und schwer
und die Wälder sind dicht,
als gäbe es nirgends mehr
eine Welt, die zerbricht.
Irgendwo steht eine Frau beim Feuer
und die Nächte sind still
und ein Leben so teuer
wie die Erde es will.
Es gibt auch noch Bild und Lied und Gedicht –
Die wird es immer geben.
Denn wenn auch eine Welt zerbricht:
die Welt muss weiter leben.
Miriam Laserson
Kadesch
Der erste Becher wird eingeschenkt.
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri hagafen
Gesegnet die Schechina, die die Frucht des Weinstocks gedeihen lässt
Baruch Ata Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, bore pri haGafen. Amen
Gelobt seist Du Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks erschaffen hat. Amen
Baruch ata adonaj, elohenu melech ha’olam, ascher bachar banu mikol am
weromemanu mikol laschon wekidschanu bemitzwotav, watiten lanu adonaj elohenu be’ahava (schabatot limnucha u) mo’adim lesimcha, chagim u’smanim lesasson, et jom (haschabbat hase w’etjom) chag hamazot hase, sman cherutenu, (b’ahava) mikra kodesch, secher liziat mizrajim, ki vanu wacharta w’otanu kidaschta mikol ha’amim (w’schabbat) umoadej kodschecha (b’ahava uwerazon) b’simcha uw’sasson hinchaltanu. Baruch ata adonaj, mekadesch (haschabbat w’) jissrael w’ha’smanim. Amen
Gepriesen seist Du Ewiger, unser Gott, Herr der Welt! Du führest uns durch Dein Gesetz zur Heiligung und hast uns in Liebe und Huld Feste zur Freude und Feiertage zur geistigen Beseeligung gegeben, (diesen Schabbattag und) dieses Pessachfest, das Fest unserer Freiheit, als heilige Weihe zum Andenken an Deine unendliche Gnadeund den Auszug aus Ägypten. Denn Du hast uns auserkoren, Deinem Dienste geweiht und uns (den Schabbat und) Deine heiligen Feste zur Erhebung unseres Geistes verliehen. Gepriesen seist Du, Ewiger, der Du (den Schabbattag), Israel und die Festzeiten heiligst. Amen
Am ersten Abend wird gesagt:
Brucha At Schechinah, Baruch Ata Adonaj, Eloheinu, Melech Ha’olam, schehechejanu, w’kijemanu, we’higi’anu lasman haseh. Gesegnet seist Du Schechinah, gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der Du uns am Leben erhalten hast und uns diese Zeit erreichen liessest.
Der erste Becher wird getrunken
Seit dreissig Jahrhunderten feiern Juden und Jüdinnen dieses Ritual. Jedes Jahr müssen wir aufs Neue fragen, was es für uns bedeutet und wohin es uns führt. Was werden wir zu tragen haben? Wer wird mit uns gehen? Welche Vision von Zukunft wird uns vorangehen?
Am Anfang war das Tohuwabohu, das Chaos. Der Ewige trennte Erde und Wasser, wölbte den Himmel über beiden, schuf die Sonne als Licht für den Tag, den Mond und die Sterne als Licht für die Nacht. Er schuf Pflanzen und Tiere, zum Schluss die Menschen und das Leben begann…
Je mehr Menschen es gab desto grösser wurden die Machtansprüche Einzelner. Kriege brachten Menschen in Unfreiheit und Elend. Nach der Zerstörung des Turms von Babel sprachen die Menschen verschiedene Sprachen und konnten sich nicht mehr verstehen, auch wenn sie das Gleiche sagten und meinten.
Die Menschen besiedelten den gesamten Erdball und jeder, jede lebte nach den Erfordernissen der jeweiligen Gegend. Die Haut der Menschen in heissen Ländern wurde braun bis schwarz, andere wieder nahmen eine Gelbtönung an. In kühlen und kalten Ländern blieb sie hell, fast weiss.
Zivilisationen entwickelten sich. Bald glaubte jede, dass ihre die einzig richtige Zivilisation sei. Sie schauten auf die anderen herab, von denen sie glaubten, dass sie weniger gut entwickelt seien. Da diese ihre eigene auch für die beste aller Zivilisationen hielten, wehrten sie sich, und wieder gab es Kriege, in denen viele Menschen den Tod fanden, in denen es nur Verlierer gab, auch wenn eine Partei meinte, sie seien die Sieger.
Vor 3000 Jahren waren viele Menschen noch Nomaden, so wie unsere Vorfahren, die Hebräer, die „ivri“, was „die Vorüberziehenden“ heisst. Wegen einer Hungersnot zogen sie nach Ägypten. Dort wurden sie sesshaft gemacht, gerieten in Knechtschaft und mussten ungewohnte Fronarbeit leisten. Als die Bedrückung zu gross für sie wurde, riefen sie ihre Führer und ihren Gott um Befreiung an. Sie hatten Erfolg und wurden herausgeführt, von ihren Führern Mosche und Aharon. Ihr Gott unterstützte sie mit Wundern, führte sie „mit ausgestrecktem Arm“ 40 Jahre durch die Wüste, wo sie zu einem Volk wurden.
Vielen anderen Völkern erging es ähnlich wie den Hebräern. Sie wurden befreit, befreiten sich selbst und gerieten immer wieder in neue Kriege, Unterdrückungen und Unfreiheiten.
In Anlehnung an die Haggada „Yachat“ als Vorlage
U’rachatz Karpass
Der Leiter/die Leiterin nimmt ein Stückchen Karpass (Petersilie, Radieschen) und taucht es ins Salzwasser und sagt:
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri ha’adama
Gesegnet die Schechinah, die die Frucht der Erde gedeihen lässt.
Baruch ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, bore pri ha’adama. Amen Gelobt seist Du, Ewiger, König der Welt, der die Frucht der Erde erschaffen hat.
Dann gibt er/sie ein Stück an die anderen weiter.
Jachatz
Keha lachma anja di achalu avhatana b’ara d’mitzrajim. Kol dichfin jejtej w’jeichol. Kol dizrich jetej w’jifssach. Haschata hacha. L’schana haba’a b’ara d’jissrael. Haschata avdej, l’schanah haba’a b’nej chorin.
Dies ist der Armut Brot: Unsere Vorfahren assen es in Ägypten. Der Hungernde komme und esse mit uns. Der Bedürftige komme und halte Pessach. Nächstes Jahr in Israel. Im nächsten Jahr in Freiheit.
Aus der überlieferten Haggada
Alle, die Hunger haben, sollen kommen und mit uns essen. Alle, die Hunger nach geistiger Nahrung haben, sollen kommen und Pessach mit uns feiern, damit wir zusammen unser geistiges Erbe wieder entdecken und miteinander erneuern. Jetzt sind wir noch bedrückt. Wir leben in einer Welt, in der mächtige Kräfte ihre Macht missbrauchen – gegen Minderheiten, gegen Arme, Hilflose, Alte, gegen Tiere und gegen unser aller Mutter, die Erde. Nächstes Jahr wollen wir Freie sein in einer befriedeten Welt.
aus der Haggada von „Yachad“, Berlin 1999
Der zweite Becher Wein wird eingeschenkt
Eine Frau deutet auf das Glas Wasser:
Sot Kos Miryam, kos Mayim, Mayim chayim. Secher litziat Mitzrayim.
Dieses ist das Glas der Prophetin Mirjam, ein Glas Leben spendendes Wasser, als Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Diesen hätte es ohne Mirjam, die ihrem Bruder Mosche das Leben rettete, und wegen deren Verdienste die Hàbräer in der Wüste Wasser bekanen, nicht gegeben. Die Legende sagt, dass der Brunnen der Mirjam die Hebräer durch die Wüste bgleitete und dann in den Kinnereth, den See Genesareth fiel.
Hier steht das jüngste Kind der Gesellschaft auf und fragt Vater und Mutter
Mah nischtanah haleila haseh mikol haleilot. Sche b’kol haleilot anu ochlim chametz u’matzah. Haleilah haseh kulo matzah. Sche b’kol haleilot ein anu matbilin afilu pam achat. Haleilah haseh schtei pamim. Sche b’kol haleilot anu ochlin ben joschvin u’ben mesubin. Haleilah haseh kulanu mesubin.
Wodurch unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?
In allen anderen Nächten essen wir Gesäuertes und Ungesäuertes.
In dieser Nacht essen wir nur Matzah.
In allen anderen Nächten essen wir viele Arten Gemüse.
In dieser Nacht essen wir nur Bitterkraut.
In allen anderen Nächten brauchen wir nicht einzutauchen, nicht einmal.
In dieser Nacht tauchen wir zweimal ein.
In allen anderen Nächten sitzen wir, manche aufrecht und andere angelehnt. In dieser Nacht lehnen wir uns alle an.
Aus der traditionellen Pessach-Haggada
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri hagafen.
Gesegnet die Schechinah, die die Frucht des Weinstocks gedeihen lässt
Baruch Ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, bore pri haGafen.
Gelobt seist Du, Ewiger, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen hat.
Wir trinken nun den zweiten Becher
Rabbi Chijah lehrte uns:
Die Lehre spricht über vier Söhne:
Einen weisen, einen bösen, einen dummen und einen, der nicht fragen kann.
Der Weise, was sagt er uns? Welches sind die Regeln und die Gesetze die ER, unser Gott uns auferlegt hat? Du aber sage ihm: Mit starker Hand hat unser Gott uns aus Ägypten geführt.
Der Böse, was sagt er uns? Was soll euch all dieser Dienst? Wozu die Arbeit, die ihr euch da macht, euch und uns, Jahr für Jahr?
Weil er sich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat, sage ihm: Uns hat er aus
Ägypten geführt, uns und dich nicht. Wärst du damals in Ägypten gewesen, hättest du kein Anrecht darauf gehabt, es zu verlassen.
Der Dumme, was sagt er uns? Was ist das?
Du also lehre ihn alle Verordnungen des Pessach, bis zur letzten hin: Man soll nach dem Afikoman keinen Nachtisch mehr essen. Er soll sich also nicht zuerst am Sederabend erfreuen, und dann noch in eine andere Gesellschaft gehen.
Der, welcher nicht fragen kann – Beginn du ihm zu erzählen.
Auf Grund des Jerusalemer Talmuds Traktat Pessachim
Aber auch die Töchter haben im Gedenken an die Befreiung Fragen:
Die weise Tochter sagt: Was fordert das Judentum von mir? Es muss doch mehr geben als auf Pessach zu putzen und ein Pessachmahl vorzubereiten!
Die böse Tochter sagt: Das gibt keinen Sinn für mich! Ich frage die Männer: Was bedeutet euch dieser Seder?
Die einfältige Tochter sagt: Ich verstehe überhaupt nichts! Wo bleiben die Frauen in der Haggada? Sie hatten doch bestimmt auch eine Rolle! Handelt unsere Geschichte nur von Männern?
Die Tochter, die noch nicht fragen kann, sagt: Es ist mir alles so fremd Ich fühle mich sehr weit von der jüdischen Tradition entfernt. Womit kann ich anfangen?
Aus „Eva und ihre Schwestern“ von Pnina Navè Levinson
Awadim hajinu, Awadim! Ata bnej chorin, bnej chorin!
Unfreie waren wir, Unfreie! Frei sind wir jetzt, frei!
Immer wurden wir gerettet: aus den Händen der Ägypter und der BabyIonier, aus den Händen der Griechen und der Römer, aus den Händen der Kreuzfahrer und der Inquisition. Polen, Russen und Rumänen haben uns getötet. Im letzten Jahrhundert übertrafen die Deutschen sie alle. Und immer noch hebt man die Hand gegen uns auf. Auch jetzt noch, wo die Fahnen der Freiheit sich überall entfalten wollen.
In dieser Welt, in der es noch überall Unrecht gibt, besteht eine furchtbare Gefahr: dass wir uns den Gebräuchen unserer Feinde anpassen und handeln wie sie und, dass wir, um unserer Freiheit willen, die wir uns erkämpft haben, andere unterdrücken. Wenn wir jedoch unser menschliches Antlitz verlieren, gefährden wir auch die beschränkte Freiheit die wir erreicht haben.
Nach der Pessach-Haggada 1999 von Rafael Rosenzweig
Man muss so Vieles vergessen
um sich an das Vergessene zu erinnern
Den Hass des kahlen Hofes
Zu Füssen des träumenden Kindes
Die Versprechen die wahr wurden
Als die Freunde im Rauch aufgingen;
Die Rückkehr nach Hause
Und die Botschaft im Leintuch;
Die Maden in der süssen Frucht
Die in der Saison der Trauben reifte;
Der Strahlenpilz
Über der eben noch bevölkerten Stadt.
Man muss sich an so Vieles erinnern
Um all das Erinnerte zu vergessen,
um die Kommenden zu erlösen
um leben zu wollen.
Israel Ben Yosef
Sind wir also befreit? Sind wir frei? Ja, wir wurden befreit, mehrmals. Ja, wir sind freier als andere, aber …Wir wissen nicht, was auf uns zukommen wird. Es ist so Vieles aus den Fugen, im Wandel. Wohin es führen wird, ist nicht absehbar. Mehrere Staaten stehen vor dem Bankrott. Die Schweizer Regierung wirkt orientierungslos. Gewalt, Terror und Krieg gehören überall zum Alltag. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind wieder salonfähig. Es gilt das Recht der Stärkeren und Mächtigeren. Auch das wird sich wieder ändern. Es fragt sich nur wann…
Tanja Kröni
Die Tora sagt, dass alle Menschen als Ebenbild des Ewigen erschaffen sind und von nur einem Elternpaar abstammen. Der Talmud, Traktat Sanhedrin 37, führt aus, dies geschah, damit keiner sich über den Anderen erheben kann, indem er sagt: „Mein Gott und mein Ahn waren grösser als deiner.“
Wenn dein Feind fällt, freue dich nicht, und wenn er strauchelt, so frohlocke dein Herz nicht, der Ewige würde es sehen, und es würde Ihm missfallen.
II Sprüche der Väter 24
Rassist des Friedens
Ich bin ein Rassist des Friedens!
Die mit den blauen Augen morden,
die mit den schwarzen Augen töten,
die mit dem lockigen Haar zerstören,
die mit dem glatten Haar sprengen,
die mit der braunen Haut zerfleischen mich,
die mir der rosa Haut vergiessen mein Blut.
Nur die Farblosen
nur die Durchsichtigen sind gut
die mich bei Nacht ohne Alptraum schlafen lassen,
durch die ich den Himmel sehen kann
Jehuda Amichai
Gebet
Nur nicht blind werden – mit der Seele nicht
Dass ich nicht mehr sähe, was klein, was gross, was eng, was weit,
was ragend, was tragend, was leuchtend im ewigen Licht.
Nur nicht blind werden – mit der Seele nicht!
Bertha Pappenheim 1929
Der dritte Becher Wein wird eingeschenkt
Deswegen verschütten wir einen Tropfen Wein aus unseren Gläsern für jede Plage, die die Ägypter traf:
Dam – Zefardea – Dever – Schechin – Barad – Arbeh – Hoschech – Makat-Bechorot
Blut – Frösche – Läuse – Raubtiere – Pest – Krätze – Hagel – Heuschrecken – Finsternis – die Tötung der Erstgeborenen
Wir trinken nun den dritten Becher
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri hagafen.
Gesegnet die Schechinah, die die Frucht des Weinstocks gedeihen lässt
Baruch Ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, bore pri haGafen.
Gelobt seist Du, Ewiger, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen hat.
Glücklich
Glücklich sind die in der Unschuld ihres Herzens Glaubenden.
Sie finden sich zusammen als Bruchstücke der Menschlichkeit,
im Schutze schirmender Flügel,
angesichts des gleichgültigen Verlusts aller Normen.
Vielleicht sind es die Letzten, die Gebete sagen
in unserer Welt.
Abraham Chalfi
Es heisst: „Es ist kein Frieden in meinem Gebein,
meiner Sünden wegen.“
Erst wenn der Mensch in sich selbst
den Frieden gefunden hat,
kann er ihn für die ganze Welt suchen.
Rabbi Pinchas aus Korez
Motzi Mazzah
Der Leiter/die Leiterin nimmt die beiden Matzot in die Hand und spricht folgenden Segensspruch:
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri ha’adama
Gesegnet die Schechina, die die Frucht der Erde gedeihen lässt
Baruch Ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, ha motzi Lechem min ha’Aretz
Gelobst seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der das Brot aus der Erde wachsen lässt.
Nun gibt er/sie jedem ein Stückchen Matzah
Maror
Der Leiter/die Leiterin nimmt von dem Maror, taucht es in Salzwasser und gibt jedem und sagt:
Baruch Ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, ascher kidschanu b’mitzwotach we’ziwanu al achilat matza.
Gelobt seist Du Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt und uns befohlen hat, Bitterkraut zu essen.
Jippatach libbenu, titamek havnatenu ba’achilat maror
Mögen unsere Herzen aufgetan werden und unser Verständnis des Leidens sich vertiefen.
Man nimmt zwei Stücke Matzah und legt Maror dazwischen. Vor dem Essen sagt man:
Secher lemikdasch k’hillel. Ken assa hillel bis’man schebejt hamikdasch haja kajam, haja mazza umaror w’ochel b’jachad, l’kajem ma schene’emar: Al mazzot umerorim jochluhu.
Dies ist eine Erinnerung an das Heiligtum, wie es bei Hillel Brauch war. So tat Hillel zur Zeit als der Tempel noch stand: Er nahm Matzah und Bitterkraut, ass sie vereint, um zu erfüllen, was geschrieben steht: Mit Matzot und Bitterkraut soll man das Pessachopfer essen.
Charosset
Im gelbbraunen Charosset sind Äpfel, Nüsse, Zimt und Wein vermischt und zerkleinert. Es erinnert uns an den Lehm für die Ziegel, den die Israeliten für den Bau der ägyptischen Städte brennen mussten. Der süsse Geschmack weist darauf hin, wie süss die Freiheit schmeckt. Warum essen wir das Charosset? Es ist ein Symbol dafür, dass Versklavung durch den süßen Vorgeschmack der Freiheit gemildert wird, und es soll uns Mut machen, wenn der Kampf um die Befreiung uns zu lange zu dauern scheint.
Man nimmt ein Stück Matza, gibt Charosset darauf und isst es. In manchen Orten ist es üblich, Charosset ebenfalls zwischen zwei Stücke Matza zu geben.
Schulchan aruch
Es folgt das festliche Mahl
Zafon
Die Kinder suchen am Ende des Mahls den Afikoman. Es wird nochmals ein Stückchen Matza gegessen.
Der vierte Becher Wein wird eingeschenkt
Birkat Hamason
Schir hama’alot: b’schuv adonaj, et schivat zion, hajinu kecholmim. As jimaleh s’chok pinu, u’leschnenu rinah. As jomru bagojim „higdil adonaj la’assot im eleh“. Higdil adonaj et schevitenu, ka’avikim banegev. Hasorim b’dimah, berinah jikzoru. Halech jelech uvacho, nosse meschech hasara. Bo javoh berinah, nisse alumotav.
Bruchah at schechinah, baruch ata adonaj, eloheinu melech haolam, hasan et haolam kulo be’tuvo ube’chen, be’chessed uwe’rachamim, hu noten lechem le’chol bassar, ki leolam chasdo. Uwe’tuwo hagadol tamid lo chassar lanu we’al jechsar lanu mason leolam wa’ed, be’awur schmo hagadol, ki hu san umefarness lakol umetiv lakol umechin mason lechol briotav ascher bara. bruchah at schechinah, baruch ata adonaj hasan et ha chol.
Nodelacha adonaj, eloheinu, al schechinchalta a’avotenu we’immotenu eretz chemda, tova u’rechavah, w’natata lanu brit, wetorah, chajim umason. Kakatuv: „W’achalta, w’schavata, uverachta et adonaj eloheichah al ha’aretz hatova, ascher natan lach“. Brucha at schechinah, baruch ata adonaj, al ha’aretz w’al hamason.
rachem nah adonaj, eloheinu, al jisrael amecha, w’al jeruschalajim irecha, w’al zion mischkan kvodecha w’almedinat jisrael reschit zemichat ge’ulatenu. w’haschlem binjan jeruschalajim, ir hakodesch, bimhera b’jamenu. Brucha at schechinah, baruch ata adonaj, bone b’rachamav jeruschalajim. Amen.
Harachaman hu jesakenu limot hage’ula ulechaije haolam habah. Amen
Osse schalom bimromav, hu jaasseh schalom aleinu wâl kol jisrael w’al kol ha’amim. w’imru amen.
Tischgebet
Stufenlied. Wenn der Ewige die Zurückkehrenden Zions heimführen wird, dann werden wir wie Träumende sein. Dann wird sich unser Mund mit Lachen, und wird sich unsere Zunge mit Jubel füllen; dann wird man unter der Völkern sagen: Grosses hat der Ewige getan mit diesen! Grosses wird Er dann mit uns getan haben und wir werden Freudige sein. Bringe, Ewiger, unsere Gefangenen zurück wie die (plötzlichen, unerwarteten) Wasserfluten des Negev. Die unter Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Da geht er (der Sämann) und trägt unter Weinen seinen Korb mit Saatgut. Mit Jubel wird er kommen, seine Garben tragend.
Gepriesen seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt in seiner Güte, in Gnade und Worttreue und in Barmherzigkeit speist; Er gibt Brot allem Fleisch(geborenen), denn auf ewig währt seine Worttreue. Und durch seine grosse Güte hat es uns nimmer gemangelt und möge es uns nicht mangeln an Speise, auf immer, um seines grossen Namens willen. Denn Er speist und ernährt alle, und erweist allen Gutes, und bereitet Speise für alle seine Geschöpfe, die Er erschuf. Gepriesen seist Du, Ewiger, der alles speist.
Wir wollen Dir, Ewiger, unser Gott, dafür danken, dass Du unseren Vorfahren ein liebliches, gutes und geräumiges Land zuteil werden liessest, und dass Du uns Bund und Torah, Leben und Speise gegeben hast. Wie es geschrieben steht: «Und wenn du (dann) gegessen hast und satt geworden bist, dann sollst du den Ewigen, deinen Gott, preisen für das gute Land, das Er dir gab» (5 Mose 8). Gepriesen seist Du, Ewiger, für das Land und für die Speise.
Erbarme Dich, Ewiger, über Dein Volk Israel und über Deine Stadt Jerusalem, und über Zion, die Stätte Deiner Herrlichkeit, und über den Staat Israel, den Beginn des Aufspriessens unserer Erlösung. Und vollende den Aufbau von Jerusalem, Deiner heiligen Stadt, schnell, in unseren Tagen. Gepriesen seist Du, Ewiger, der in seinem Erbarmen Jerusalem erbaut. Amen.
Der Barmherzige, Er möge uns der Tage der Erlösung und des Lebens der kommenden Welt für würdig befinden. Amen.
Der Frieden wirkt in seinen Höhen, Er erwirke Frieden für uns und für ganz Israel und für alle Menschen dieser Welt und so lasst uns sprechen: Amen !
Dieser Kelch mit Wein auf dem Tisch ist für den Propheten Elijahu bestimmt. Es ist ein Kelch der Hoffnung. In seiner Zeit kämpfte Elijahu gegen eine korrupte Regierung, gegen Ungerechtigkeit und gegen die Abwendung vom jüdischen Erbe. Darum ist er ein Symbol des Widerstandes. Nach der jüdischen Legende soll er niemals gestorben sein. In schweren Zeiten soll Elijahu erscheinen, um Erleichterung zu spenden und Hoffnung zu säen. Vor allem soll Elijahu nach unserer Überlieferung das Nahen der messianischen Zeit ankündigen, die Zeit ewigen Friedens und unzerstörbarer Freiheit. Möge er nun auch in dieses Haus kommen mit seiner Botschaft von der zukünftigen Erneuerung der Welt.
aus der Haggada von „Yachad“, Berlin 1999
In jeder Generation sollen Juden und Jüdinnen des Auszugs aus Ägypten gedenken, als ob sie eben erst selbst aus Ägypten befreit worden wären. Denn es heißt: „Und ihr sollt euren Kindern von jenem Tag erzählen mit den Worten: Dies tat Gott, um mich aus Ägypten zu befreien. Denn Gott hat damals nicht nur unsere Vorfahren befreit, sondern ebenso auch uns.“aus der Haggada von „Yachad“, Berlin 1999
Jeder Einzelne soll sich sagen: „Für mich ist die Welt erschaffen worden, darum bin ich mit verantwortlich.“
Babylonischer Talmud
Bitte, oh Gott
gib mir die Kraft,
und die Fähigkeit zu vergessen,
alles Schlimme, das vorbeiging,
jeden Fehltritt und jeden Stolperstein,
zerronnene Hoffnung
vom gestrigen Tage;
gib mir die Kraft vorauszublicken
zu einem lieblichen Morgen,
nach dem schweren Regen des Heute,
zu Duft von Blumen
und ruhig wogenden Wellen;
gib mir die Kraft zu warten
auf Tage der Hoffnung;
bis zu meinem letzten Tage,
voraus zu blicken und mich zu freuen
mit jedem Vogeljungen, das aus seinem Ei brach,
und mit dem Küken,
dem Säugling, der geboren wurde,
der jungen Blüte, die hervorbrach
und anfing zu blühen,
mit der Knospe, die sich öffnete
und anfing zu spriessen:
ach, bitte, Gott
gib mir noch Kraft.
Eliezer Bogatin
Le schanah haba’ah b’Jeruschalajim!
Wir trinken nun den vierten Becher
Nevarech et Schechinah, matzmichat pri hagafen.
Gesegnet die Schechinah, die die Frucht des Weinstocks gedeihen lässt
Baruch Ata, Adonaj, Eloheinu, Melech haOlam, bore pri haGafen.
Gelobt seist Du, Ewiger, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen hat.
Nächstes Jahr in einem friedlichen Jerusalem und in einer friedlicheren und verständnisvolleren Welt! In diesem Jahr feiern wir hier – im nächsten in Jerusalem. In einer Stadt, die allen, die ihr wohnen, Frieden gewährt.
Und für unsere Reise in die kommende Zeit, für alle unsere geistigen und körperlichen Reisen, geben wir einander den Segen mit:
Mögen wir gesegnet sein, wenn wir aufbrechen
Möge Friede uns geleiten
Mögen wir beschenkt sein mit Gesundheit und Freude
Mögen wir gehalten sein in Sicherheit und Liebe
Möge Freundlichkeit und Solidarität jeden von uns tragen.
Das sei unser Segen füreinander.
aus der Haggada von „Yachad“, Berlin 1999
Chassal siddur pessach kehilchato, kechol mischpato w’chukato. Ka’ascher sachinu lesader oto. Sach schochen me’ona,komem kehal adat mi mana. Karev nahel nitej chana, pedujim lezion b’rina.
Beendet ist die Ordnung des Pessachfestes, so wie es sein soll. So wie wir es begangen haben, möge es uns vergönnt sein, es auch in Zukunft zu begehen.
Ein Auftrag
Adam und Eva teilten das erste Paradies,
und heute teilen Männer und Frauen
die Freude und Sorge, den Mut und die Angst,
den Glauben und die Unsicherheit, die Hoffnung und die Verzweiflung.
Beide in Gemeinsamkeit teilen sie die Menschlichkeit.
Darum lass keinen Mann sich selbst für vollkommen halten.
Lass keine Frau vor Verantwortung zurückschrecken.
Helft alle mit zur Ganzheit der Gemeinschaft,
mit klarem, bewussten Verstand und in Einigkeit.
Aus „Gebete und Poesie von Frauen aus aller Welt“, Indien
Leserbriefe