„Gastarbeiter“ waren nicht nur Objekte staatlicher Politik, sondern formten diese durch ihren Widerstand im Alltag und in den Betrieben…
Von Anke Schwarzer
Sie schaufelten Kohle, nähten Polster, mauerten Häuser, kochten in Großküchen, lackierten Autos, arbeiteten in Krankhäusern und Pflegeheimen. Millionen Frauen und Männer wanderten in der Mitte des letzten Jahrhunderts nach Deutschland ein, um hier Geld zu verdienen. Heute, in einer Zeit, in der sich der Rassismus vornehmlich gegen Schwarze, Muslime und Menschen aus dem außereuropäischen Ausland richtet, mag es kaum mehr vorstellbar sein: Die deutschen Bürger schlossen die Menschen, die vor allem aus Südeuropa kamen, unverhohlen aus. An sie wurden keine Wohnungen vermietet, worauf in Anzeigen explizit hingewiesen wurde. Restaurantbetreiber verwehrten ihnen mit Schildern den Zugang. Kinder von Italienern, Griechen und Spaniern wurden gehänselt und gedemütigt.
Was setzte die Generation der „Gastarbeiter“ dem Rassismus in der Fabrik und im Alltag entgegen? Wie wehrten sie sich gegen die miserablen Barackenunterkünfte, die schlechte Bezahlung und die mangelhaften Bildungsangebote für ihre Kinder? Und wie gingen sie mit den restriktiver werdenden Aufenthaltsregelungen um?
Manuela Bojadžijev verknüpft kritische Rassismustheorien mit der Geschichte sozialer, politischer und betrieblicher Kämpfe von Einwanderern in der Bundesrepublik Deutschland. Was gewöhnlich den 68ern und den folgenden Sozialen Bewegungen zugeschrieben wird, war für viele Migranten bereits Alltagspraxis: Schon ab den 1950er Jahren organisierten sie Wilde Streiks, deren Anzahl Anfang der 1970er Jahre am höchsten war. Jenseits der Gewerkschaften – die anfangs kein offenes Ohr für die Belange der Einwanderer hatten – protestierten sie gegen das immer rasanter werdende Arbeitstempo, gegen Entlassungen von Kollegen und gegen die schäbigen Betriebsunterkünfte. Gefordert wurde etwa die Abschaffung der unteren Lohngruppen, besseres Essen in den Kantinen und gleiches Kindergeld für Ausländer und Deutsche. Noch bevor die deutsche Hausbesetzerszene in Schwung kam, sahen sich Migranten zu Mietstreiks gezwungen, etwa in Frankfurt Anfang der 1970er Jahre. 180 koreanische Bergarbeiter der Klöckner-Zeche in Castrop-Rauxel streikten 1965 nicht nur gegen die schlechten Löhne, sondern auch gegen die „unwürdige Behandlung“. Indem Bojadžijev zahlreiche Proteste dokumentiert, beschreibt sie nebenbei auch die Formen des Rassismus, denen Migranten damals ausgesetzt waren.
Gleichzeitig untersucht sie die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Organisierung der „windigen Internationalen“, wie ein zeitgenössischer Kommentator die widerständigen Migranten bezeichnete. Und Bojadžijev lässt die als angepasst und brav angesehene erste Gastarbeitergeneration in einem anderen Licht erscheinen. Wobei man hinzufügen muss, dass bei ihrer Dokumentation einzelner Aktionen offen bleibt, wie verbreitet und verankert derartige Praktiken insgesamt waren.
Für die Autorin ist diese Herangehensweise mehr als ein historischer Rückblick. Sie sieht darin den Versuch, „unserer Zeit die Erinnerung an jene sozialen Kämpfe zurückzugeben, deren Wissen nicht tradiert worden ist“. Und sie geht davon aus, dass rassistische Vorgehensweisen ihre Objekte nicht immer gleichförmig unterwerfen. Sie stünden vielmehr in einem Verhältnis zu den feingliedrigen Widerstandsmöglichkeiten im Alltag, die den Rassismus beständig in Frage stellen und verändern können. Migranten sieht sie nicht in erster Linie als Opfer staatlicher und gesellschaftlicher Gängelung, sondern als Subjekte, die den Rassismus der Behörden und Arbeitgeber immer neu herausfordern und ihn zu neuen Formen zwingen. So zeigt sie, wie die kollektiven Integrations-Forderungen der Migranten von damals, etwa Bildungsangebote für ihre Kinder und menschenwürdige Wohnungen, in den letzten Jahren in den Zwang zur individuellen Anpassung umgemünzt wurde. Der Staat sanktioniert und kontrolliert nun die „Integrationsleistungen“; Deutschkenntnisse und Wohnraumgröße entscheiden über den Aufenthalt. Diese „Konjunkturen des Rassismus“ und die „Autonomie der Migration“ habe die bundesdeutsche Migrationsforschung bisher außer acht gelassen, bemängelt die Soziologin.
Sie betont beispielsweise, dass die Standard-Erzählung zur Geschichte der Nachkriegsmigration – Stichwort: Mopedgeschenk an den Millionsten Gastarbeiter – zu hinterfragen sei. Diesen Berichten zufolge hat der Ruf der deutschen Wirtschaft nach Arbeitskräften die Einwanderung ausgelöst und die Regierung angeregt, mit mehreren Ländern Anwerbeabkommen zu vereinbaren. Bojadžijev widerspricht dieser Ansicht und führt an, dass sich bereits vor dem ersten Anwerbeabkommen 1955 mit Italien zahlreiche Migranten in Deutschland aufgehalten haben, etwa Flüchtlinge aus Osteuropa, Displaced Persons, ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Ein niedersächsischer Unternehmer hatte schon Mitte der 1950er Jahre Algerier für die Hannoversche Steinbruchindustrie in Lauenthal/Harz angeheuert. Und bevor der Vertrag zur Anwerbung 1968 geschlossen wurde, befanden sich bereits 120.000 Menschen mit jugoslawischer Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik. Das Interesse, die Migration zu kontrollieren, sei das zentrale Motiv sowohl der Bundesregierung als auch der Regierungen der Anwerbeländer gewesen. Letztere, etwa Italien, Marokko, Spanien, Griechenland und der Türkei, hätten die Abkommen selbst angeregt.
Bojadžijev gelingt es, neue Perspektiven zum Thema bundesdeutsche Migrationsgeschichte vorzustellen und vernachlässigte Details – etwa der vehemente Einsatz deutscher Behörden, dass Portugal keine schwarzen Arbeiter aus den Kolonien schicken möge – ans Licht zu bringen. Viele ihrer Thesen – nicht nur zur Geschichte, sondern auch zur Theorie des Rassismus – sind außerordentlich anregend.
Manuela Bojadžijev: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster: Westfälisches Dampfboot 2008, 310 Seiten, 29,90 Euro, Bestellen?
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