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Lücken im Leben mit Hoffnung füllen

Lutz Rathenows Gedichtband „Gelächter sortiert“…

Von Chaim Noll

Lutz Rathenow hat sich früh in einen zuweilen grimmigen Humor geflüchtet, um die Absurdität der ihn umgebenden Realität zu ertragen. "Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet" oder "Zärtlich kreist die Faust" hiessen seine frühen Gedichtbände, entstanden noch zu Zeiten einer intakten DDR. Vielen galt er daher als "satirischer Dichter", als "Humorist". Ich habe ihn nie dafür gehalten. Vielleicht, weil ich das Land kenne, in dem er geboren wurde. Weil wir manches Jugenderlebnis teilen, manches heute Unvorstellbare erlebt haben. In seiner Geburtsstadt Jena habe ich ein Jahr lang studiert. Die Stadt liegt in schöner Landschaft, ist kulturträchtig durch Schiller, die alte Universität, die Nachbarschaft Weimars. Dennoch wirkte sie zu DDR-Zeiten melancholisch und trist. Eine durch sowjetische Kasernen, Parteisekretäre und künstlichen Mangel reduzierte Idylle.

Die verstörte Idylle ist Rathenows frühe Grundstimmung. Er betrachtet die Welt unter diesem Aspekt: wie ist sie eigentlich angelegt, im grossen Bild der Schöpfung, und was machen wir Menschen aus ihr. Rathenow reflektiert die Welt in einem gesprungenen Spiegel. Die DDR, in ihrer verordneten Verhässlichung, war eine Schule des Sehens. Wer wollte, konnte dort eine verfeinerte Fähigkeit entwickeln, das Groteske, Unsinnige im angeblich Normalen zu erkennen. Viele haben diese Möglichkeit der Erkenntnis ausgeschlagen, indem sie sich selbst belogen. Der Vorgang der Selbstlüge, wie Rathenow in einem Gedicht feststellt, hält bis heute an:

Wortschleier, zum Gähnen — diese
Treuelust. "Es war nicht alles schlecht".
Der Satz des Jahres, der nächsten Jahre.
Wirklich, so schlecht war es nicht, eher
unendlich verdorben, widerwärtig komisch,
zum Totlachen kaputt…

rathenowAuch sein neuer Gedichtband trägt einen Titel gelinder Camouflage: "Gelächter, sortiert". In Wahrheit enthalten diese Bilder einer gestörten Welt kaum etwas zum Lachen. Je älter Rathenow wird, umso ernster wagt er zu werden. "Das Licht wechselt mit den Erfahrungen", nennt er es selbst. Die Pointen verbirgt er weniger sorgfältig als früher. Seiner Sprache spart er die Verfremdung. Wie jeder Moralist fürchtet er nicht mal mehr die Wiederholung: "Ich wiederhole mich gern, um Neues zu sagen." Dennoch hat er die Fixierung auf das Autobiographische als Gefahr erkannt, als Obsession, die dem Weiterschreiben schaden kann. Der Neigung der Anderen, zu rasch zu vergessen, will er nicht mit rückwärtsgewandter Verdüsterung begegnen: "Gedichte werden nicht besser", stellt er fest, "durch das Lesen in Stasiakten."

Anstelle der Anläufe gegen das Absurde, die früher Rathenows Gedichte bestimmten, findet sich in diesem Band eine neue Zuversicht. Zunächst in einigen mikrokosmischen Beobachtungen von geradezu abgeklärter Stille:

Die Wüste färbt den Himmel blau.
Auf menschenewig.
Ab wie vielen Körnern ist jedes Korn
nur noch Sand.

Wir erleben Rathenow auf der Suche nach der verborgenen Wahrheit der Welt, nach dem Geheimnis ihrer holistischen Ganzheit. Dabei wird ihm alles zum Indiz, das Sandkorn, der Fisch, die Pflanze, der menschliche Körper, auch der eigene. Alles steht in Zusammenhang, das was uns geschieht, und das, was wir geschehen machen. Der einst von einem unmenschlichen System Verfolgte versinkt nicht in Bitterkeit und Weltekel, sondern entdeckt in sich die Fähigkeit zur Teilnahme, zum Mitgefühl. Die Fähigkeit zum Glück. Selbst wenn es nur darin besteht, wie das gleichnamige Gedicht offenbart:

Drei Männer laufen nicht hinter mir her (…)
Der Polizist an der Kreuzung gähnt nur,
als ich bei Rot über die Strasse geh.
Ohne Auftrag erwidert eine Frau mein Lächeln

Rathenows neuer Gedichtband ist auch von daher ein sympathisches Buch, als er Selbstbescheidung dokumentiert, ein Älterwerden, das mit Klügerwerden verbunden ist. Er kann sich unbesorgt seiner neuen Weltsicht widmen, denn er hat die Etappen auf dem weiten Weg dorthin in seinem Werk dokumentiert. Als ein Mann, der sich sein ganzes bisheriges Leben mit Literatur beschäftigt hat, weiss er: "Worte überdauern die Dinge". Daher keine müssige Betrübnis über das Vergehen des Stofflichen, das sich ohnehin, wie er beobachtet, nur vorübergehend verflüchtigt, in Wahrheit in einem ständigen Kreislauf befindet. Die Verstörungen, die er erlitten hat, haben ihn sensibilisiert für die Gezeiten unseres Daseins, den Wechsel unserer Zustände. Auch dort, wo Schaden entstand, findet, wer lange nachdenkt, einen produktiven Weg: "Die Lücken im Leben mit Hoffnung füllen".

© CHAIM NOLL, 2009

Lutz Rathenow, Gelächter sortiert. Gedichte. Weilerswist, 2008, 112 Seiten, 20 Euro, Bestellen?

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