Kategorien / Themen

Werbung

Die Welt ist blau: Ein Sommer-Roman aus Ascona

Für diesen Dialog habe ich den Einband gestreichelt: „Was tut eigentlich deine Schwester?“ „Sie tut Ehe.“

Die beiden „Liebesleute“, Ursula und Peter, die da in bester Laune rumalbern, sind jetzt im Sommer 1933 auf den Weg in den Süden. Damit ihnen auch klar wird, warum sie abschwirren, besuchen sie kurz vor der Schweizer Grenze „Mausi“, Ursulas ehemalige Schulfreundin. Diese legt einen kabarettreifen Auftritt als Schwäbin hin. Peters Anzug wird auf Gehaltsklasse gemustert und sofort erkundigt sie sich, ob man Blumen, die man zu einem Besuch beim Vorgesetzten mitbringt, im Vorzimmer auswickelt werden oder nicht. Natürlich im Vorzimmer, nickt das Pärchen überzeugend und einig wie nie, weil gerade das Thema sie brennend interessiert. Mausi kombiniert rasiermesserscharf: Dann kann man in einem billigen Geschäft einkaufen.  Nix wie weg und ihr  „Silbergrauer“, so heisst sich ihr Auto, bringt die beiden nach Ascona ins Tessin…

Von Stefan Gleser

Und dann gibt´s erst einmal ein buntheiteres, sektperliges Werbeprospekt: Badestrand, sanftbraungebrannte Körper, Ascona duckt sich zwischen See und Berg, ein Schuss Boheme, und eine Dame mit extravaganter Kleidung und klugen Bemerkungen. Die Begeisterung hat seinen Grund: Das Nest ist erst auf dem Sprung zum erlesenen Luxusort; zwischen den Kriegen war das preiswerter Süden in einem freien Land. Italiens Sonne ohne Mussolini. Das lockt Leute mit wenig Geld und viel Kunstverstand an.

Ein Gast aus dem gleichen Hotel, ein Herr aus Wien, der „weich und unverständlich“ spricht, liest Ursula bei einer Wanderung auf und nimmt sie in seinem Wagen mit. Es ist ein merkwürdig schillernder, befremdlich-anziehender Eindruck den das Gespräch auf Ursula hinterlässt und ein Plakat in der Hotelhalle erklärt die seltsame Gemütsregung. Sie war mit Hubert von Reuchlin, einem Zauberer, der heute Abend eine Vorstellung geben wird, unterwegs. Reuchlin umhüllt seine Veranstaltung mit warmen, überlegenen Geplauder. Er kann zur allgemeinen Begeisterung Tauben aus einem Tuch hervorzaubern und die Farbe des Weins ändern. Der Magier scheint auf die Grundlagen seines Faches, artistisches Geschick und geübter Fingerfertigkeit, nicht so viel Wert zu legen. Sein Redefluss treibt die Taschenspielerei, den Jahrmarkt, die angenehme Unterhaltung ins Übersinnliche, ins Mythisch-Verschwommene hinein, während er selbst ins profane Schummeln abstürzt. Ursula steht ihm bei einem Kartentrick bei. Die in wohlgesetzte Worte gefasste Telepathie ist Mogelei.

Es ist kein Zufall, dass Reuchlin ausgerechnet einen Engländer, der aus dem Mutterland der Demokratie und des gesunden Menschenverstandes stammt, kurz anbellt, weil dieser seine Pfeife in den linken Mundwinkel schiebt. Reuchlin verzaubert , zieht an und bricht die Willensfreiheit erst mal durch einen Mangel: Fehlende Berufstüchtigkeit, er ist auf die Gutmütigkeit eines Zuschauers beim Kniff mit den Karten angewiesen, macht er durch Charisma und Rhetorik wett. Wenn Hokuspokus, Gedankenleserei, und Jahrmarktszauberei nicht mehr als Vergnügen, als freie heitere Illusion auftreten sondern das Magisches und Religiöses berühren, dann stimmt etwas nicht. Es ist kein Zufall, dass sogar ein Kollege, der wesentlich älter als die Wolff ist und den sie als Ringelnatz-Verehrerin eher mit mit parfümierten Stil und aufdringlicher Bildung in Verbindung bringen dürfte, Thomas Mann in „Mario und der Zauberer“ in einer vergleichbaren Situation Vergleichbares notiert. Mythos an der Abendkasse, im Vorverkauf billiger, das klingt irgendwie abstossend.

Man liest, blauäugig ist Victoria Wolff  (1903 — 1992), die Verfasserin der „blauen Welt“ nicht. Sie floh 1933 sofort aus Deutschland, um ihren Kinder eine „arische Schule“ zu ersparen. Das gutsituierte jüdische Elternhaus, ihr erster Mann ein Fabrikant, die Mitarbeit an der liberalen Neckar-Zeitung, wo Theodor Heuss jahrelang Chefredakteur gewesen war, es sprach vieles dafür, dass sie in Richtung Beschönigung, auf ein „So schlimm wird es schon nicht werden“ tendierte. Aber sie muss ein an Überreiztheit grenzendes Gespür für das, was da kommen sollte, besessen haben. Auf jeden Fall sass der politisch erfahrene Heuss im Reichstag und stimmte für die Ermächtigungsgesetze und sie im Exil. Ihr wacher Verstand sezierte auch das so sommerlich-verspielte Ascona. In der Figur Hilda beschreibt sie ihre eigene Zukunft.

Hilda stammt aus Deutschland, ist Kellnerin und im Rahmen eines Austauschprogramms ins Tessin gelangt, um sich in fremden Sprachen und Kochkunst zu vervollkommnen. Ihre Kollegen betrachten sie misstrauisch und behaupten, sie würde Einheimischen das Brot wegnehmen. 1939 wird die Wolff aus der Schweiz ausgewiesen. Laut ihrer Aufenthaltsgenehmigung nach durfte sie Bücher veröffentlichen , aber nicht für Zeitungen arbeiten. Die Lebensnot zwang sie anonym und unter anderen Namen Tagesarbeiten zu publizieren. Durch eine Denunziation fliegt alles auf; sie wird des Landes verwiesen. Über Nizza kann sie sich nach Hollywood retten. Ascona, Nizza, Hollywood. Das ist eine mondäne Glitzerkette und sie ist doch eine Verjagte. Ihrer unverwüstlichen Energie wegen gelingt die Umstellung vom Deutschen aufs Englische, vom Roman aufs Drehbuch. Der ebenfalls emigrierte Regisseur Julien Duvivier verfilmt ihre Erzählung  „The White Evening Dress“ (1941) als „Tales of Manhattan“.

Reuchlins Selbstbewusstsein während des anschliessenden Beisammenseins in der Gaststätte steigert sich zur Selbstherrlichkeit. Über Geist und Gefühle der Zuschauer kann er herrschen; nur beim Handwerk hapert´s halt ein wenig. Ursula soll bei der nächsten Vorstellung wieder assistieren. Ist es Trotz gegen Peters deutliche Missstimmung oder die souveräne Dreistigkeit, die Reuchlin noch ausströmt, Ursula hilft ihm wieder als scheinbar zufälliger Gast. Nach der Veranstaltung fordert sie ein Polizist sofort auf, ihm ins Nebenzimmer zu folgen. Grund sei ihre Zusammenarbeit mit Reuchlin und dessen finanziellen Unregelmässigkeiten. Ursula ist völlig überrumpelt, reagiert verschüchtert und schwingt sich erst nach längerem inneren Kampf zur Koketterie auf: Ihr Freund Peter sei Jurist und darauf habe sie doch ein Anrecht; sie würde nicht fliehen. Der Polizist willigt ein und Peter hat seinen grossen Auftritt als Retter. Er besteht darauf, Ascona sofort zu verlassen und ins ruhige Maggiatal überzusiedeln.

Der nächste Morgen klärt den Abend auf. Es war eine Finte gewesen. Paolo, Koch des Hotels, hatte Kommissar gespielt. Peters Eifersucht schmeichelt Ursula und zugleich ist sie noch bedrückt wie Reuchlin ihren Willen dirigieren konnte. Peter schmeichelt sich selbst, dass seine Skepsis berechtigt war und ist zugleich noch bedrückt, dass er nicht mit offenen Karten spielte. Erst Grollen, dann Schmollen, dann Versöhnungsgeschmuse. Die Wiedervereinten schliessen furchtbar seriös und hochkompliziert einen Vertrag mit Paragraphen, denn Peter ist ja Rechtsanwalt. Der soll sich erst mal gepflegt rasieren, bestimmt Ursula, damit er ihren ästhetischen Ansprüchen genüge und wird dann aber plötzlich ernsthaft: „Also ich fordere, dass die Welt blau ist, auch wenn sie grau scheint, muss sie blau bleiben.“

Was so als Sommerliebelei daher trippelt, verbirgt durchaus eine politische und moralische Vorstellung. Es ist mit keinem Wort erwähnt, aber der Vertrag der Liebenden, die sich Offenheit und Respekt versprechen, kann als Pakt von Locarno und Reuchlin als Verkörperung faschistischer Demagogie gelesen werden.

„Die Welt ist blau“ ist überhaupt was Seltenes. Allein schon dadurch, was nicht vorkommt. Weder wabert ein verschwiemelter Tiefsinn rum, noch tauchen stylishe Powerfrauen auf, die zu viel Eierlikör trinken. Die Wolff schreibt einfach unterhaltsam. Sie überpudert Vernunft und Aufklärung mit Tessiner Sommer, Strand und Urlaub und konnte so die „Blaue Welt“ als Vorabdruck in die Neue Zürcher schmuggeln.

[Victoria Wolff: Die Welt ist blau. Ein Sommer-Roman aus Ascona
Aviva Verlag, Berlin, 2008, 222 Seiten, EUR 18,00
Bestellen?]

Comments are closed.