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Tote Vögel: Als Jude in der Sowjetunion


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Das „beste Vaterland der Welt“, nennt der israelische Autor Boris Saidman in seinem Debütroman „Hemingway und die toten Vögel“ die Sowjetunion und meint es sarkastisch. Denn sein Protagonist Tolik Schnajderman ist dort ständig antisemitischen Diskriminierungen ausgesetzt. Am Ende wandert er nach Israel aus.

Der israelische Autor Boris Saidman, beziehungsweise sein Roman-Alter-Ego Tolik Schnajderman, unternimmt eine Reise zwischen den Welten.

Geboren und gross geworden in den 60ern und frühen 70ern in der Ukraine, verlässt seine Familie mit dem 13-Jährigen die Sowjetunion in Richtung Israel – wie Tausende sowjetischer Juden, die den täglichen Antisemitismus im Lande leid waren oder sich direkt bedroht sahen, denn gerade unter Stalin waren Juden verfolgt und umgebracht worden, wenn auch weniger in offener antisemitischer Hetze, als eher unter Vorwänden, zu einer „imperialistisch-zionistischen Verschwörung“ dazuzugehören.

Boris Saidman: „Hemingway und die toten Vögel“, Berlin Verlag, 224 Seiten

Boris Saidman erzählt die Zeit vor der Ausreise, die Übersiedlung selbst und einige Episoden danach. Die Auswanderung macht für den zart pubertierenden Teenager das Leben nicht einfacher, nur anders. Das beginnt schon mit der neuen Sprache: Hebräisch – „Da wurde ihm klar, dass er ab jetzt beim Sprechen ständig mit einer Reizung der Luftwege rechnen müsse.“

Aber auch der Empfang am Tel Aviver Flughafen erinnerte ihn in seiner ganzen Strenge und Disziplin an seine alte Heimat. Und vor allem: Hier sprach man nicht nur Hebräisch, sondern genauso auch Russisch. Überall die Sprache seiner Kindheit, gesprochen von Leuten, die mit Überanpassung an die neue Heimat glänzten, aber ihre Herkunft nicht verbergen konnten.

Doch Saidmans Buch ist kein Roman über das moderne Israel und seine inneren Kämpfe um Identität und Zugehörigkeit. Vielmehr erzählt er rückblickend über den Antisemitismus in der angeblich so auf Gleichheit achtenden Sowjetunion – den staatlich geförderten und den alltäglichen auf der Strasse und in der Schule.

Über seine Hauptperson Tolik sagt der Erzähler voller bitterem Sarkasmus:

„Er war im besten Vaterland der Welt geboren worden.“

Er wäre etwa gern ins Ferienlager gefahren, so wie alle, jedoch in einem sowjetischen Kinderferienlager seien Juden nur akzeptiert gewesen, wenn sie „ordentlich Fussball spielen“ konnten, jedenfalls nicht so ein „Bücherwurm“ und „Brillenträger“ wie er. Tolik hat keine Freunde. Sein Halt sind seine Familie und deren erwachsenen Freunde.

Rosa zum Beispiel, die Freundin der Mutter, die er Tante nennt, die bei sich zu Hause das Foto eines älteren Mannes mit grauem Bart, einer elegant gefurchten Stirn, und einem ironischen Blick an der Wand hängen hat. Auf diesem Foto bildet sich Tolik ein, Onkel Niuma zu sehen, den hoch dekorierten jüdischen Offizier der Roten Armee, der sein Land gegen die Deutschen verteidigt hatte und dabei sein Leben riskierte, und den man nach dem Krieg – „zum Dank“ – in den GULAG steckte, aus dem er nicht mehr zurückkehrte, obwohl Tolik bis zum Schluss darauf hoffte.

Auch die Illusion, Niuma sei auf dem Foto zu sehen, wurde ihm genommen. Es war ein Foto von Ernest Hemingway. Woran Tolka aber ganz fest glaubte, war, dass Niuma Vögel wiederbeleben konnte. Wenn sie im sibirischen GULAG-Winter halbtot vom Himmel fielen, wärmte er sie, bis sie wieder fliegen konnten. Ein Hemingway und die toten Vögel.

Boris Saidman schreibt über die Sowjetunion der 60er und 70er Jahre – und das war für viele kein besonders attraktiver Ort zum Leben. Angefangen von der gnadenlosen Umgestaltung der Städte nach den Vorstellungen des Regimes, über die Erziehung Jugendlicher zu angepassten, obrigkeitshörigen „sozialistischen Staatsbürgern“ (und „Antizionisten“) bis hin zur Verbreitung von nackter Angst bei jedem, der auch nur etwas von der Norm abwich. Seitenweise zeichnet der Autor ein düsteres Bild, eine Gesellschaft, die man jedem frei denkenden Menschen ersparen möchte und die in ihrer Härte vermutlich bedrückender war als der gesamte Ostblock zusammen.

Was der Familie des Erzählers blieb, war Sarkasmus. Des Vaters liebster Witz war der: Warum bekommt in der Sowjetunion ein jüdisches Baby auf der Geburtsstation einen Stempel „Hergestellt in der UdSSR“ auf den Hintern gestempelt? Weil es für den „Export in den Nahen Osten“ bestimmt ist.

Rezensiert von Vladimir Balzer

Boris Saidman: Hemingway und die toten Vögel
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Berlin Verlag
224 Seiten, 17,90 Euro

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