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Die schweizerische Linke und Israel

Die Freiburger Historikerin Christina Späti hat das spannungsreiche Verhältnis der schweizerischen Linken zum Staat Israel untersucht. Obwohl der Autorin vergleichende ältere Länderstudien von Martin Kloke (Deutschland) und Margit Reiter (Österreich) vorlagen, die ihren Erkenntnisprozess und die Struktur ihrer Analyse offenkundig wesentlich gestützt haben[1], betritt Späti wissenschaftliches Neuland. Denn in der Schweiz haben nicht wenige politische Akteure lange Zeit den Mythos gehegt, man könne das Problem des Antisemitismus – und erst recht eine antisemitisch grundierte Israelfeindschaft in der Linken – auf Deutschland und Österreich beschränken. Vereinzelte Stimmen wie der Zürcher Psychiater und sozialdemokratische Kantonspolitiker Emanuel Hurwitz, die bereits in den 1980er-Jahren aus eigener leidvoller Erfahrung auf die Virulenz eines linksgetönten Antisemitismus aufmerksam gemacht haben[2], sind kaum beachtet worden.

Rezension von Martin Kloke, H-Soz-u-Kult, 12.03.2008

Zunächst skizziert Christina Späti den internationalen Forschungsstand zu den Grundfragen von Antisemitismus und Antizionismus im Kontext der politischen Linken. Dabei leistet sie einen hilfreichen Beitrag zur Ausdifferenzierung dieses komplexen Gegenstandsfeldes. Gleichwohl muss man nicht jede der Schlussfolgerungen Spätis nachvollziehen – etwa die kühne These, der Philosoph Karl Marx sei antisemitischer Ressentiments unverdächtig, auch wenn er "die zeitgenössischen judenfeindlichen Stereotype kritiklos übernommen" habe (S. 51). Aus systematischen und pragmatischen Gründen konzentriert Späti ihren Untersuchungszeitraum auf die Zeit zwischen 1967 und 1991. Auf der Basis von mehr als hundert Periodika, Flugblättern und weiteren archivalischen Materialien entfaltet die Autorin ein buntes Panorama linker Israel-Wahrnehmungen in der Schweiz. Auf Interviews hat Späti verzichtet, da die Autorin den möglichen Erkenntnisgewinn wegen der nicht selten gewandelten Überzeugungen früherer linker Akteure als vernachlässigbar einschätzt.

Im Rahmen ihrer zeitgeschichtlich als bedeutsam erachteten Zäsuren und Periodisierungen (1967-1973, 1974-1982, 1982-1987, 1988-1991) macht Christina Späti drei Grundpositionen aus: a) einen linken Antizionismus, der das Existenzrecht Israels leugnet; b) einen auf Äquidistanz zu Israel und den Palästinensern gehenden "Dualismus" der Zweistaatenlösung; c) einen linken Proisraelismus, der gegen Ende von Spätis Periodisierung beinahe in der Versenkung verschwunden zu sein scheint. Wie im Deutschland von 1967[3] setzte nach dem triumphalen Sieg der Israelis im Sechstagekrieg auch in der Schweiz ein radikaler Einstellungswandel ein: Jene Neue Linke der 1968er-Generation, die auf antiimperialistische Glaubenssätze und eine ökonomistische Faschismus-Analyse fixiert war, lehnte Israels Existenz als jüdischen und demokratischen Staat grundsätzlich ab. Selbst gemässigte Linke gerieten in einen vom Zeitgeist diktierten Zugzwang und gingen auf Distanz zum vormals positiv konnotierten zionistischen Staat.

Dieser Trend sollte sich nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973, bei dem sich Israel zunächst nur mit Mühe des arabischen Überraschungsangriffes erwehren konnte, weiter vertiefen. "Zionismus" war in den Augen vieler linker Antizionisten eine Spielart des "Rassismus" – er wurde teils implizit, teils explizit mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gesetzt. Darüber hinaus, so hiess es vielsagend, würden "die Zionisten" den Holocaust für eigene tagespolitische Zwecke instrumentalisieren. Selbst der israelisch-ägyptische "Separatfrieden" von 1979 wurde nicht als Chance begriffen, ideologische Schablonen einer kritischen Reflexion zu unterziehen, hatte doch in diesem ersten Nahostfriedensprozess ausgerechnet Israels nationalkonservativer Ministerpräsident Menahem Begin "legitime und berechtigte Ansprüche" des "palästinensischen Volkes" anerkannt. Vor allem während des Libanonkrieges wurden die Israelis unverblümt und bar jeder historischen Tatsache des Völkermordes bezichtigt sowie mit den deutschen Nazis verglichen und gleichgesetzt. Den Höhepunkt eines antisemitisch grundierten Antizionismus datiert Späti in die Phase von 1974 bis 1982. Lediglich in traditionell sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kreisen sowie unter religiösen Sozialisten seien israelkritische Äusserungen verhaltener geäussert worden – was gewiss auch der bestürzenden Tatsache geschuldet war, dass der Antizionismus der radikalen Linken vielerorts antisemitisch kontaminiert war. Auch hier sind die Parallelen zur bundesdeutschen Wirklichkeit, mit nur leichter zeitlicher Verschiebung, in vielerlei Hinsicht offenkundig.

Nach 1982 begann die antizionistische Welle auch in der Schweiz abzuebben. Die vor allem innerhalb der Sozialdemokratie ausgetragene Antisemitismus-Debatte, der aufkeimende Pragmatismus in Teilen der PLO, aber auch ein generell abnehmendes Interesse am Nahostkonflikt, führten zu einer Versachlichung des Diskurses. Als antizionistische Mobilisierungsfaktoren fungierten gleichwohl in Teilen der radikalen, zunehmend marginalisierten Linken die erste Intifada 1987/88 und der Golfkrieg 1991. Ein neue linke Mehrheit trat nun an, die "Friedenskräfte" auf palästinensischer und israelischer Seite in ihrem Engagement für eine Zweistaatenregelung unterstützen zu wollen.

Christina Späti kann in ihrem Resümee beigepflichtet werden, wonach "in der deutschen Linken bisweilen ein deutlicherer Antisemitismus zu finden war als in Österreich und der Schweiz" (S. 333). Diese Erkenntnis steht keineswegs im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Autorin zahlreiche erschütternde Belege für linken Antisemitismus in der Schweiz liefert. Gleichwohl zeigt sich Späti bei der Klassifizierung offenkundig antisemitischer Ressentiments ausserordentlich zurückhaltend: "Wie die Studie gezeigt hat, wurden in linken Publikationen antisemitische Klischees und Vorurteile weitertransportiert. […] Vorausschickend ist zu erwähnen, dass es bei den meisten Linken in ihrer Kritik an Israel in erster Linie um Solidarität mit den unterdrückten Palästinensern und nicht um den Ausdruck einer grundsätzlichen antisemitischen Haltung ging. Es handelte sich also nicht um Äusserungen einer prinzipiellen antisemitischen Weltanschauung. Wäre dies der Fall gewesen, so hätten judenfeindliche Argumentationen weitaus häufiger zum Ausdruck kommen müssen, als sie tatsächlich vorkamen." (S. 337f.) Warum sich die kluge Analytikerin Späti am Ende von ihren eigenen akribisch zusammengetragenen Befunden distanziert, anstatt auch unbequeme Schlussfolgerungen zu wagen, bleibt ihr Geheimnis. Der für deutschsprachige Zeitungen in der Schweiz schreibende Kulturjournalist und Schriftsteller Jean Amery sah sich schon 1969 genötigt zu bilanzieren: "Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar."[4] Nach Auschwitz tragen allerdings "linke" und "bürgerliche" Antisemiten ihre Ressentiments – anders als ihre rechtsradikalen Geistesverwandten – nicht wie Monstranzen vor sich her, sondern suchen ihre Obsessionen über einen "rational" anmutenden "Antizionismus" oder eine harmlos-unverdächtig gerierende "Israelkritik" zu transportieren.

Christina Späti: Die schweizerische Linke und Israel. Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991, Klartext-Verlag 2006 (Antisemitismus: Geschichte und Strukturen 2), ISBN: 3-89861-407-7, 360 S., Euro 29,90, Bestellen?

Anmerkungen:
[1] Vgl. Kloke, Martin, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Frankfurt am Main 1990; Reiter, Margit, Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah, Innsbruck 2001.
[2] Vgl. Hurwitz, Emanuel, Bocksfuss, Schwanz und Hörner. Vergangenes und Gegenwärtiges über Antisemiten und ihre Opfer, Zürich 1986.
[3] Vgl. Kloke, Martin, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des Imperialismus". Vor vierzig Jahren wurde die neue deutsche Linke antiisraelisch, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 698, (2007), S. 487-497.
[4] Amery, Jean, Der ehrbare Antisemitismus. Die Barrikade vereint mit dem Spiesser-Stammtisch gegen den Staat der Juden, in: Die Zeit, 25.7.1969, S. 16.

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