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Bürokratie & Beletage

 

Orte sind nie frei von Geschichte und Häuser schon gar nicht. In Häusern spiegelt sich nicht nur Stadtgeschichte, eine bestimmte Architekturepoche, sondern auch die Geschichte der Bewohner innerhalb eines bestimmten historischen Kontexts. Allein die Eigentumsverhältnisse und auch Besitzerwechsel spiegeln die sozioökonomischen und politischen Umstände ihrer Zeit…

Von Monika Halbinger

Martin Pollack hat in seinem Essay „Kontaminierte Landschaften“[1] darüber hinaus deutlich gemacht, wie ganze Regionen Europas durch die darauf verübten Massenmorde gewissermaßen „vergiftet“ wurden. Auch Häuser können durch das historische Geschehen belastet sein, was man im Falle des Hauses Weiburggasse 30 an der Wiener Ringstraße gelegen, erkennen kann, dessen Geschichte sich Robert Streibel in seinem Buch „Bürokratie & Beletage. Ein Ringstraßenpalais zwischen „Arisierung“ und spätem Recht“ angenommen hat.[2]

Bürokratie & BeletageStreibel ist nicht nur Historiker, sondern auch Leiter der Volkshochschule Hietzing. Erst kürzlich wurde er für sein unermüdliches und vielfältiges Engagement im Bereich der Erinnerungs- und Gedenkarbeit mit dem Leon-Zelman-Preis 2015 ausgezeichnet, der seit 2013 im Gedenken an den langjährigen Leiter des Jewish Welcome Service Wien und Herausgeber der Zeitschrift „Das Jüdische Echo“ einmal jährlich verliehen wird.[3]

Streibls neuestes Buch kam pünktlich zum 150jährigen Jubiläum der Wiener Ringstraße auf den Markt, dem sich zahlreiche Museen in Wien in diesem Jahr widmen, auch unter Einbeziehung des jüdischen Aspekts[4]. Sowohl Auftraggeber, Architekten als auch Bewohner der Ringstraßenpalais waren zu einem nicht unerheblichen Teil jüdisch; etwa für ein Viertel der Bauten soll dies zugetroffen haben. Reiche jüdische Bankiers und Unternehmer haben dieses prestigeträchtige Stadtentwicklungsprojekt der Monarchie finanziert, meist mit der Hoffnung auf gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung verknüpft. Auch die Geschichte der Weihburggasse 30 spiegelt diesen jüdischen Kontext wider. Darüber hinaus lässt sich an ihr auch allgemein die österreichische Geschichte ablesen, denn die Anfänge liegen im Habsburgerreich, in Böhmen und Mähren. Alle drei Familien, denen das Haus im Laufe der Zeit gehörte, stammten aus diesen Regionen. Zudem weist das Palais einige Besonderheiten in seiner Geschichte auf, ist Zeuge der historischen Brüche und Umwälzungen der vergangenen anderthalb Jahrhunderte.

Im ersten großen Kapitel widmet sich Streibel der Baugeschichte des Hauses.[5] 1871 – mitten im Ringstraßengründerboom – reichte der aus Prag stammende, jüdische Textilindustrielle Gottlieb Schwab über seinen Architekten Wilhelm Stiassny einen Bauplan für ein Palais in der Weihburggasse 30 ein, der noch im selben Jahr genehmigt wurde.

Das Palais Schwab wird nicht zu den elegantesten und auffallendsten Palais in Wien gehören, es befindet sich auch nicht in der  1. Reihe, sondern in der 2. Reihe der Ringstraße, in unmittelbarer Nähe zum Stadtpark. Dennoch handelt es sich um einen repräsentativen Wohnsitz, der den Aufstieg Schwabs in der Wiener Gesellschaft bekunden sollte. Innerhalb kürzester Zeit nach seinem Zuzug nach Wien taucht Schwabs Name in Wiener Zeitungen und auf Spendenlisten auf. Er war in diverse wohltätige Organisationen involviert. Man kann daraus schließen: Gottlieb Schwab kam schnell in der Wiener Gesellschaft an. Am 7. November 1872 war das „Palais Schwab“ schließlich bezugsfertig. Das Haus in der Weihburggasse 30 wird immer wieder als „Gesamtkunstwerk“ bezeichnet, was auch auf die kunstvolle Ausgestaltung der Wohnungen im Hochparterre, der Beletage, zurückzuführen ist. Diese besorgten die beiden aus München stammenden Historienmaler Julius Frank und Michael Echter. Die architektonische Konzeption der Beletage gab aufgrund ihres Bibliotheksraums mit geheimer Treppe aber auch immer wieder Anlass zu Spekulationen. Streibel thematisiert hier auch eine mögliche Freimaurer-Verbindung und geht auch auf die zeitgenössische öffentliche Rezeption dieses Bundes ein, die zwischen positiver Faszination und entschiedener Ablehnung, auch häufig antisemitisch grundiert war, schwankte. Ein besonderes Augenmerk legt Streibel in seiner Beschreibung auch auf den Baumeisters des Palais Schwab, Wilhelm Stiassny. Dieser war einer der vielbeschäftigsten Architekten seiner Zeit: er plante Synagogen, gründete das erste jüdische Museum in Wien und auch eine Wiener gemeinnützige Baugesellschaft, die als Vorläufer der Sozialbaubewegung gilt. Ebenso  war er zweimal im Wiener Gemeinderat aktiv und trat gegen den Antisemitismus des berühmt-berüchtigten Wiener Bürgermeisters Karl Lueger auf, obgleich er auf öffentliche Aufträge angewiesen war. Spannend ist auch seine zionistische Ausrichtung und laut des Berichts einer Freundin der Familie Stiassny, soll er Herzl Palästina als jüdische Heimstätte ans Herz gelegt haben, während dieser eigentlich an ein anderes Land gedacht haben soll.[6]

Generell bettet Streibel die Geschichte des Hauses sehr anschaulich und meisterhaft in den historischen Kontext ein, geht auf zeitgeschichtliche Ereignisse wie die z.B. die Weltausstellung von 1873 ein, verliert aber auch nicht die sozialen Realitäten der Stadtgesellschaft aus dem Blick. So beschreibt er dankenswerterweise auch die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter während des Baus der Ringstraße, die auch in heutigen Darstellungen oft nur am Rande gestreift werden. So waren 14-Stundentage, niedrige Löhne und tödliche Arbeitsunfälle aufgrund unzureichender bzw. nicht vorhandener Sicherheitsvorkehrungen der traurige Alltag jener namenlosen Arbeiter, welche die Ringstraße tatsächlich erbauten. Gleichzeitig liefert die zeitgenössische Wahrnehmung der „Ringstraßen-Parvenüs“ Hinweise auf damalige gesellschaftliche Gesinnungen und Denkweisen. Kritik an den wenig soliden „Neureichen“ war  – so zeigt Streibel – häufig antisemitisch gefärbt, wenn z.B. die fiktive Rede des „großen Kohn“ als Prototyp des Ringstraßen-Emporkömmlings 1872 in der Zeitschrift die „Bombe“ in einer Mischung aus Deutsch und Jiddisch erschien.[7]

Gottlieb Schwab konnte sich nur ein Jahr seines Besitzes erfreuen. Bereits1875 wechselte das Palais in das Eigentum der Familie von Liebig. Der genaue Grund ist nicht bekannt, dennoch ist die Angelegenheit nicht so ungewöhnlich. Immer wieder mussten Besitzer ihr neu fertig gestelltes Haus verkaufen, da sie sich finanziell übernommen hatten. Der neue Besitzer, Freiherr Johann Liebig jun., kam in Liberec/Reichenberg zur Welt und stammte aus einer bedeutenden jüdischen Industriellenfamilie. Die Eheleute von Liebig kauften das Haus in der Weihburggasse 1874/75.

Der letzte rechtmäßige Besitzer des Hauses ist die aus Trebic/Mähren zugewanderte Familie Schnabel, deren weit verzweigte Familie Robert Streibel in ausgewählten Strängen nachgeht, um den Schicksalsbruch des Jahres 1938 zu dokumentieren. Während ein Teil der Familie ermordet wurde, gelang anderen Mitgliedern die Flucht ins Ausland. Ein Vertreter der kunstsinnig-kulturellen Linie der Familie war Alice Schnabel. Sie war verheiratet mit dem bekannten Maler Ferdinand Schmutzer. Im Salon der Eheleute verkehrten viele prominente Künstler, darunter ein weiteres Familienmitglied, der Schriftsteller Hermann Broch, Sohn von Johanna Schnabel. Aber auch Stefan Zweig, Franz Werfel und Felix Salten waren zu Gast bei den Schmutzers.

Im Falle von Alice Schnabel ist bis heute nicht geklärt, wie sie der Verfolgung entkommen und in Wien überleben konnte; auch bei Flora Schnabel, die 1944 im jüdischen Altersheim in der Malzgasse verstarb, ist unklar, warum sie von der Deportation verschont blieb. Ihrem Enkel Anthony Swing ist der Grund nicht bekannt. Beide, sowohl Alice Schmutzer als auch Flora Schnabel, mussten jedenfalls miterleben, wie im Sommer 1938 die Immobilie von den Nazis „arisiert“ wurde. Die Besitzerfamilie Schnabel wurde zum Verkauf weit unter Wert gezwungen. Die „Reichsanstalt für deutsche Arbeit“, also das „NS-Arbeitsamt“, zog bis zum Kriegsende in das Gebäude. 1945 – hier werden Kontinuitäten sichtbar – übernahm die Republik einfach das Gebäude und bis in die 1990er Jahre war hier die Zentrale der Arbeitsmarktverwaltung untergebracht. Es ist bemerkenswert, wie schnell die Geschichte hier verdrängt und vergessen wurde. Nie hinterfragte jemand, warum das Arbeitsamt in einer so repräsentativen Adresse wie einem Ringstraßenpalais beheimatet ist. Streibel verweist in diesem Zusammenhang auch auf die bis dato ungeschriebene Geschichte der NS-Arbeitsämter und ihre Rolle in der NS-Unterdrückung. So sollten sie nicht nur  den freien Willen des einzelnen über den Einsatz seiner Arbeitskraft beseitigen, sondern sie waren. zudem Erfüllungsgehilfen bei der Judenverfolgung vor den Deportationen, und spielten auch eine entscheidende Rolle bei der Verteilung von Zwangsarbeitern.[8]

Dank Streibels Ansatzes, die Geschichte des Hauses unter den verschiedensten Gesichtspunkten zu beleuchten und zu erschließen, wird auch der Rechtsanwalt der Familie Schnabel in einem eigenen Kapitel portraitiert. Dr. Albrecht Alberti war den Schnabels gewissermaßen als „Pflichtverteidiger“ zur Seite gestellt, um den Anschein der Rechtmäßigkeit der Enteignung zu wahren. Schon in den1930er Jahren war er in der niederösterreichischen Heimwehr aktiv und wies eine starke Nähe zum Nationalsozialismus auf. 1938 trat Alberti schließlich der NSDAP bei. In den 1950er Jahren wurde er wegen NS-Wiederbetätigung angeklagt. Ein Gespräch mit seiner Tochter im Jänner 2004 brachte bis heute weit verbreitete Rechtfertigungs- und Verdrängungsstrategien zutage. So behauptet diese entschieden, dass ihr Vater kein Nationalsozialist gewesen sei, nur ein Opfer von Intrigen. Streibel kann aber belegen, wie Alberti von „Arisierungen“ profitierte. So übernahm er die Kanzlei eines jüdischen Anwalts und bereicherte sich an Einrichtungsgegenständen aus dem Besitz der Schnabels, um das Landhaus seiner Tochter in Kärnten auszustatten, wie er in seinen Honorarforderungen begründete. Das Gespräch mit der Tochter Albertis brachte aber keine Kenntnisse über den Verbleib der Möbel, Bilder und Teppiche.

Nachdem das jahrelange Rückstellungsverfahren des Anwesens in der Weihburggasse 30 durch einen erzwungenen Vergleich 1957 beendet wurde, der die Erben mit einem Wert von 10 Prozent der Liegenschaft abspeiste, kam es erst in den 2000er Jahren zu einer Art  „späten Gerechtigkeit“. 2005 gab die Republik Österreich das Haus den Erben zurück, zumal bereits 2003 eine Schiedsinstanz die Restitution empfohlen hatte. Das Palais Schwab war somit das 1. Objekt in Österreich, das naturalrestituiert wurde.

Interessant ist dabei, dass nicht die Nachkommen der einst Vertriebenen und Verfolgten die Initiative zur Aufarbeitung der Geschichte gaben, sondern der aktuelle Besitzer des Hauses in der Weihburggasse 30, Licht ins Dunkel bringen wollte. Wie so oft war es also erst der dritten Generation möglich, das Schweigen zu brechen. Der Enkel der ehemaligen Eigentümerfamilie Schnabel, Anthony Swing, zeigte sich einigermaßen überrascht, aus Wien kontaktiert zu werden. Seine Mutter selbst hatte über ihr Leben in Wien nie gesprochen, dieses Kapitel war für sie abgeschlossen. Dass seine Großeltern ein Haus in Wien besaßen, war ihm gar nicht bekannt.

Nicht nur in Bezug auf das Ringstraßenjubiläum ist das Buch von bemerkenswerter Brisanz, sondern auch vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen zur Restitution in Österreich. Erst kürzlich feierte der Film „Woman in Gold“ im Wiener Urania-Kino seine Österreich-Premiere und rief den Kampf der Maria Altmann und ihres Anwalts E. Randol Schoenberg um die Rückgabe des von Klimt erstellten Portraits der Adele Bloch-Bauer, der Tante von Maria Altmann, die 2006 nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen tatsächlich erfolgte, wieder in das österreichische Bewusstsein. Fast zeitgleich erfolgte die Ankündigung der Erben des 1941 im KZ Dachau ermordeten Schauspielers Fritz Grünbaum, gegen die Republik Österreich Klage auf die Herausgabe von Kunstwerken Egon Schieles einzureichen.[9]

Die Geschichte des Palais Schwab ist ein gut lesbarer wissenschaftlicher Text, der die „Biographie“ dieses Hauses spannend in all seinen Facetten präsentiert. Dass kein Leser in Zukunft achtlos an der Weihburggasse 30 vorbeigehen kann, ohne sich an die wechselvolle Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner  zu erinnern, ist Robert Streibel hoch anzurechnen. Der Autor hat immens gründlich und tief recherchiert. Das Buch enthält eine Zeittafel mit den wichtigsten Daten der Hausgeschichte, eine Chronik der Restitution und  eine Auflistung der letzten Ruhestätten der wichtigsten Protagonisten wie Architekt und Bewohner. Und nicht zuletzt benennt Streibel aber auch die offenen Fragen, die vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch geklärt werden können: so z.B. ob der Bibliotheksraum im Souterrain wirklich ein Freimaurertempel war, oder ob Gottlieb Schwab das Haus verkaufen musste, weil er aufgrund des Börsenkrachs von 1873 Geld benötigte? Die entscheidende Frage stellt Streibel  aber ganz zum Schluss: „Hatten die handelnden Personen, die die Rückstellung des Hauses durch neun Jahre verzögerten und einen – für die Republik mehr als günstigen – Vergleich aushandelten, zu irgendeiner Tages- oder Nachtzeit Skrupel wegen ihres Vorgehens?“

Robert Streibel: „Bürokratie & Beletage. Ein Ringstraßenpalais zwischen ‚Arisierung‘ und spätem Recht“, Wien, 2015 mandelbaum verlag, 180 S., Euro 19,90, Bestellen?

[1] Martin Pollack: Kontaminierte Landschaften, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014.

[2] Weitere Bücher aus den vergangenen Jahren, die die Geschichte von Häusern und ihren jüdischen Bewohnern in Wien thematisieren, also der „Hausgeschichte“ zuzuordnen sind: Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, Wien 2011; Tim Bonyhady: Wohllebengasse. Die Geschichte meiner Wiener Familie, Wien 2013.

[3] http://derstandard.at/2000017202564/Historiker-Robert-Streibel-erhaelt-Leon-Zelman-Preis-2015-geht-an

[4] So die aktuelle Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: „Die Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“, bis  4. 10.2015 noch zu sehen.

[5] Streibel kann hierbei auf eine unpublizierte Studie einer ehemaligen Mitarbeiterin des Landesarbeitsamtes Wien zurückgreifen, die allerdings die NS-Zeit nur streift und äußerst selektiv behandelt: Ingeborg Schweikert: Weihburggasse 30. Manuskript.

[6] S. 85 zitiert nach Robert S. Wistrich: Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Wien 1999, S. 608-.

[7] S. 55.

[8] S. 170. Streibel skizziert hier den spärlichen Forschungsstand und erwähnt auch, dass das Sozialministerium im Jahr 2012 das Institut für Zeitgeschichte in Wien beauftragt habe, die Rolle der Arbeitsämter in der NS-Zeit zu untersuchen. Laut Institutsleiter Oliver Rathkolb sei allerdings die Aktenlage äußerst schlecht. Da durchgängige Personalaufzeichnungen fehlen, könnten NS-Karrieren kaum nachgezeichnet werden.

[9] http://derstandard.at/2000016891925/Gruenbaum-Erben-kuendigen-Restitutionsklage-gegen-Oesterreich-an

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