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Freud in Israel

Eran Rolniks Studie über die Geschichte der Psychoanalyse im frühen Palästina…

Freud auf Hebräischvon Roland Kaufhold

Eran Rolniks Studie über die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Palästina und im jungen Israel ist eine glänzend geschriebene, materialienreiche Abhandlung über ein Thema, über welches weiterhin weitgehend Unkenntnis besteht. Er zeichnet die Spuren nach, die Freuds Werk in Palästina hinterlassen hat. Erleichtert wurde dieser Kulturexport durch den Umstand, dass seinerzeit zahlreiche Psychoanalytiker insbesondere aus Berlin und Wien vor den Nationalsozialisten in das ferne Palästina flohen – und so ihrer Vernichtung entkamen. Eran Rolnik wurde 1965 in Israel geboren, hat sowohl in Gießen als auch in Tel Aviv studiert und arbeitet in Israel als Psychoanalytiker, Psychiater und Historiker.

In „Die Pioniere der Psychoanalyse und ihr Unbehagen“ erinnert Eran Rolnik an zwei Zionisten, die sich schon ein Viertel Jahrhundert vor der Staatsgründung im damaligen Palästina für Freuds Schriften und die Psychoanalyse interessierten: David Eder und Arthur Ruppin; beide waren in Europa ausgebildete Psychoanalytiker.

David Eder (1865-1936) engagierte sich in Palästina für das Waisenhauskomitee des Jischuw. 1918 war er an einer Studie zur Situation der 300 jüdischen Waisenhauskinder beteiligt. Die Gruppenleiter und Erzieher der Waisenkinder sollten sich für die Psyche der Kinder interessieren und eine individuelle Beziehung zu ihnen aufbauen. Auch verfasste er psychologische Studien zu einzelnen arabischen Führern.

Der zweite Pionier der Psychoanalyse in Palästina war Dorian-Isidor Feigenbaum (1887-1997). Sein Entschluss, nach Palästina zu gehen und sich dort um die Leitung „der einzigen psychiatrischen Klinik im fernen Palästina“ zu bewerben (S. 70), wurde innerhalb von Freuds  „Geheimem Komitee“ breit diskutiert. Er publizierte regelmäßig über den Einfluss schwerer Traumatisierungen bei Juden sowie über „die auffallend hohe Suizidrate“ (S. 70) unter den zionistischen Pionieren der Jahre 1910 bis 1923. Gemeinsam mit Eder gründete Feigenbaum eine psychoanalytische Studiengruppe. Zu ihren Mitgliedern gehörten Hugo Bergmann, der Augenarzt Aryeh Feigenbaum, Siegfried van Friesland und die Lehrerin Greta Obernik.

Sehr anregend ist das Kapitel „Berlin ist uns verloren“. Rolnik zeichnet in dichter Weise die Emigrationsbewegung insbesondere der Berliner Psychoanalyse nach. Einige Berliner Analytiker bzw. in Ausbildung befindliche Analytiker flohen in das damalige Palästina und waren entscheidend am Aufbau der Psychoanalyse in Palästina beteiligt. Am bekanntesten ist das Wirken Max Eitingons, der in Berlin einen großen Einfluss hatte; er war von 1925 bis 1932 IPV-Präsident, und Freud war ihm anfangs sehr zugewandt. Bereits drei Monate nach der „Machtergreifung gab es – von Felix Bohm und C. Müller-Braunschweig vorangetriebene – Versuche, ihn vom Berliner Institut zu vertreiben. Wenige Monate später wurde Eitingon zum Rücktritt gezwungen, am 23.8.1933 schrieb Freud an Jones: „Berlin ist uns verloren“ (S. 106). Der Jude Eitingon entschloss sich, nach Palästina zu gehen, was Freud „gänzlich unvorbereitet“ (ebd.) traf. Eitingon blieb mit seinem Entschluss nicht alleine: Kurz danach folgten ihm seine Berliner Kollegen Kilian Bluhm, Ilja Schalit, Anna Smiliansky, Walter Kluge und Moshe Wulff nach Palästina. Anna Freud schrieb am 18.8.1934 in überraschender Eindeutigkeit: „Tatsache ist, so merkwürdig das sein mag, daß die Behörden die Psychoanalyse nie angegriffen oder ihre Tätigkeit in irgend einer Form beschränkt haben. (…) Die 25 Mitglieder, die gegangen sind, haben dies getan, weil sie Juden waren, nicht weil sie Analytiker waren.“ (S. 110, Hervorheb. d. Verf.)

Sehr gelungen ist Rolniks Darstellungen zum Umgang der nicht-jüdischen Psychoanalytiker mit ihrer jüdischen Kollegen Edith Jacobson.  Diese war 1935 wegen ihres Engagements bei der linken Widerstandsgruppe Neu Beginnen – mit dem sie gegen den neu kreierten „Unvereinbarkeitsbeschluss“ verstieß – und wegen ihres Judentums 1935 in Berlin-Moabit in Untersuchungshaft gekommen; schließlich wurde sie zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt und entkam 1938 nur mit äußerstem Glück in die USA (vgl. Kessler, 2015; Kaufhold, 2015). Insbesondere die „Arier“ Boehm und Müller-Braunschweig verhielten sich mehr als fragwürdig, wenn nicht sogar niederträchtig gegenüber ihrer mutigen jüdischen Kollegin – „einer jungen jüdischen Psychoanalytikerin, die sich dank ihrer außergewöhnlichen klinischen Fähigkeiten einen Namen gemacht hatte.“ (S. 111). Rolnik hebt auch Jacobsons Studie (1949) „der psychologischen Auswirkungen der Gefangenschaft auf das Ich“ hervor, die eine „einzigartiges Zeugnis“ sei, das „seine autobiografischen Züge nicht verbirgt.“ (S. 113)

In Wien flohen zeitgleich der Kinderarzt und Psychoanalytiker Josef K. Friedjung sowie Martin Pappenheim nach Palästina und ermöglichten so ein Weiterleben der Freudschen Psychoanalyse im Exil. Nach dem Einmarsch  der Wehrmacht in Wien am 12.3.1938 notierte Freud in seinem Tagebuch „Finis Austriae“ – womit sein Weg in das britische Exil vorgezeichnet war. Zeitgleich traf ein bemerkenswerter Brief aus Jerusalem in der Berggasse 19 ein, „unterzeichnet von den 16 Mitgliedern der eben erst gegründeten Psychoanalytischen Gesellschaft Palästinas, die dem Professor ihr Beileid ausdrückten und ihm versprachen, das von ihm Geschaffene zu verteidigen und weiterzuführen.“ (S. 115f.) Eindrücklich wird von Rolnik die enorme seelische Anpassungsleistung beschrieben, die Emigranten wie Eissler, Hartmann, Mahler, Jacobson, Bruno Bettelheim und Ernst Federn in ihren Fluchtländern vollbringen mussten, um einen seelischen Neuanfang zu schaffen. „Eines ist klar: Jeder, wer immer er ist – du, ich, berühmt oder unbekannt – muß von vorne beginnen. Die glanzvollste Vergangenheit ist nichts als eine Visitenkarte, die eher Schwierigkeiten verursachen kann, weil sie Erwartungen weckt und einen kritischer macht. Man muß einen Schlußstrich unter die eigene europäische Vergangenheit ziehen und nur darauf aufbauen, was man ist und wozu man fähig ist“, konstatierte Helene Deutsch hellsichtig (S. 120). Rolnik beschreibt Heinz Kohuts „aktive und kompromisslose Leugnungstaktik“ – immerhin war Kohut einer der Begründer einer psychoanalytischen Selbstpsychologie – gegenüber allen Versuchen, ihn an seine jüdische Herkunft zu erinnern. Kohut hatte mit seiner Familie in der großen Wiener Synagoge seine Bar Mitzwa gefeiert – und bat in den USA Kollegen, „für ihn die Bedeutung des hebräischen Begriffs Brit Mila (…) herauszufinden.“ (S. 125)

In dem Kapitel „Migration und Emigration“ zeichnet Rolnik detailliert nach, welche Bedeutung insbesondere die Fünfte Alija (1929 bis 1939) – die jüdische Bevölkerung Palästinas wuchs hierdurch von 175.000 auf 475.000 Einwohner – für die zukünftige Entwicklung Israels hatten. Das Wirken der Pioniere der Psychoanalyse in Israel wird ausführlich dargestellt, eine wahre Fundgrube für historische Forschungen. Viele dieser aus Berlin emigrierten Juden sprachen in ihrer Muttersprache Russisch, wodurch sich auch die osteuropäisch-jüdischen Spuren ihrer Biografien im entstehenden Staat Israel niederschlugen. Das Palästinensische Institut war für sie ein „kleines Berlin“. Die Psychoanalytikerin Margarete Brandt bemerkte 1941 in einem Bericht anlässlich des siebten Jahrestages der Gründung des Jerusalem Instituts: „Das Jerusalemer Psychoanalytische Institut ist ein direkter Abkömmling und, wie es sich ergeben hat, der Nachfolger des Berliner Instituts (…) Dieses Stück Berliner Institut, das hierher mitgekommen ist (…) bedeutet, dass auch ein guter Teil vom alten Geist mitgekommen ist, die Liebe und Verehrung für Freud.“ (S. 132)

Die Beziehung zwischen Eitingon und Wulff, den beiden führenden Köpfen der jungen Psychoanalyse in Israel, war nicht frei von Spannungen und Konkurrenz. Die hebräischsprachige Presse berichtete ausführlich über Freuds Weg ins Exil, was sich für die Rezeption der Psychoanalyse in Israel förderlich auswirkte. Allein zwischen 1936 und 1939 führte das Institut etwa 50 wissenschaftliche Veranstaltungen durch; bis in die späten 50er Jahre wurden diese auf deutsch durchgeführt.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die umfängliche Rezeption der Psychoanalyse im jungen Staat Israel. Josef Karl Friedjung, ein sozialistischer Wiener Psychoanalytiker und Kinderarzt, war 1938 nach Palästina geflohen war. Früh nahm er das tiefe Leid wahr, das die jüdischen Flüchtlinge und Staatsgründer in sich trugen: „Es wird hier, wo man die Kinder mehr zu lieben glaubt, als irgendwo, in Wahrheit mehr geweint, als irgendwo“, konstatierte er bereits 1942 (S. 167). Immer wieder publizierte er „leidenschaftliche Artikel“ (S. 178) zu diesem Thema. Der in Entstehung  befindliche Staat der Überlebenden der Shoah war genötigt, die gesamten seelischen Kräfte zum Aufbau eines eigenen Gesellschaftssystems zu mobilisieren. Und zugleich war er genötigt, sich gegen seine äußeren Feinde zu wehren, die die Vernichtung Israels zum obersten Ziel erklärten, verbal und durch mehrere Angriffskriege – bis heute. Und dennoch: Die Schriften Freuds und weiterer Psychoanalytiker erschienen auch auf hebräisch. Freud  war hiervon sichtlich angetan: „Mit besonderer Genugtuung“, bemerkte Freud im September 1928, „habe ich die Übersetzung meiner Massenpsychologie in unsere heilige Sprache zur Hand genommen. Ich, unwissendes Kind einer vorzionistischen Zeit, kann sie leider nicht lesen.“ (S. 80)

Und Anfang der 30er Jahre berichteten die in der linken Kibbuzbewegung engagierten psychoanalytischen Pädagogen Shmuel Golan und Moshe Wulff über die Teilnahme von achtzig Pädagogen des Haschomer Hatzair an einem psychoanalytischen Ausbildungsprogramm: „Die Teilnehmer seien in eine deutsch- und eine russischsprachige Arbeitsgruppe aufgeteilt worden und hätten an wöchentlichen Vorlesungen von Wulff über die freudianische Theorie teilgenommen.“ (S. 180) Insbesondere Siegfried Bernfelds sozialistisch-zionistische Ideen wurden in theoretischen Schriften immer wieder aufgearbeitet.

In einem mit „Dynamit am Haus“ betitelten Epilog fügt Eran Rolnik eine persönlich gehaltene politische Einschätzung hinzu, die an die Schriften und Essays seines israelischen Kollegen Carlo Strenger ähnelt: „Die anhaltende existentielle Bedrohung und die nach wie vor spürbaren Folgen der Schoah werden Israels Bereitschaft, für die wachsende Isolation Verantwortung übernehmen, weiterhin schmälern, und der selbstgerechten Politik der Omnipotenz weiter Auftrieb geben. Es leuchtet ein, dass die analytische Arbeit in einem von militantem Nationalismus und religiösem Fanatismus geprägten politischen Raum weiterhin eine besondere Herausforderung darstellen wird.“ (S. 230f.)

Eran Rolnik: Freud auf Hebräisch. Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina, Vandenhoeck & Ruprecht 2013, Bestellen?

Literatur:

Kaufhold, R. (2015). Biografische Notizen Edith Jacobson , in: Jacobson, E. (2015): Gefängnisaufzeichnungen. Herausgegeben von Judith Kessler und Roland Kaufhold. Gießen (Psychosozial Verlag), S. 45-79.

Kessler, J. (2015): Das schwarze Heft. Wie ich ein Vierteljahrhundert auf Edith Jacobsons Gefängnisnotizen saß, in: Jacobson, E (2015): Gefängnisaufzeichnungen. Herausgegeben von Judith Kessler und Roland Kaufhold. Gießen (Psychosozial Verlag), S. 11-44.

Kaufhold, R & H.-J. Wirth (2006): Sigmund Freuds Weg ins Exil. TRIBÜNE, Heft 1/2006 (Nr. 177), S. 158-170. Internet: http://www.hagalil.com/archiv/2008/11/freud.htm

Eine ausführlichere Version dieser Besprechung erscheint 2016 in der Zeitschrift psychosozial.

2 comments to Freud in Israel

  • nussknacker56

    Die Geschichte der Psychoanalyse finde ich überaus interessant, zumal wenn sie sich, wie im frühen Palästina, in einem von außen verursachten Ausnahmezustand entwickeln musste.

    Als lediglich interessierter Laie möchte ich zurückhaltend sein. Nur der letzte Absatz drängt mich zu einer Anmerkung: „Die anhaltende existenzielle Bedrohung … werden Israels Bereitschaft, für die wachsende Isolation Verantwortung übernehmen, weiterhin schmälern, und der selbstgerechten Politik der Omnipotenz weiter Auftrieb geben.“

    Ich meine, Psychoanalyse ist ein überaus wichtiges Werkzeug um menschliches Handeln zu verstehen. Doch sehe ich auch die Gefahr der Psychologisierung von Ursachen, die zumindest nicht direkt mit diesem Werkzeug behandelt werden können. Israels „wachsende Isolation“ hat nichts mit einem möglichen Fehlverhalten des israelischen Staates zu tun, sondern in allererster Linie mit einem nach wie vor vorhandenen Antisemitismus in weiten Teilen der Welt (UN, Europa). Das gilt noch mehr für das Verhalten der palästinensischen Araber, deren Hass gegen Israel jeden Grundlagen entbehrt aber beständig rationalisiert wird. Warum dies fast überall auf offene Ohren stößt, ist schon eher auch ein Feld für die Psychoanalyse. Das oben Genannte auf Israels Verhalten zurückzuführen, ist m.E. völlig absurd und bewirkt am Ende nur die Vermehrung des ohnehin nicht gerade seltenen jüdischen Selbsthasses.

  • Sebastian

    Lieber Nusknacker56,

    dein Satz: „Israels „wachsende Isolation“ hat nichts mit einem möglichen Fehlverhalten des israelischen Staates zu tun, sondern in allererster Linie mit einem nach wie vor vorhandenen Antisemitismus in weiten Teilen der Welt (UN, Europa.“

    ist richtig!

    Hör doch bitte mal hier hinein https://www.youtube.com/watch?v=ogoKPg3TYHk

    Das ganze Interview ist sehr interessant. Ab Min 22:30 sagt Tuvia Tenenbom sinngemäß das, was du gesagt hast. Leider hat sich nicht viel geändert.