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Antisemitismus mit gutem Gewissen

Eine Studie untersucht die Debatte um den Publizisten Jakob Augstein in deutschen Medien…

Von Stephan Grigat
Jungle World v. 25. Juni 2015

Eigentlich ist zu Jakob Augstein schon alles gesagt. Der liberale Kolumnist Hannes Stein hatte Anfang 2013, nachdem das in Los Angeles ansässige Simon Wiesenthal Center den Mitinhaber des Spiegel-Verlags auf Platz neun der »2012 Top Ten antisemitischer/antiisraelischer Verunglimpfungen« gesetzt hatte, ebenso lapidar wie richtig festgehalten: »Man kann Jakob Augstein nicht kritisieren, denn er ist unter aller Kritik.« Rainer Trampert fasste in der Jungle World (2/2013) treffend zusammen: Der »smarte Dauerhetzer aus Deutschlands Top-Medien« sei »weder harmlos, noch geht es ihm um Kritik an der israelischen Politik. Er erfüllt alle geläufigen Kriterien des Antisemitismus.« Stefan Gärtner brachte mit der Überschrift »Wer Juden hasst, bestimme ich« in der Titanic treffend Augsteins anmaßenden Autoritarismus und seine Abwehr jeglicher Kritik auf den Punkt.

Auffallend ist dabei, dass die großen deutschen Zeitungen Augstein nicht kritisieren. Mit Matthias Küntzel und Samuel Salzborn gab es zwar in Springers Welt vereinzelte kritische Stimmen zu Augstein, und Deniz Yücel ließ in der Taz mit einer scharf formulierten Polemik aufhorchen. Aber das waren Ausnahmen, die Abwehrfront hielt. Fast die gesamte deutsche Journaille schwang sich zu einer Verteidigung des Publizisten auf.

Der Grund dürfte darin liegen, dass viele Autoren sich selbst ertappt gefühlt haben. Augstein hatte mit seinen Ausführungen zu Israel als »Gefahr für den Weltfrieden«, mit seinen Falschdarstellungen und Verharmlosungen der Vernichtungsabsichten des iranischen Antisemitenregimes, durch seine Gleichsetzung von ultraorthodoxen israelischen Juden mit jihadistischen Mördern und durch sein verschwörungstheoretisches Geraune, hinter was und wem Israel nicht alles stecke, die antisemitische Schlagseite des deutsch-österreichischen Volkssports der »Israelkritik« nur noch deutlicher werden lassen, als sie ohnehin schon ist.

Vertreter der deutschen Linkspartei verteidigten Augstein ebenso wie Vorstandsmitglieder der CDU. In der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau sprang man dem Herausgeber von Der Freitag ebenso zur Seite wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Berliner Zeitung. Eine der wenigen rühmlichen Ausnahme im Konzert der etablierten Medien war Josef Joffe, Mitherausgeber der Zeit, der angesichts der Augstein-Debatte konstatierte, es gelte heute als verwerflicher, »jemanden einen Antisemiten zu nennen, als einer zu sein«.

Allein schon deswegen ist es von großem Nutzen, wenn nun eine akademische Studie nochmals Punkt für Punkt erklärt, inwiefern sich antisemitische Ressentiments »in den Kolumnen Augsteins auf lexikalischer, semantischer, syntaktischer und argumentativ-konzeptueller Ebene manifestieren«. Der Soziologe Lukas Betzler und der Politikwissenschaftler Manuel Glittenberg wollen am Beispiel der Augstein-Debatte die häufig konstatierte »sich vollziehende ›Normalisierung‹ antisemitischer Artikulationen in der Öffentlichkeit empirisch nachweisen«. Sie zeigen, wie Augstein »gesetzte Tabuisierungen subtil umgeht« und es ihm dadurch gelingt, »Sprechstrukturen hervorzubringen, die das tendenziös Gemeinte im Gesagten aufblitzen lassen, ohne dass das Gesagte in den Bereich des Unsagbaren fiele«. In ihrer umfassenden Textanalyse kommen sie zu dem Schluss, »dass sich in Augsteins Kolumnen auf allen sprachlichen Ebenen Verbal-Antisemitismus finden lässt«.

Zahlreiche seiner Aussagen über Israel seien zudem schlicht »faktisch falsch«, was ihn aber nicht daran hindere, sich als großer Kenner des Nahen Ostens zu inszenieren. Mit fast schon ermüdender Akribie arbeiten die Autoren heraus, inwiefern sich die antisemitischen Motive in Augsteins Texten aus einem großen Fundus bedienen: Von »alten christlichen Stereotypen über tradierte Stereotype des modernen Antisemitismus bis hin zu Ideologiefragmenten aus dem antiimperialistischen Weltbild« reichten die Versatzstücke Augsteins. Detailliert weisen Betzler und Glittenberg ihm die Delegitimierung und Dämonisierung Israels sowie die Anwendung zweierlei Maßstäbe bei der Beurteilung des Agierens des jüdischen Staates nach.

Augsteins Invektiven gegen die USA haben in der Debatte Anfang 2013 kaum eine Rolle gespielt. Umso erfreulicher ist es, dass Betzler und Glittenberg nun eine luzide Analyse von Augsteins Antiamerikanismus vorlegen und ihm dabei auch ein Abgleiten in expliziten Geschichtsrevisionismus nachweisen können. Sie spüren dem Zusammenhang von antiamerikanischen Ressentiments und Antisemitismus nach, verwischen dabei aber nie die mitunter gravierenden Unterschiede, die zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus bestehen. Trotz dieser Unterschiede charakterisieren sie beide als »Ausdrucksformen einer konformistischen Rebellion«; und kaum jemand passt besser in die Rolle des Protagonisten einer ebensolchen als Jakob Augstein mit seiner nonkonformistischen Attitüde und seinen affirmativen Inhalten – einer Kombination, die schon immer die linksdeutsche Ideologie gekennzeichnet hat.

In Augsteins Texten finden Glittenberg und Betzler »zwar zahlreiche Stereotype des modernen Antisemitismus«, aber der Antisemitismus erfülle in seinem Denken nicht jene Funktion einer Welterklärung, mit der auf unverstandene Entwicklungen und Bedrohungen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft im modernen Antisemitismus reagiert wird. Diese Funktion übernehme bei Augstein vielmehr ein ausgeprägter Antiamerikanismus: »Widersprüche (soziale Ungleichheit oder Demokratiedefizite) und negativ bewertete Merkmale (Gier, Profitdenken, Materialismus und Egoismus) der eigenen Gesellschaft werden auf Amerika projiziert.« Anstatt eine Kritik am Kapitalverwertungsprozess zu formulieren, wettert der Spiegel-Kolumnist lieber gegen »Wallstreet-Täter«.

Neben ihrer Textanalyse zu Augsteins Kolumnen liefern Glittenberg und Betzler eine Diskursanalyse jener Debatte über den Spiegel-Autor, in der die seit Martin Walsers Paulskirchenrede gerne herbeizitierte »Auschwitz-Keule« von den Verteidigern Augsteins durch die »Antisemitismus-Schrotflinte« ergänzt wurde, mit der wahllos auf jede Form der »Israelkritik« geschossen werde. Als entscheidende Abwehrstrategie in der Augstein-Debatte machen sie die Umdeutung antisemitischer und israelfeindlicher Aussagen zur »legitimen Israelkritik« aus, wohingegen die Kritik an diesen Aussagen als »Akte der Diffamierung, Denunziation oder Stigmatisierung der Person Augsteins gedeutet« werde.

Die Autoren erinnern daran, dass die Debatte über Augsteins Invektiven gegen den jüdischen Staat dem Mitinhaber des Spiegel keineswegs geschadet hat: 2014 war er einer der am häufigsten eingeladene Gäste in Polit-Talkshows, seine Kolumne erscheint mittlerweile nicht nur online, sondern auch in der Print-Ausgabe des Spiegel und seine Wochenzeitung Der Freitag konnte die Auflage steigern. Insofern ist es auch gar kein Wunder, dass Augstein seine Attacken auf Israel bis zum heutigen Tag fortsetzt und nach der Lausanner Vereinbarung mit dem iranischen Regime ganz unverhohlen seine Freunde darüber kundtat, dass mit einer demnächst nuklear bewaffneten Ayatollah-Diktatur endlich die »Jahrzehnte alte Anomalie« beendet werde, »dass Israel die einzige Atommacht in Nahost ist«.

Ganz so wie in anderen Bände der Reihe »Interdisziplinäre Antisemitismusforschung«, die vom Politikwissenschaftler Samuel Salzborn herausgegeben wird, beziehen sich auch Betzler und Glittenberg auf die Kritische Theorie. Sie erklären die Abwehr des Antisemitismusvorwurfs in der Augstein-Debatte mit einem »auf den nationalsozialistischen Judenhass verengten Antisemitismusbegriff«, wodurch ein »antiisraelischer Antisemitismus mit gutem Gewissen« ermöglicht werde. Dieser halte sich für »besonders kritisch und antiantisemitisch«, projiziere aber lediglich »in Form einer fetischisierten Staatskritik die negativen Anteile von Staatlichkeit auf Israel«. Dass die »Fokussierung auf Israel es ermöglicht, den eigenen Staat als gerechte und gute Herrschaft zu imaginieren«, können sie anhand von Augstein ebenso exemplarisch zeigen wie bei seinen zahlreichen Verteidigern.

Lukas Betzler/Manuel Glittenberg: Antisemitismus im deutschen Mediendiskurs. Eine Analyse des Falls Jakob Augstein. Interdisziplinäre Antisemitismusforschung, Bd. 5. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2015, 320 Seiten, 59 Euro, Bestellen?

2 comments to Antisemitismus mit gutem Gewissen

  • Ente

    Persönlich lese ich weder diesen einen, nur durch seinen 24% Anteil qualifizierten ,“Journalisten“ und seinen Sermon.

    Eigentlich genauso wie es für richtig halte noch nie eine Bild gekauft zu haben.

    Erschreckend empfinde ich allerdings dies:

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/was-ndr-und-welt-ueber-chefdirigent-kirill-petrenko-sagen-13668140.html

    Öffentlich rechtlicher und Springer Antisemitismus.

    Dies erstaunt (mindestens mich) sehr!

    Zum kotzen!

  • Eigentlich sog. „Anti-Semitismus“ wird hier in Deutschland zum Zwang lieber nichts schlechtes über Israel und seine „Politik“ gegegenüber Palästinenser, aber wie viele auch jüdischen Autoren meinen ist nur Reaktion auf Menschenrechtsverletzung über welchen auch bekannter Israeli Miko Peled spricht laut und klar. Ganz bestimmt der Sohn eines israelischen Generals
    Peled kann nicht ein „Anti-Semit“ sein. Also wenn ist ein „Anti-Semit“? Zudem auch selbst den Begriff „Anti-Semitismus“ ist faul, denn von der Weltsemiten Juden machen nur ein Bruchteil von Arabischen Semiten.
    Egal ob es ein Anti-Semitismus mit „guten“ oder „schlechten“ Gewissen betrieben wird – es ist kein Wert des Problems, sondern politische Nachspeise von der Presse.
    Liebe Grüße aus Frankfurt
    Jurij Below