Die Ukraine als Tummelplatz neurechter Ideologiekonstruktion…
Von Lara Schultz und Ingolf Seidel
Wenn Zwei ein Buch schreiben, dann haben sie etwas zu sagen; erscheint dieses Buch in einem renommierten Verlag, der sich überwiegend der Herausgabe von wissenschaftlichen Arbeiten über den Nationalsozialismus widmet, dann sollte man davon ausgehen, ein aufklärerisches Werk in den Händen zu halten. Wenn einem darüber hinaus der Klappentext den Band als eine „Studie“ ankündigt, legt man gewisse Maßstäbe an die Wissenschaftlichkeit des Textes an. Für den schmalen Band „Dreizack und Roter Stern“ von Christiane Schubert und Wolfgang Templin gelten diese Annahmen mitnichten. Sie haben ein durch und durch anti-aufklärerisches Buch vorgelegt.
Ein durchgängiges Thema von „Dreizack und Roter Stern“ sind affirmative Bezüge auf das Nationenkonstrukt einer geeinten Ukraine, wozu scheinbar naturwüchsig ein patriotisches Volk gehört. Andere Kategorien, also Bezüge auf soziale Fragen, Gender oder gar eine notwendige Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus oder der Ideologie des ukrainischen Faschismus, finden sich im Text nicht. Kategorien wie Nationalismus und Patriotismus verschwimmen ohne erkennbare Systematik. Wo Schubert/Templin sich von einem „von oben verordneten Patriotismus“ (205) eines Viktor Juščenko abgrenzen, bleibt unklar, ob sie einen spontanen aus der Bevölkerung kommenden Patriotismus als ultima ratio sehen. Diese Deutung liegt nahe, ist doch eine Seite zuvor die Rede davon, dass die „russische Aggression“ Grund dafür sei, „dass die neue Gemeinsamkeit der Ukrainer kein patriotisches Strohfeuer blieb“ (204). Überhaupt lebt das Buch von schlichten dichotomischen Gegenüberstellungen eines als gut definierten Nationalismus auf ukrainischer Seite, während derselbe auf russischer Seite als imperial (206) und aggressiv gegeißelt wird. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass das „patriotische Feuer“ durch die „Dauer und Härte der Auseinandersetzungen auf dem Majdan“ (204) angefacht worden sei. Hier klingt ein sehr heroisches Bild der Entstehung von Nationen an. Die Entstehung der Nation in einem Akt heroischer Gewalt gehört vor allem in den Kreis rechter Nationenkonzepte. Wenn auch in abgeschwächter Form, so findet sich dieses Motiv auch bei den Autor_innen.
Das Nationale ist, wie auch immer gefüllt, dem Duo eine naturhafte Kategorie. Dabei findet sich kein Begriff davon, dass, wie Adorno schreibt, es ideologisch sei „[g]esundes Nationalgefühl vom pathischen Nationalismus zu scheiden“, und der darauf verweist, dass „die Dynamik des angeblich gesunden Nationalgefühls zum überwertigen“ unaufhaltsam sei, „weil die Unwahrheit in der Identifikation der Person mit dem irrationalen Zusammenhang von Natur und Gesellschaft wurzelt, in dem die Person zufällig sich findet“ (Adorno, T.W.: Meinung Wahn Gesellschaft. In: ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II. Frankfurt am Main 1977, S. 589). In die Essentialisierung des Nationalen fügt sich auch der Gebrauch von Gebärmetaphorik, wenn davon geredet wird, es sei in „diesen Wochen und Monaten“, also rund um die Auseinandersetzung auf dem Kiewer Majdan und den völkerrechtlich nicht anerkannten Übergang der Krim von ukrainischem in faktisch russisches Staatsgebiet, „tatsächlich um die Geburt einer modernen ukrainischen Nation“ gegangen. Eine solche Passage findet sich bereits in der Grundsatzschrift der historischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) von 1931: „Die nationale Revolution kann man mutig mit einer Geburt vergleichen. Ebenso muss sich auch der Neugeborene […] vom Moment der Befruchtung an […] entwickeln und im Schoße der Mutter reifen […]“ (Grundsatzschrift der KE OUN von Juli 1931, CDIAL, 205-1-1033, Bl.1-16, hier Bl. 4, zit. nach Bruder, F.: „Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!“. Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929-1948. Berlin 2007). Auch in anderen Stellen im Buch zeigen sich in einzelnen Formulierungen, trotz immer wieder beschworener, nicht näher benannter westlich-europäischer Freiheitsmomente, höchst problematische Aspekte der Vorstellung beider Autor_innen, die zumindest Anklänge an die Neue Rechte in sich tragen.
Die historischen Kategorisierungen von Schubert/Templin finden ihre Fortsetzung dort, wo es um die Betrachtung der durch die stalinistische Politik ausgelösten Hungerkatastrophe in der Ukraine geht und um den Holocaust. So heißt es aufschlussreich: „Das erschütterndste nationale Trauma der Ukrainer, der Holodomor, hatte in den dreißiger Jahren nicht in allen Regionen gewütet, nahm aber in den Erinnerungen zahlreicher Menschen einen zentralen Platz ein“ (139). Ohne Frage war die Politik, die vor allem auf einer maßlosen Erhöhung der Abgabequote von Getreide für die Landwirtschaft beruhte und die zum Hungertod von Millionen von Menschen vor allem in den Jahren 1932/33 führte, verbrecherisch und hat das kollektive Gedächtnis in der Ukraine geprägt. Die Frage ist jedoch, warum die Autor_innen selbiges nicht auch für den Holocaust konstatieren. Stattdessen werden die ermordeten Jüdinnen und Juden an dieser Textstelle implizit aus dem nationalen Kollektiv heraus definiert, indem der Holocaust im Zusammenhang mit einem „nationalen Trauma“ nicht einmal genannt wird. Dies entspricht wiederum dem offiziellen ukrainischen Geschichtsverständnis. So ist auf den Gedenktafeln in Babyn Jar und dem historischen Ort des Konzentrationslagers Syrec‘ von erschossenen / ermordeten „Bürgern Kiew und Kriegsgefangenen“ oder „sowjetischen Patrioten“ die Rede.
Es ist davon auszugehen, so konstatiert Yves Bizeul (Bizeul, Y.: Fazit: Vom Nationalmythos zum Mythos Europa. In: ders. (Hrsg.): Rekonstruktion des Nationalmythos? Frankreich, Deutschland und die Ukraine im Vergleich. Göttingen 2013, S. 261), dass „in der Ukraine Mythosglaube und Mythosinstrumentalisierung kaum unterscheidbar sind.“ Auch das Duo Schubert/Templin tendiert hier nicht zu Unterscheidungen. Das zeigt sich insbesondere in der Beschreibung und Bewertung der historischen Figur Stepan Banderas ebenso wie der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Was Schubert/Templin zum Thema schreiben, ist verharmlosend, falsch und nicht belegt. „Ein polnischer Biograf kommt der Realität wahrscheinlich nahe, wenn er in Stepan Bandera einen galizischen Abenteurer und Terroristen sieht […]“ (58), behauptet das Duo unüberprüfbar, da, so wird gleich im Vorwort dargelegt, aus „Gründen des Lesbarkeit“ auf Fußnoten und Anmerkungen verzichtet wird und auch nur die „wichtigsten“ Arbeiten im Literatur- und Quellenverzeichnis aufgeführt sind. Entsprechend bagatellisierend bezeichnen Schubert/Templin die Person Stepan Bandera respektive dessen Biografie als „schillernd“ (56) und als „beispielhaft“ für die „Wege und Irrwege des radikalen westukrainischen Nationalismus jener Jahrzehnte“ (ebd.). Nicht nur ukrainische Nationalist_innen stilisieren Bandera zum Volkshelden, der doch vor allem für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft und allenfalls aus strategischen Gründen mit den Nationalsozialisten kollaboriert habe, vor allem in der Westukraine ist (und auf dem Majdan war) dieses Bild von Bandera verbreitet. Erst die Kollaboration mit den Deutschen habe dann zu seiner späteren Einstufung als Faschist beitragen (57), behaupten Schubert/Templin, und sehen großzügig darüber hinweg, dass zur Einstufung Banderas als Faschist vor allem beitragen könnte, dass er als Anführer einer faschistischen Terrororganisation einen ukrainischen faschistischen Staat nach Vorbild Mussolini-Italiens gründen wollte (Bruder S. 122). Die OUN hat, auch darüber sehen Schubert/Templin hinweg, sehr wohl die korrekte Bezeichnung ihrer Ideologiefragmente diskutiert. „Im Prinzip nannten sich die ukrainischen Nationalisten nur deshalb nicht Faschisten, weil sie die ‚Originalität‘ des ukrainischen Nationalismus betonen wollten“ (Bruder S. 35).
Dass sich Bandera auf die Ideologie Dmytro Doncovs beruft, mache die Sache zusätzlich kompliziert, finden Schubert/Templin, da dessen Schriften „radikalen Nationalismus, rassistische und antisemitische Elemente“ (57) enthielten. Doncov, selbst kein OUN-Mitglied, sah den ukrainischen Nationalismus als eine der europäischen Faschismusbewegungen (Rosoliński-Liebe, G.: Stepan Bandera: The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist. Fascism, Genocide, and Cult. Stuttgart 2014, S. 77). 1926 veröffentliche er Auszüge aus seiner ukrainischen Übersetzung von Hitlers „Mein Kampf“, 1932 seine Übersetzung von Mussolinis „La Dottrina Del Fascismo“ (Rosolinski-Liebe S. 78). Ein Schelm, wer bei dem antisemitischen Chefideologen der OUN lediglich „antisemitische Elemente“ findet?
Nächste Frage: Wann wurde das Fernsehen erfunden? Und welche Rolle spielt diese Frage in dieser Rezension? „Im Frühjahr 1913 wurden dem 68. Jubiläum des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg über 700 Sendestunden gewidmet“ (181). Ein Lapsus, das kann passieren. Sollte es aber nicht zu oft. Und da gibt es nichts zu beschönigen: Das Buch strotz vor Fehlern. Das war beim Metropol Verlag so nicht zu erwarten, ist bei ihm doch die wichtigste deutschsprachige Monografie über die Organisation Ukrainischer Nationalisten von Franziska Bruder erschienen, die das Autor_innenduo aber wohl nicht mal gelesen hat. Ein Lektorat oder Korrektorat hat sich die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die den Druck finanziell gefördert hat, offensichtlich gespart.
Wie hießen die semi-autonomen Kosakensiedlungen am Dnjepr? „Zaporozer Sitsch“, finden Schubert/Templin auf S. 23, „Saporoger Sitsch“, dann auf S. 100, der Name geht auf das Gebiet „Saporoshe“ (176) zurück. Ob unterschiedliche Quellen der Grund für die unterschiedliche Schreibweise sind oder ob Schubert einer anderen Transliteration folgt als Templin, ist nicht nachvollziehbar, beides wird nicht angegeben. Innerhalb einer Buchseite wird die UPA einmal „Ukrainische Aufständische Armee“, einmal „ukrainische Aufstandsarmee“ ausgeschrieben.
Die Partei „Unsere Ukraine“ wird im Buch nach polnischer Transliteration zu „Nasza Ukraine“, nur wenige Seiten später in der deutschen unwissenschaftlichen Umschrift zu „Nascha Ukraina“. Überhaupt keinen Sinn ergibt, dass der ukrainische Historiker Jaroslav Hrycak permanent Jarosław Hrycak geschrieben wird, in der polnischen Schreibweise. Die Silbentrennung ist bei russischen und ukrainischen Namen und Bezeichnungen grundsätzlich falsch.
Die Formfehler so ausführlich zu benennen ist nicht kleinlich, sind sie doch Ausdruck einer Inkonsequenz, Ungenauigkeit und fehlender Wissenschaftlichkeit, die sich so auch inhaltlich und terminologisch deutlich zeigen. Viktor Janukovič, des Amtes enthobener Ex-Präsident, wird im Buch „ehemaliger Mafiaboss“ (101) genannt. Vielleicht war er einer, vielleicht auch nicht, die einzige nachvollziehbare Quelle hierfür ist jedenfalls Templin selbst. Als „Tag des Sieges“ wird in Russland der 9. Mai gefeiert, nicht wie von Schubert/Templin behauptet (176) der 8. Mai.
Alles Russische ist den Autor_innen grundsätzlich suspekt: „Die Dominanz des Russischen im Leben der Eliten verband sich auf der Alltags-Ebene mit dem Vordringen des Surschyk, eines russisch-ukrainischen Mischjargons, der jede Hochkultur zu zersetzen drohte“ (80). Dass in multilingualen Sprachkontaktsituationen Misch- oder Hybridsprachen entstehen, ist in der Linguistik ein vielbeschriebener Standard. Mischsprachen können provokante Abgrenzung von der sprachlichen Mehrheit sein, sprachliche Selbstermächtigung oder verbaler Ausdruck einer Szenezugehörigkeit. Es stellt sich die Frage, warum hier ausgerechnet der vorbelastete Begriff der „Zersetzung“ verwendet wird, der an NS-Ideologie erinnert und antisemitisch konnotiert ist.
Beim Thema Nationalsozialismus offenbaren sich ohnehin Wissenslücken: Beispielsweise wurde Bandera aus dem KZ Sachsenhausen nicht befreit (63). Er wurde freigelassen. Das war 1944 und ist allein deshalb zumindest bemerkenswert. Die Bezeichnungen KZ, GULag und Vernichtungslager verwendet das Autor_innenduo annähernd synonym. Ob dies aus Flüchtigkeit oder Ideologie geschieht, wäre eine weitere interessante Frage.
Wo sich das Autor_innenduo positioniert, wenn es zu entscheiden gilt, ob der gesamte Majdan faschistisch gewesen sei oder die vorgeblich marginalisierte extreme Rechte keinerlei Bedeutung gehabt habe und lediglich einen Vorwand für das Eingreifen Moskaus geliefert habe, liegt nach all dem auf der Hand, vor allem, wenn man wie sie davon ausgeht, dass es zwischen diesen beiden äußersten Polen keine Position geben darf. Damit folgen das Duo unter anderem den Verfasser_innen und Unterzeichner_innen des offenen Briefes „Keine extremistische, sondern freiheitliche Massenbewegung“ vom Februar 2014, die ihrerseits bereits die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten ausgeblendet haben: dass nämlich die unbestritten auf dem Majdan anwesenden Neonazis eben nicht marginalisiert waren, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Distanzierung von deren Inhalten gab und dass diese Akzeptanz mit dazu beigetragen hat, die extreme Rechte in der Ukraine erstarken zu lassen.
Dass Svoboda ebenso wie der Rechte Sektor bei den Parlamentswahlen im Oktober 2014 an der 5%-Hürde scheiterten, darf nicht, wie Schubert/Templin dies tun, als Indiz einer eingetretenen Demokratisierung gewertet werden. Wahlergebnisse sind eben nicht der einzige Indikator für rechte und extrem rechte Tendenzen innerhalb einer Gesellschaft. Und: Wer eine extrem rechte Kraft wählen wollte, musste nicht unbedingt bei der Svoboda ihr Kreuz machen. Sechs Sitze hat Svoboda über Direktmandate bekommen. Andrij Parubij, einstiger Mitbegründer der „Sozial-nationalen Partei der Ukraine“, also der Svoboda-Vorgängerpartei, kandidierte auf Listenplatz 4 der Jacenjuk-Partei „Volksfront“; Tetjana Čornovol, Listenplatz 2, kann bestenfalls als Neonazis-Aufhörerin, keinesfalls als –Aussteigerin gesehen werden, weil wesentliche Elemente eines Ausstiegs fehlen wie nicht zuletzt der Bruch mit den ehemaligen Kamerad_innen. Beide wurden gewählt – über die politikwissenschaftlich meist als liberal-konservativ beschriebene Volksfront-Liste.
Wie Schubert/Templin zu ihrer Einschätzung von Svoboda kommen, verraten sie den Leser_innen leider wieder nicht, auch nicht, warum sie von einer existenten Partei im Präteritum schreiben. „Am äußersten rechten Rand von Swoboda und in deren Umfeld gab es offen neofaschistische Kräfte, die aber minimal waren. Nicht sie waren die größte Gefahr, sondern die auf einem Ethnonationalismus – ‚Die Ukraine den Ukrainern‘ – basierende populistische Gesamtausrichtung der Partei […]“ (153). Verwunderlich dabei ist nicht nur, dass die „neofaschistischen Kräfte“ keine Gefahr seien, sondern auch, dass der Ethnonationalismus in den Augen des Autor_innenduos so brisant und gefährlich ist, vertreten sie doch auf weiten Strecken ähnliche Vorstellungen und Konzepte von „ukrainischer nationaler Identität“ (36), beziehen sich affirmativ auf „national bewusste[n], patriotische Ukrainer“ (8) und kritisieren diejenigen, die „die Existenz der Ukraine als eigenständige Nation, ihre jahrtausendealte eigene Geschichte, ihre Kultur, Tradition und Sprache infrage“ (8) stellen, wo doch „Territorium und Bevölkerung dieses Landes […] seit grauer Vorzeit Teil des Siedlungsraumes der ostslawischen Völkerfamilie [sind]“ (11). Das liest sich eher wie Versatzstücke aus der Blut und Boden-Ideologie, nach Naturwüchsigkeit der Nation im neurechten Sinne denn nach heterogener Gesellschaft.
Nach all dem lohnt es sich, die Autor_innen genauer unter die Lupe zu nehmen. Der männliche Part des Duos ist semiprominent. Wolfgang Templin war zu DDR-Zeiten Bürgerrechtler und Mitglied des Gründungssprecherrats von Bündnis 90, was ihn nach der Vereinigung zur Partei Bündnis90/Die Grünen brachte. Später, genauer 1994, profilierte er sich als Stichwortgeber für die sogenannte Neue Rechte, einer Strömung mit Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und extremer Rechter. Das Medium, in dem Templin zu Wort kam, war die einschlägig bekannte Junge Freiheit (JF). In der Ausgabe 9/94 des rechten Blattes äußerte sich Templin in einem Interview unter der Überschrift „Wolfgang Templin über politische Kultur, nationale Identität und Vergangenheitsbewältigung. Die Spuren von GULAG und Drittem Reich führen in unsere Geschichte hinein“. In dem Interview hieß es: „JF: Die Krise der Grünen hat aber auch mit deren Verhältnis zur nationalen Frage zu tun. Sie sind in dieser Partei einer der ersten, die eine Besinnung gerade auf diese Problematik fordern. Templin: […] Mir ist diese Frage nur durch die Auseinandersetzung mit der Verarbeitung oder eher Verdrängung deutscher Verstrickung in die schlimmsten Diktaturen dieses Jahrhunderts auf die Seele gefallen. Verantwortlicher Umgang mit der deutschen Geschichte kann die Fragen der nationalen Identität nach diesen Diktaturerfahrungen nicht ausblenden.“ Die deutsche Verstrickung in die schlimmsten Diktaturen? Anders als eine Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Staat ist dieser Satz wohl kaum zu deuten. Wer nun glaubt, der ehemalige Bürgerrechtler hätte sich vergaloppiert und sei vielleicht nur versehentlich an die JF gelangt oder er hätte sich lediglich in der Wortwahl vergriffen, der oder die wird in der Ausgabe 49/94 eines Schlechteren belehrt. Dort schreibt nun der rechte Bürger in einem „Zwischen Normalität und Fatalismus“ betitelten Beitrag: „Ernst Nolte wird vorgeworfen, daß sein Versuch, die Greuel des NS-Regimes als historische Reaktion auf die bolschewistische Herausforderung zu deuten, die immanenten Verbrechenspotentiale des Nationalsozialismus verdecken könne. Der gleiche, spiegelbildlich verkehrte Versuch im Umgang mit dem historischen Erbe des Kommunismus wird mitnichten als Skandal empfunden.“ Aufgrund seiner rechten Schreiberei wurde Templin seitens des Berliner Landesverbandes der Grünen der Parteiaustritt nahegelegt, was jedoch kein Grund war, ihn nicht in den Jahren 2010 bis 2013 als Leiter des Auslandsbüros der Heinrich Böll Stiftung einzustellen. Nebenher ist er noch Kuratoriumsmitglied der ÖDP-nahen Stiftung für Ökologie und Demokratie. Und Christiane Schubert? Deren Prominenz scheint sich darauf zu beschränken, Ko-Autorin von Templin zu sein.
Schubert, Christiane / Templin, Wolfgang: Dreizack und Roter Stern. Geschichtspolitik und historisches Gedächtnis in der Ukraine. Berlin 2015.
Heinrich Böll würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, wer da zum Leiter eines Büros der Stiftung, die seinen Namen trägt, ernannt wurde.
Die ÖDP gilt schon lange als rechtsverdächtig, daher kein Wunder, dass sich Wolfgang Templin auch bei deren Stiftung wohl gefühlt haben dürfte.
Die blinde Ukraine-Sympathie in Deutschland bleibt übrigens nicht auf einige Ossie-Intellektuelle beschränkt. In München existiert seit vielen Jahrzehnten eine Ukrainische Universität, die in fester Zusammenarbeit, und Übereinkunft, mit den Osteuropahistorikern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität so manches ultrapatriotisch-ukrainisches Pamphlet herausbrachte, Veranstaltungen zweifelhaften Charakters abhielt, die von wissenschaftlicher Seriosität weit entfernt war, und sich auch sonst eher antikommunistisch agitierend als akademisch forschend gab. Klar, das Geld stammt(e) vom bayerischen Staat und der ist bekanntlich krankhaft rechtslastig. So werden ukrainische Nationalisten und Russlandfeinde den bajuwarischen Scheinchristlichen gerade gelegen gekommen sein.