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Im Bett: Der große Marcel Reich-Ranicki ist gestorben

Der geniale Literaturkritiker ist gestorben und die progressive Öffentlichkeit in Deutschland verliert einen Menschen, der stets eine eigene und unkäufliche Meinung hatte. Marcel Reich-Ranicki war wie kein zweiter in der deutschen und internationalen Literatur zuhause. Als junger Mann überlebte der 1920 geborene Jude Reich-Ranicki, nur mit viel Glück den Holocaust…

Max Brym

Seine 1999 erschienene Autobiographie „Mein Leben“ ist eine zeitgeschichtliche Fundgrube. Seine Literaturkritik war und ist umwerfend. Wie kein zweiter lobte und verdammte er literarische Werke. Stets hatte Reich-Ranicki eine feste Meinung. Dies ist in Zeiten der neoliberalen Oberflächlichkeit nicht selbstverständlich, geht doch der Trend zum fragmentierten Fachimmanent. Der Rest der Bevölkerung wird mit Banalitäten in TV Sendern abgespeist. Dagegen protestierte Reich-Ranicki öffentlich, als er die Annahme eines TV Preises 2011 verweigerte.

Er weigerte sich zusammen mit Heidi Klump oder Dieter Bohlen TV Preise anzunehmen. Die Intendanten des ZDF und der ARD verweigerten sich einer Diskussion mit Marcel Reich-Ranicki über die Qualität ihres Fernsehprogramms. Doch jetzt sind alle Sender voll des Lobes über „den Literaturpapst, der von uns gegangen ist“.

Der Herausgeber der FAZ schweigt sich über den Konflikt mit dem ehemaligen Chefredakteur des Feuilletons der FAZ, Reich Ranicki, aus. In Reich-Ranickis Memoiren ist zu lesen, wie der ehemalige FAZ Chef Joachim Fest den Überlebenden des Holocausts zu einem Abendessen mit dem Nazikriegsverbrecher Albert Speer überreden wollte. Diese ungeheure Zumutung wies Reich Ranichki selbstverständlich zurück.

Viele banale Nachrufe betonen, dass sie das rollende R in den Literatursendungen seit dem Ende des „ Literarischen Quartetts“ vermissen. Wenig bis gar nicht wird darauf hingewiesen, dass Reich- Ranichki sein ganzes Leben lang dem Antisemitismus ausgesetzt war. Der angeblich große deutsche Autor Martin Walser schrieb im Jahr 2002 ein offen antisemitisches Buch gegen Marcel Reich-Ranicki. Das Buch hatte den Titel: “Tod eines Kritikers“.  Der Literat Martin Walser wünscht in seinem Buch ‚Tod eines Kritikers‘ dem bekannten Kritiker den Tod. Ausdrücklich weißt er auf die jüdische Abstammung der Romanfigur „Andre Ehrl König“ hin. Die Todesdrohung liest sich wie folgt: „Nimm dich in acht Andre Ehrl König, ab null Uhr wird zurückgeschlagen.” Der Verlag setzte innerhalb von drei Tagen die Erstauflage des Buches ab. In München und sicher nicht nur dort, konnte beobachtet werden, wie an den Verkaufsständen Menschentrauben geduldig standen, um endlich in den Genuss einer literarisch antisemitischen Tötungsphantasie zu gelangen. Martin Walser benutzte in seinem Machwerk sämtliche antisemitischen Stereotypen. Der beschriebene Andre Ehrl König ist ein Mensc, der nicht richtig Deutsch kann und trotzdem „deutsche Literaten“ kritisiert. Die Romanfigur „Andre Ehrl König“ ( Reich- Ranichki ) ist „geldgeil“ und stellt „jungen blonden Frauen“ nach. Die ach so liberale SZ verteidigte damals den potentiellen Antisemiten Martin Walser. Dies hindert die SZ nicht daran , heute einen lobenden Nachruf auf Reich- Ranicki zu verfassen.

Die wirklich progressiven Menschen haben hingegen allen Grund, um Marcel Reich-Ranicki zu trauern. Viele haben sich über ihn gefreut, viele haben sich über ihn geärgert. Seine Rolle im literarischem und kulturellen Meinungsstreit war herausragend. Die Person Marcel Reich-Ranicki war und ist eine ständige Mahnung im Kampf gegen Faschismus und Krieg nicht nachzulassen. Als junger Mann lebte er im Ghetto in Warschau und musste erleben, dass nach seinem Leben getrachtet wurde. Er hatte nichts getan, die Faschisten wollten ihn nur töten weil er Jude war. Später tat er mehr für den literarischen Diskurs in Deutschland als alle neoliberalen Pragmatiker zusammen, samt chauvinistischem Anhang.

Marcel Reich-Ranicki – ein Leben

4 comments to Im Bett: Der große Marcel Reich-Ranicki ist gestorben

  • efem

    Warum in einer Art Nachruf den Anwürfen eines kleinen Kritikers des Kritikers so viel Worte gewidmet sind, erschließt sich kaum.

    Wer Reich-Ranicki schätzte und bewunderte, konnte über diesen kleinkarierten Kram, ob nun beweisbar „latent antisemitisch“ oder nicht, nur den Kopf schütteln. Unterste Schublade. Abgehakt.

    Die, wegen seines Schicksals in jungen Jahren nur schwer begreifbare Liebe des großen Verstorbenen zur deutschen Sprache, sein wunderbares Können im Umgang mit ihr, seine messerscharfen Formulierungen und sein unterschwelliger Humor werden ihn schon deshalb für immer im Gedächtnis der deutschen Literaturgeschichte halten. Seinesgleichen wird es schwerlich wieder geben, er war und ist einmalig. Ein Phänomen 🙂 !

  • mensch

    „…Der Literat Martin Walser wünscht in seinem Buch ‘Tod eines Kritikers’ dem bekannten Kritiker den Tod. Ausdrücklich weißt er auf die jüdische Abstammung der Romanfigur „Andre Ehrl König“ hin. Die Todesdrohung liest sich wie folgt: “Nimm dich in acht Andre Ehrl König, ab null Uhr wird zurückgeschlagen…”

    Walser ist kein Literat sondern unterste Gürtellinie. Dass Deutschlands renommierter Suhrkamp-Verlag diesen Mann nicht schon längst rausgeschmissen hat, spricht für Geldgier und gegen Gewissen.

    Zur Erinnerung:
    Zitat-Wiki.
    …Als er in seinem 2002 erschienenen Schlüsselroman Tod eines Kritikers den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einerseits als Person und andererseits als Symbol einer unredlichen Kulturszene kritisierte, hagelte es Proteste. Frank Schirrmacher kritisierte daraufhin sein „Spiel mit antisemitischen Klischees“. Reich-Ranicki kommentierte im Mai 2010 in einem Interview des Spiegel: „Ich halte ihn nicht für einen Antisemiten. Aber es ist ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Kritiker, der ihn angeblich am meisten gequält hat, auch noch Jude ist. Er rechnet damit, dass ihm sein Publikum darin folgt. Sehen Sie, es hat von Grass nie eine antisemitische Zeile oder Bemerkung gegeben, keine einzige. Und über dessen Bücher habe ich gewiss nicht nur positiv geschrieben.“

    Der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat Walsers Lebenswerk in seiner Dissertation auf die Darstellung von Juden bzw. den Auschwitzdiskurs untersucht. In seiner Arbeit dokumentiert er das durchgängige Vorkommen der bekannten antisemitischen Stereotype. Das Leiden der Juden wird deutlich dem Leid „Deutscher“ gleichgestellt. Häufig findet sich die einfühlsame Darstellung Deutscher, die sich als „Verlierer der Geschichte“ fühlen: würdelos, stigmatisiert, ihrer Identität beraubt.

    Das Holocaust-Mahnmal in Berlin wurde von Walser während der Planungsphase abwertend als „fußballfeldgroßer Albtraum im Herzen der Hauptstadt“ und „Kranzabwurfstelle“ bezeichnet; nach der Fertigstellung dagegen äußerte er sich positiv zum Denkmal.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Walser#Paulskirchenrede_1998

    Über die Beziehung zu Reich-Ranicki hat Walser 1985 gedichtet:
    Zitat.
    Clowns sind wir, der Zirkus heißt Kultur
    Unsre Nummer: Watschen mit Gesang.
    Streicheln dürfen wir uns nur
    Draußen in dem dunklen Gang.
    (Magenau: Martin Walser. Eine Biographie, S. 356.)

  • mfb

    Meine Güte Max,

    gibt es nur Götterverehrung und Teufelsverdammnis? Bisken weniger pathetisch wäre schon sachdienlich.

    Wenn ich mir hier mal einen (weiteren) tollen Hagalil-Artikel zusammen schustern darf, nehme ich sowohl deinen letzen Abschnitt als auf den von efems Kommentar:

    „Die wirklich progressiven Menschen haben .. allen Grund, um Marcel Reich-Ranicki zu trauern. Viele haben sich über ihn gefreut, viele haben sich über ihn geärgert. Seine Rolle im literarischem und kulturellen Meinungsstreit war herausragend. Die Person Marcel Reich-Ranicki war und ist eine ständige Mahnung im Kampf gegen Faschismus und Krieg nicht nachzulassen. Als junger Mann lebte er im Ghetto in Warschau und musste erleben, dass nach seinem Leben getrachtet wurde. Er hatte nichts getan, die Faschisten wollten ihn nur töten weil er Jude war. Später tat er mehr für den literarischen Diskurs in Deutschland als alle neoliberalen Pragmatiker zusammen, samt chauvinistischem Anhang.“
    „Die, wegen seines Schicksals in jungen Jahren nur schwer begreifbare Liebe des großen Verstorbenen zur deutschen Sprache, sein wunderbares Können im Umgang mit ihr, seine messerscharfen Formulierungen und sein unterschwelliger Humor werden ihn schon deshalb für immer im Gedächtnis der deutschen Literaturgeschichte halten. Seinesgleichen wird es schwerlich wieder geben, er war und ist einmalig. Ein Phänomen 🙂 !“

    Diesen Nachruf kann ich unterschreiben. 🙂

  • efem

    „Am 26. September 2013 fand für Familie, Freunde und Weggefährten eine Trauerfeier auf dem Frankfurter Hauptfriedhof statt. An ihr nahmen zahlreiche Gäste teil. Bundespräsident Joachim Gauck legte einen Kranz nieder, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hielt eine Ansprache und auch TV-Entertainer Thomas Gottschalk sprach am Sarg Reich-Ranickis. Anwesend waren weiterhin der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Salomon Korn sowie Oberbürgermeister Peter Feldmann.“ (Wikipedia)

    Passender als ausgerechnet Gauck – Sohn von NSDAP-Mitgliedern und selbst unversöhnlicher Kommunistenfresser, wenn schon die offizielle BRD mit ziemlicher Chuzpe meint, den Verstorbenen für sich reklamieren zu können – wäre, beispielsweise, Bundesratspräsident Kretschmann gewesen.

    Tote wehren sich nicht – aber hätte Marcel Reich-Ranicki das geahnt, würde er, der frühere Mitarbeiter beim polnischen Geheimdienst und zeitweises KP-Mitglied, sich vermutlich vorsorglich sowohl diesen Kranz als auch den ihn Niederlegenden verbeten haben.