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Die Lage der Lager

Über die Territorien und die räumliche Situation der Displaced-Persons-Lager…

Die Lage der LagerDie über sieben Millionen der sogenannten Displaced Persons (DPs) bildeten in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine außergewöhnliche, wenngleich auch heterogene Gruppe. Die Mehrheit der verschleppten Menschen, befreite Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und andere Personen, die sich am „falschen Platz“ befanden, waren bereits im ersten Nachkriegsjahr repatriiert worden. Zurück blieb rund eine Million, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnte: baltische und ukrainische Kollaborateure, antikommunistische Flüchtlinge, die nicht unter dem sowjetischen System leben wollten und Überlebende der Shoa.

Alle diese Menschen wurden in sogenannten DP-Camps und -Communities untergebracht, die überall in den westlichen Besatzungszonen entstanden sind. Die Militärbehörden bezeichneten diese Einrichtungen als Assembly Centers, also Sammelstellen. Darunter verstanden sie nicht nur abgegrenzte Lager, sondern auch offene Wohnbereiche innerhalb einer Stadt oder Gemeinde. Diese temporären Ansiedlungen und Gemeinden rückten in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Geschichtswissenschaftler. Insbesondere über die nahezu autonomen Camps und Gemeinden der rund 200.000 jüdischen DPs liegen einige aussagekräftige Arbeiten vor.

Doch bislang beschäftigten sich die Historiker kaum mit den geografischen, strukturellen und räumlichen Gegebenheiten der Lager, „die aus dem Verhältnis der Lagerterritorien und den Identitätsräumen der einheimischen Bevölkerung resultierten“, wie Holger Köhn in seiner nun vorgelegten Studie „Die Lage der Lager. Displaced Persons in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands“  schreibt. „Die Wahrnehmung der DP-Lager seitens der einheimischen Bevölkerung war abhängig von deren räumlichen Anordnung.“ Bei Nachforschungen des Historikers vor Ort reagierte etwa eine Zeitzeugin auf die Frage, ob sie sich an das DP-Lager in Dieburg erinnere, mit der Gegenfrage „Welches Lager?“ und sagte: „In Dieburg hat es keine Lager gegeben!“ Im Zuge des Gesprächs räumte die Frau allerdings ein, dass es in der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr wohl viele Fremde in der Stadt gegeben habe, mit denen sie auch persönlichen Kontakt pflegte, doch „ein Lager war das nicht“, stellte sie energisch fest.

Köhn zeigt am Beispiel Dieburg und weiteren DP-Centern – jüdischen und nichtjüdischen –, darunter etwa Zeilsheim, Esslingen, Landsberg, Heidenheim, Föhrenwald oder Geislingen detailliert und akribisch deren Unterschiedlichkeit auf. Er untergliedert die Territorien in „nicht private Räume“, womit er Kasernen oder Zwangsarbeiterlager meint, geschlossene Siedlungen am Rande der Städte, die er als „private Räume“ bezeichnet und „nicht geschlossene private Räume“, die sich oft inmitten der Ortschaften befunden hatten. Dafür steht das Beispiel des DP Assembly Centers im hessischen Dieburg.

Steinbaracken im DP-Lager Zeilsheim
Steinbaracken im DP-Lager Zeilsheim, Repro: aus dem besprochenen Band

Kurz nach Kriegsende waren in den Baracken eines ehemaligen Munitionsdepots am Rande der Stadt für einige Monate 1.700 polnische DPs untergebracht. Diese wurden im Herbst in andere Unterkünfte verlegt beziehungsweise in ihre Heimat repatriiert, um das Gelände nunmehr mit baltischen DPs neu belegen zu können. Wegen des schlechten baulichen Zustands der Baracken verweigerten die DPs den Bezug der nicht winterfesten Holzhütten und campierten aus Protest im Freien.  Die Militärregierung lenkte ein und beschlagnahmte einige Häuser in der Nähe des Bischöflichen Konvikts, denn in diesem Gebäude waren bereits lettische DPs einquartiert. Im Mai 1946 wurde weiterer Wohnraum benötigt und die Besatzungsmacht requirierte zusätzlich Schloss Fechenbach sowie 25 Häuser der sogenannten SA-Siedlung. Neben zwei zentralen Sammelunterkünften wohnten die DPs mehrheitlich nun in Einzelhäusern, die nur zu einem Teil innerhalb eines verbundenen Siedlungsgebietes lagen – verteilt auf die gesamte Stadt. Im Oktober 1946 verwandelte sich das „Baltenlager“ in ein rein jüdisches Center, das bis zum Frühjahr 1949 bestand.

Holger Köhn untersucht die Lager aus einem neuen Blickwinkel, indem er die jeweilig räumliche Situation analysiert und damit auch erfahrungs- und erinnerungsgeschichtliche Fragen aufwirft. Ein interessanter Ansatz, der eine neue Perspektive auf den Komplex der Displaced Persons Camps eröffnet. Gleichzeitig beleuchtet er die unterschiedlichsten Ebenen der Verwaltung dieser Lager, angefangen von der Militärverwaltung, über die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen (UNRRA/IRO) bis hin zur DP-Selbstverwaltung.

Bei der Publikation handelt es sich um die Dissertation des Verfassers. Leider wurde diese offensichtlich ohne Überarbeitung, Kürzungen sowie Betreuung durch einen Lektor veröffentlicht. Auch für die „gebildeten Stände“ in ihren jeweiligen „Elfenbeintürmchen“ bedeutet allein die Lektüre der Einführung eine beschwerliche Herausforderung. Auf über 80 Druckseiten begründet der Autor seinen Forschungsansatz und ermüdet den Leser mit „theoretischen Vorüberlegungen“, wie etwa den Ausführungen zu „Raumphänomene und deren zeithistorischer Anwendungen“ oder „raumbezogener Semantik und Repräsentationsräume“. Schade! Denn die quellengesättigte und umfangreiche Arbeit ergänzt die DP-Forschung um bislang kaum beachtete Aspekte. – (jgt)

Holger Köhn, Die Lage der Lager. Displaced Persons-Lager in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands, 464 Seiten, 34,95 €, Bestellen?

2 comments to Die Lage der Lager

  • Jakobo

    Mit sicherheit ein hochinteresanntes buch.

    „Zurück blieb rund eine Million, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnte: baltische und ukrainische Kollaborateure, antikommunistische Flüchtlinge, die nicht unter dem sowjetischen System leben wollten und Überlebende der Shoa.“

    nicht wenige juedische ueberlebende, die die nicht auf dem
    gebeit des deutschen reiches geboren wurden, waren bis in
    die 50er hinein „staatenlos“ und hatten zunaechst nicht
    die moeglichkeit einen deutschen pass zu beantragen.

    viele von ihnen konnten zum glueck dann nach Israel
    auswandern.

    J

  • Uri Degania

    Mein lieber, geschätzter Jakobo,
    danke für Deinen Kommentar!