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Zum 100. Geburtstag von Hilde Federn

„Meiner Frau Hilde gewidmet, der ich mein Leben verdanke.“ Diese Widmung an Hilde setzte Ernst Federn seiner Essaysammlung Ein Leben mit der Psychoanalyse (Federn, 1999a) voran. Mehr Worte bedarf es nicht, um Ernst Federns tiefe Dankbarkeit gegenüber Hilde zu charakterisieren. Ernst und Hilde Federn teilten 72 Jahre glücklicher wie traumatischer Erfahrung. Stets war sie an seiner Seite: zurückhaltend, einfühlsam, teilnehmend und von einer anrührenden Liebenswürdigkeit…

Von Roland Kaufhold

Am 26.10.2010 wäre Hilde Federn 100 Jahre alt geworden: Ein Anlass, an ihr langes gemeinsames Leben mit Ernst Federn in Wien, den USA und wieder in Wien zu erinnern.

Bereits die Szene ihres erstmaligen Kennenlernens steht symbolisch für das Trauma, mit welchem Hilde und Ernst Federns Jugend verbunden ist, wie auch für die wechselseitige Solidarität: Im März 1933 wohnten sie in der Köstlergasse direkt nebeneinander. Der 19-jährige Ernst Federn, intensiv in der illegalen Widerstandstätigkeit gegen den Austrofaschismus engagiert, lernt die 23-jährige Hilde im April 1933 bei einem Treffen der sozialistischen Sektion des Bezirkes kennen. Seitdem trafen sie sich alle zwei Tage und wurden rasch ein Liebespaar. Hilde ist fasziniert von Ernsts Radikalität, seinen revolutionären Hoffnungen.

Hildes Eltern waren nicht verheiratet und hatten sich schon bei ihrer Geburt getrennt. Hilde verbringt ihre ersten zwei Jahre bei Zieheltern und wird dann von den Großeltern väterlicherseits aufgenommen. Von der jüdischen Herkunft ihrer Mutter wusste sie nichts. Die schmerzhaften Trennungserfahrungen scheinen sich tief in die Seele des begabten Mädchens eingegraben zu haben.

Als Kleinkind wächst sie in der bedrückenden Atmosphäre des Ersten Weltkrieges auf. Früh macht sie kränkende Erfahrungen mit dem Antisemitismus: Als schwarzhaarige Schauspielerin darf sie nicht die Maria in einem Krippenspiel darstellen.

Hilde tritt 1928 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei und macht eine Ausbildung als Kindergärtnerin. Politik und pädagogisches Engagement bilden für Hilde und Ernst Federn in dieser gewalttätigen Zeit eine Einheit. Hilde hat vielfältige Kontakte zu einigen Pionieren der jungen psychoanalytisch-pädagogischen Bewegung.

Die Beziehung zur Familie Federn ist rasch sehr eng: „Seine Mutter hat mich sehr gerne gehabt, ich habe mich gefühlt wie eine Tochter. (…) Ich war sofort in der Familie drinnen“ (Kuschey, 2004, Bd. 1, S. 207) Nach den Februarkämpfen 1934 ist Hilde nicht mehr politisch tätig, ist aber über die politische Arbeit Ernst Federns informiert.

In der Endphase des „Roten Wien“ findet sie keine Stelle an einem städtischen Kindergarten mehr. Sie arbeitet in einer jüdischen Lehrerfamilie und arbeitet im psychoanalytischen Kinderheim von Grete Fried.

Im März 1936 wird die 25-Jährige im Zusammenhang mit der mehrmaligen Inhaftierung Ernst Federns wegen dessen Widerstandstätigkeit verhaftet und für sechs Wochen in Untersuchungshaft genommen. Nach ihrer Freilassung gilt sie als vorbestraft. Zeitgleich wird Ernst Federn wegen seiner Untergrundtätigkeit verfolgt, im November 1936 in Untersuchungshaft gesteckt. Hilde unterstützt Ernst während dieser sieben Monate mit außergewöhnlicher Tapferkeit, bringt ihm Wäsche und Lebensmittel ins Gefängnis.

Nach Ernst Federns Freilassung besuchen die beiden ein heilpädagogisches Seminar. Im März 1938 wollen die beiden heiraten – und just an diesem Tag wird Ernst Federn von der Gestapo verhaftet und für sieben Jahre zuerst nach Dachau, dann nach Buchenwald verschleppt (vgl. Kaufhold, 1999, 2001).

Hilde, die den Nazis als „Halbjüdin“ gilt, emigriert nicht. Sie übernimmt für ihren Verlobten lebensrettende Verantwortung. Sie besorgt immer wieder Visa anderer Staaten, versorgt Ernst mit Geld und Lebensmitteln.

Unmittelbar nach der Inhaftierung Ernst Federns unternimmt Hilde verzweifelte Versuche, eine Freilassung Ernsts zu erreichen. Sie läuft von Amt zu Amt, reicht immer wieder Visa ein – vergeblich.
Die Phase der Emigration Paul und Wilma Federns in die USA muss für Hilde Federn von besonders schmerzhafter Ambivalenz gewesen sein: Paul Federn, der sich vollständig mit dem Schicksal Freuds bzw. der Psychoanalyse in Wien identifizierte (Kaufhold & Wirth, 2006), wollte erst die Emigration des 82-jährigen Freud abwarten, bevor er selbst floh.

Die Bindung zwischen Hilde und Ernst muss während der furchtbaren sieben Jahre von 1938–1945 sehr eng geblieben sein. Sie bleiben in Kontakt durch Postkarten. Ernst Federn bewahrt während seiner siebenjährigen Gefangenschaft ein Foto Hildes bei sich.


Das Foto von Hilde, das Ernst seine gesamte KZ-Zeit über bei sich hatte, mit Goethe-Zitat auf der Rückseite
© Bernhard Kuschey / Psychosozial-Verlag

Einfühlung in ihre tiefen Nöte gewährt der berührende Briefwechsel Hildes mit Wilma Federn. Am 20.9.1938 schreibt sie an Wilma: „Ich hatte im Stillen noch immer gehofft, ich werde Dich in der Schweiz noch einmal sehen, doch sieht es jetzt gar nicht danach aus. So wird das Herz in Stücke gerissen, ein Stück bleibt hier, eines da, eines geht dort hin und jenes dort und ich glaube, das schmerzt mehr, als geschehe es wirklich mit Messern“ (Kuschey, 2004, Bd. 1, S. 305). Im März 1939 hat sie wieder Hoffnung: „Es ist alles geordnet und erledigt, jetzt braucht er nur zu kommen“ (ebd., S. 309).

Hildes Isolierung nimmt immer weiter zu. Am 23.5.1939 klagt sie: „Der Kreis wird immer kleiner“ (Kuschey, 2004, Bd. 1, S. 310). Nach dem deutschen Überfall auf Polen am schreibt sie an Wilma: „Sei nicht zu unglücklich, ich kenn die richtigen Muttergefühle ja nicht, aber dafür andere, wir sind ja jetzt so viele, die um ihre Lieben zittern und in Sorge an ihr Schicksal denken. Du betest und ich tue ähnliches“ (ebd., S. 311).

Das Jahr 1938 ist für Hilde gekennzeichnet von verzweifelten Versuchen der Intervention bei der Gestapo. Sie ist dem Alpdruck der Gerüchte ausgeliefert. Ihre regelmäßigen Paket- und Geldsendungen sind für ihn lebensrettend. Hilde weiß durch seine regelmäßig zensierten Briefe aus dem Konzentrationslager nur, dass er noch lebt. Sie ist in höchstem Maße an Informationen über die Konzentrationslager interessiert; zugleich hätte ihr zu genaues Wissen über die Situation in den Konzentrationslager jede Zuversicht genommen.

Hilde hat Glück. Sie überlebt. Ernst Federn überlebt ebenfalls. Erst im November 1946 gelingt das Wiedersehen – in Brüssel, wohin Ernst Federn nach seiner Befreiung aus Buchenwald gegangen ist (vgl. Kaufhold, 1999, 2001).

Am 7.2.1947 holen Hilde und Ernst Federn ihre Verlobung nach.


Hochzeitsfoto von Ernst und Hilde Federn vom 2. Februar 1947 mit den Trauzeugen Lazaire Liebmann (l), Ernest Mandel (m) und Maria Hoffmann (r.). L. Liebmann, dessen Sohn in Auschwitz ermordet worden war, hatte Ernst Federn direkt nach dessen Ankunft in Brüssel in sein Haus aufgenommen; der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Ernest Mandel war ein enger Freund Ernst Federns in Brüssel; Maria Hoffmann war die Ehefrau des wohl in Folge der nationalsozialistischen Verfolgung verstorbenen Psychoanalytikers Ernst Paul Hoffmann.
© Roland Kaufhold / Psychosozial-Verlag

Am 1.1.1948 emigrierten sie nach New York, wo Paul und Wilma Federn leben. Die Freude des Wiedersehens hält nicht lange an: 1949 stirbt Wilma, 1950 sterben Paul Federn in New York und Hildes Vater in Wien. Zeitgleich wird Hilde und Ernst Federns Sohn Tom geboren.

Ernst Federn holt eine Berufsausbildung als social worker nach; Hilde arbeitet von 1964−1972 an der jüdischen Nursery School in Cleveland. 1972 kehren die Federns nach Wien zurück. Ihren amerikanischen Pass hat Hilde zeitlebens behalten.

Im Herbst 2004 konnte Hilde Federn in Wien noch an den Feierlichkeiten anlässlich des 90. Geburtstag ihres Mannes teilnehmen. Am 19.1.2005 ist Hilde Federn von uns gegangen. Hilde hat uns mit ihrer großen Tapferkeit und ihrer lebenslangen Solidarität gezeigt, dass es auch nach Buchenwald ein sinnvolles, befriedigendes, lebensbejahendes Leben geben kann.


Hilde und Ernst Federn 1994,
© Psychosozial Verlag & Marita Barthel-Rösing

Literatur:

Federn, E. (1999a). Ein Leben mit der Psychoanalyse. Von Wien über Buchenwald und die USA zurück nach Wien. Gießen (Psychosozial-Verlag).
Federn, E. (1999b). Versuch einer Psychologie des Terrors. In R. Kaufhold (Hrsg.), Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn (S. 35–75) Gießen (Psychosozial-Verlag).
Kaufhold, R. (Hg.) (1999). Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag). http://www.suesske.de/kaufhold-2.htm
http://www.psychosozial-verlag.de/psychosozial/details.php?p_id=47
Kaufhold, R. (2001). Bettelheim, Ekstein Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung. Mit einem Geleitwort von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag). www.suesske.de/kaufhold-1.htm, http://www.psychosozial-verlag.de/psychosozial/details.php?p_id=47
Kaufhold, R. (2005): Erinnerung an Hilde Federn (26.10.1910 – 19.01.2005). In: Kinderanalyse, 13. Jg., Heft 2/2005, S. 234-237.
Kaufhold, R. (2008). Documents Pertinent to the History of Psychoanalysis and Psychoanalytic Pedagogy: The Correspondence Between Bruno Bettelheim and Ernst Federn. The Psychoanalytic Review, 95, 887−928.
Kaufhold, R. & H.-J. Wirth (2006). Sigmund Freuds Weg ins Exil. Tribüne, 1/2006 (Nr. 177), 158-170.
Kuschey, B. (2003). Die Ausnahme des Überlebens. Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie und eine Analyse der Binnenstruktur des Konzentrationslagers. Bd. I und II. Gießen: Psychosozial.

Dieser Beitrag wurde von Roland Kaufhold verfasst und für haGalil gekürzt. Die sehr viel umfangreichere Version dieses Erinnerungsbeitrages an Hilde Federn ist kürzlich unter dem Titel „Zum 100. Geburtstag von Hilde Federn“ erschienen in der KINDERANALYSE, 18. Jg, H. 3/2010, S. 247-251. Wir danken der Redaktion der Kinderanalyse, Frau Heide Zimmermann-Günter und dem Verlag Klett-Cotta für die Nachdruckrechte. Bestellung: Über den Buchhandel oder über: f.kamann(at)klett-cotta.de.

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