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Eine Geschichte aus Deutschland: Von nassen Hunden und trockenen Juden

Es ist der letzte Satz dieses Berichts, der den Weg weist: »Doch das erlösende Licht wird sich ausbreiten, früher oder später!« – Ein Satz voller Hoffnung, ein Satz voller Illusionen? So mag man denken, wenn man den Tatsachenbericht, die Autobiografie des jungen Shalicar liest…

Aus dem Vorwort von Richard C. Schneider zu Arye Sharuz AShalicars Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude

Wäre dies ein Roman, so müsste man ihn unwillkürlich in das Genre des »Bildungsromans« einordnen. Doch dieser Bericht ist kein Roman, sondern der Versuch ein Stück deutsche Realität abzubilden, das, was in einem Teil Deutschlands vor sich geht, den man heute neudeutsch als »Parallelgesellschaft« bezeichnet und ihn damit auf Distanz hält, als nicht wirklich zu Deutschland zugehörig. Doch Wedding, Kreuzberg oder all die anderen »Ausländerghettos« in der Bundesrepublik sind ein Teil Deutschlands. Und was sich dort abspielt, hat uns zu interessieren, denn die Jugendlichen, die dort aufwachsen, werden in irgendeiner Form Deutschland mitprägen.

Also ist das Buch ein Bericht über deutsche Gewalt? Über deutschen Rassismus? Doch eher ein Bericht über Gewalt in Deutschland, über Rassismus und – ja, natürlich – Antisemitismus in Deutschland. Nicht von »ethnischen Deutschen«, sondern von »Ausländern«, egal nun, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht. Diese jungen Türken, Palästinenser, Inder, Araber, Kurden, Bosnier – sie werden als Ausländer gesehen. Und ihr Hass auf den Juden Shalicar ist nicht der Hass des europäischen Antisemiten, es istder Hass, der aus dem Nahen Osten kommt, sozusagen die Fortsetzung des Nahostkonflikts in Europa. Was das bedeutet, wissen wir längst: Attentate auf Juden, Synagogen, die brennen – in Frankreich, in England ist dies längst soweit, in Deutschland zum Glück nur ab und zu.

Und inmitten dieses Irrsinns der kleine Judenjunge, der keine Ahnung hat, dass er ein Jude ist, der später zwar weiß, dass er einer ist, aber nicht weiß, was das ist – »ein Jude«. Und der natürlich das alte jüdische Spiel der Diaspora spielt: Ich mache mit bei der Mehrheitsgesellschaft, ich mache irgendwie mit, um akzeptiert zu werden. Verständlich und traurigerweise: sinnlos. Denn es ist zugleich immer auch ein Absturz, diese Verleugnung der eigenen Identität, es ist dieses doppelte Spiel, das ein Jude in der Diaspora wohl seit Anbeginn der Zeiten spielte wie uns die Thora bereits erzählt: Als Abraham mit seiner Frau nach Ägypten geht, da muss er lügen – und gibt sie als seine Schwester aus. Um sich und sie zu schützen. Shalicar will sich schützen und zugleich ist dies der Weg zu seiner wahren Identität. Seiner wahren Identität?

Das, was am meisten in ihm, an ihm gehasst wird, wird seine Hauptidentität: Das Jude-Sein. Wer kann ihm das verdenken? Es ist die Reaktion auf das, was nicht sein darf. Es ist die Emanzipation aus dem Mahle, aus dem Ghetto. Und so ist sein Weg vorbestimmt, so hat er nur einen Aus-Weg: Israel. Dort beginnt die Freiheit. Beginnt sie dort wirklich? Für den Deutschen, der er auch ist, für den Perser, der er auch ist…

Shalicar deutet es in seinem Bericht an: Auch dort ist die Engstirnigkeit, das Vorurteil, der Rassimus präsent: Ashkenasim gegen Sefardim, Orthodoxe gegen Säkulare, Juden gegen Araber. Es ist das Antlitz des Menschen, das sich auch in der israelischen Gesellschaft widerspiegelt: Vorurteil und Angst, Mehrheit gegen Minderheit, Starke gegen Schwache. Der ewige Kreislauf menschlicher Geschichte. Ohne Ausweg?

Doch Shalicars Bericht gibt Hoffnung: Es gibt einen Weg aus der Hölle, die wir Menschen uns selbst bereiten – es gibt das erlösende Licht, daran glaubt der Autor ganz fest. Und es gibt in diesem eindrucksvollen Text, der den deutschen Leser an die Hand nimmt und ihm eine ganz andere Seite seines eigenen Landes zeigt – und auch eine ganz andere Seite des Antisemitismus – es gibt in diesem eindrucksvollen Text eine Lichtgestalt: Janica. Die junge Frau, die Jugendliebe des kleinen persischen Juden, verkörpert das wahrhaft Menschliche, das, wofür es sich zu leben lohnt, wie Behnaz, seine persisch-jüdische Verwandte ihm in Los Angeles erklärt. Janica liebt Arye. Für das, was er ist. Und sie ist bereit, Grenzen zu überschreiten – für die Liebe. Sie ist bereit, Jüdin zu werden, um diese Liebe leben zu können. Shalicar selbst schreibt, dass er sich gegen sie entscheidet. Mit seinem Verstand, nicht seinem Herzen. Vielleicht hat er in dieser Welt recht, sich so zu entscheiden? Vielleicht ist es vernünftig? Man ist versucht an Hermann Hesses >Siddhartha< zu denken, an die vielen Häutungen, die der junge Gautama in seinem Leben durchleben musste, um bei sich anzukommen.

Shalicar hat eine erste wichtige Häutung hinter sich. Es ist ein Bekenntnis zu einem sehr alten Teil in ihm. Und konsequent führt ihn sein Weg nach Israel. Doch er selbst deutet zum Schluss an, dass dies nur ein erster Schritt ist. Er will vielleicht in die Politik, schreibt er.

Wer weiß? Er hat so viel, was man im heutigen Israel braucht, um Frieden schließen zu können mit seinem Feind, mit sich selbst…

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