Kategorien / Themen

Werbung

Stuttgarter Mitläufer und Massenmörder

"Es gibt Ungeheuer, aber es sind zu wenige, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlicher ist, das sind die normalen Menschen." Dieser Satz von Primo Levi steht am Beginn des Buches "Stuttgarter NS-Täter" vom Hermann G. Abmayr. Und dieses Buch erzählt von diesen normalen Menschen und von den Ungeheuern, die in Stuttgart während der NS-Zeit "ihre Pflicht für Volk und Vaterland" zu tun gedachten…

Von Ramona Ambs

abmayrIn 38 Kapiteln werden 45 "Täter" vorgestellt. Darunter finden sich Portraits bekannter Nazi-Profiteure wie Ferdinand Porsche, wie auch Portraits noch völlig unbekannter Köpfe, die sich in unterschiedlichster Weise an Verfolgung und Vernichtung beteiligt haben.

Aufmerksam wurde die Autorengruppe um Hermann G. Abmayr auf diese Personen im Zuge der Recherchen für ihr erstes Buch 2006 im Rahmen der Stolperstein-Initiative in Stuttgart. Seinerzeit wurden die Opfer und ihr Leben untersucht und dargestellt. Dabei fiel den Autoren auf, dass einige der Täter nie als solche benannt und zur Rechenschaft gezogen wurden. Im Gegenteil war es häufig so, dass sie ihre Karrieren nach 1945 ungehindert fortsetzen konnten. Paul Werner wird da zum Beispiel portraitiert. Er war als Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes an der Verfolgung von Sinti und Roma, Homosexuellen und Prostituierten beteiligt und machte später Karriere als Ministerialrat im Innenministerium von Baden-Württemberg. Oder Paul Binder, der federführend die reichsweite "Arisierung" mitorganisiert hatte, war später langjähriger Abgeordneter der CDU im Baden-Württembergischen Landtag. Paul Binder ist heute vor allem als Bundesverdienstkreuzträger und "(Mit-)Vater des Grundgesetzes" bekannt.

Aber auch kuriose Figuren werden portraitiert. Zum Beispiel Erwin Goldmann, der Jude, der gerne ein Nazi gewesen wäre und deshalb immer wieder Nazigegner denunzierte. Sein Wunsch, ein echter Nazi sein zu dürfen ging so weit, dass er versuchte seine Herkunft als "Volljude" in "Halbjude" umzuwandeln, in dem er behauptete, seine Mutter sei zum Zeitpunkt seiner Zeugung mit einem Arier liiert gewesen. Interessant sind auch die Portraits von Menschen, die offiziell als "Mitläufer" eingestuft wurden, darunter zum Beispiel Erich Maier-Stehle, der als Journalist für die NSDAP und die SA propagandistisch tätig war. Als Leiter der Presse- und Propagandastelle des Württembergischen Staatstheaters sorgte er für die Entlassung der jüdischen Künstler. Nach dem Krieg schrieb er für verschiedene Zeitungen und fiel vor allem in der "Leonberger Allgemeinen" immer wieder durch antisemitische Kolumnen auf: "Man demütigt und hetzt gegen uns, nimmt aber unser Geld, denn das stinkt bekanntlich nicht….Les juifs! (franz. für: die Juden!)Glauben sie wirklich – dort in ihrem Staat, sie könnten in alle Ewigkeit ein ganzes Volk demütigen?"

Viele der Täter wurden hier erstmals portraitiert, was dazu führte, dass einige Familienangehörige der hier Dargestellten versuchten, die Publikation des Buches zu verhindern. Andrerseits gab es aber auch Angehörige, die an diesem Buch mitgearbeitet haben. So beschreibt Ursula Boger, die Enkelin von Wilhelm Boger ihre Sicht auf diesen Mann ebenso intensiv und persönlich wie Malte Ludin seinen Vater, den Kriegsverbrecher Hanns Elard Ludin.

Dem Buch sind zahlreiche Abbildungen beigefügt. Alles in allem gibt dieses Buch ein umfassendes Zeugnis davon, wie aus "normalen Menschen" Ungeheuer wurden. Und auch wenn sich das Buch nur auf Stuttgarter Täter zu konzentrieren scheint, ist es dennoch auch für Nicht-Stuttgarter sehr lesenswert: Denn diese ganz "normalen Menschen" gab es überall in Deutschland. Gestern wie heute.

Hermann G. Abmayr (Hg.): Stuttgarter NS-Täter: Vom Mitläufer bis zum Massenmörder. Wir haben nur unsere Pflicht getan für Volk und Vaterland
Verlag Hermann G. Abmayr und Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2009, 383 Seiten mit 48 Abbildungen, 19,80 Euro. [Bestellen?]

>> Verfolgung jüdischer Künstler in Stuttgart

Comments are closed.