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Geliebter Feind, gehasster Freund

Der vorliegende 752 Seiten umfassende Sammelband ist das Ergebnis der internationalen Konferenz "Antisemitismus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart", die 2007 in Potsdam abgehalten wurde und enthält vierunddreissig Beiträge von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete, die sich mit Teilaspekten des Philosemitismus beschäftigt haben…

Rezension von Karl Pfeifer

philosemitismusDer Begriff "Philosemitismus" wurde erstmals während des deutschen Antisemitismusstreits der 1880er Jahre als Gegenbegriff zum Antisemitismus gebraucht und bezeichnet judenfreundliche Haltungen. Der Ausdruck "Philosemitismus" wurde von deutschen Antisemiten geprägt, die ihn in polemischer Absicht gegen den deutschen Linksliberalismus, der in ihren Augen das Sprachrohr des reichen jüdischen Grossbürgertums darstellte, verwendeten. In ähnlicher Absicht wurde er von einer Reihe von Sozialdemokraten übernommen, die sich sowohl vom Antisemitismus als auch vom Philosemitismus zu distanzieren versuchten, weil sie der Ansicht waren, dass die "Judenfrage" letztlich nur durch die Überwindung des Kapitalismus gelöst werden könne. Mit ihrer Gleichsetzung von Antisemitismus und Philosemitismus sowie durch die in ihrer Anerkennung einer "Judenfrage" implizierten antijüdischen Klischees und Vorurteile kamen einige von ihnen antisemitischem Gedankengut gefährlich nahe.

Das Kapitel "Antisemitismus versus Philosemitismus? Analytische-kritische Begriffsbetrachtungen" enthält den glänzenden Artikel von Lars Rensmann und Klaus Faber: Philosemitismus und Antisemitismus, Reflexionen zu einem ungleichen Begriffspaar. Ihre Argumentation führt zur Schlussfolgerung: "Nur im Verhältnis zu den Juden fand man sprachpolitisch Anlass, eine Distanzierung zur Sympathie durch die Gegenüberstellung zum Antisemitismus bereits in der Begriffsbildung anzulegen. Diese Sonderstellung des Philosemitismus-Begriffes rückt ihn begriffshistorisch und konzeptionell, d.h. vom Begriffsgehalt her, selbst in die Nähe einer antisemitischen Position." Das Autorenpaar beschäftigt sich ausführlich mit der problematischen Verwendung dieses Begriffes, vor allem durch Linke. Allein wegen diesem Artikel lohnt es das Buch zu erwerben.

Moshe Zuckermann, der Soziologie, Politologie und Geschichte studierte, versucht im gleichen Kapitel mit seinem Text Aspekte des Philosemitismus eine Art Ethnopsychologie, mit der er mit Ausnahme derjenigen Juden, die seine politische Meinungen teilen, das ganze jüdische Volk auf die Couch legt, um "narzistische Selbsttäuschung zur Grundlage eines verlogenen Selbstbildes und einer damit einhergehenden unehrlichen Selbstdarstellung" zu diagnostizieren. Eine Diagnose ohne jeglichen klinischen Befund.

Das erinnert an Otto Weininger, der in seinem "Geschlecht und Charakter" den Juden kollektiv attestierte von Weiblichkeit durchdrungen zu sein. Zuckermann macht sich vollends lächerlich, beim Zitieren eines deutschen Schriftstellers der Israel besuchte und erstaunt war über den freundlichen Empfang in Tel Aviv. Zuckermann schliesst daraus: "Bemerkenswert an dieser Passage ist die als "neugierig" apostrophierte Frage des israelischen Bürgers, wie es dem ausländischen Gast in Tel Aviv gefalle. "Neugierig" ist diese Frage mitnichten, denn der israelische Einheimische erwartet vom deutschen Touristen nichts als die Antwort, dass es ihm in Tel Aviv gut gefalle." Da kann man nur sagen NUNA. Wer so eine Frage wo immer in der Welt einem Touristen stellt, erwartet sich die gleiche Antwort, die jedoch Zuckermann zum Beweis dient, wie abartig seine Mitbürger sind.

In seinem Text "Projektion" — "Überindentifikation" — "Philozionismus", im Kapitel "Philosemitismus nach 1945" setzt sich Stephan Grigat mit dem "Vorwurf des Philosemitismus an die antideutsche Linke" auseinander und gibt auch einige Beispiele: Der Wiener Journalist Franz Schandl spricht von einem "religiös gewordenen Bezug auf Israel". Dem "linksradikalen Philosemitismus" sei Israel "das neue Ersatzsubjekt für Arbeiterklasse und Kommunismus." Robert Misik erklärt die antideutsche Strömung zu einer "groteskesten Narrentruppe deutschen Schuldkomplexes". Laut John Bunzl würden die Antideutschen Israelis und Palästinenser "aus Gründen des eigenen psychischen Haushalts" instrumentalisieren. Grigat befasst sich auch mit Prof. Zuckermann, der meint die Parteinahme für Israel wäre ähnlich zu beurteilen und ebenso zu bekämpfen wie der Antisemitismus, was in Zuckermanns Logik insofern folgerichtig ist, als er auch identische Gründe für eine linke Solidarisierung mit Israel und für den Antisemitismus sieht: "Ich meine auch, dass dieser Philosemitismus dem gleichen Ressentiment entstammt wie der Antisemitismus". Grigat zeigt auf, dass der Begriff "Philozionismus" gerne von Rechtsextremisten zur Diffamierung der Linken verwendet wird. So warf der Freiheitliche Akademikerverband Salzburg dem VSStÖ, der sozialdemokratischen Studentenvereinigung vor, ihren Antifaschismus "ausschliesslich in einem Philozionismus" zu präsentieren. Der jüdische Autor diverser rechtsextremistischer Organe, der unter dem Pseudonym J.G. Burg publizierte und in einem Nachruf des Rechtsextremisten Max Wahl als "unser jüdischer Freund und Mitstreiter" bezeichnet wurde, sah in der Bundesrepublik Deutschland einen "Philozionismus", der "schäbiger, hässlicher, dümmer und schlimmer" sei als "offener Antisemitismus". Stephan Grigat: "All diesen Vorwürfen ist eines gemeinsam. Sie gehen an keiner Stelle auf die Textproduktion der antideutschen Ideologiekritik ein." Tatsächlich wird diese Gruppe zum Popanz aufgebaut, auch der Rezensent wurde schon mangels Argumenten als "antideutsch" abqualifiziert.

Unter dem Titel "Wer ein guter Jud"™ ist, bestimm ich" — und wer ein guter Israeli ist auch" schreibt Elisabeth Kübler über "Europäische Wahrnehmungen" im Kapitel "Philosemitismus in Japan, den USA und Europa". Kübler stellt fest: "Der Eindruck lässt sich nicht leugnen, dass die europäische Mediensicht die komplexe israelische Wirklichkeit oftmals auf eine Konfrontation zwischen fanatischen Siedlern von in Hebron illegal errichteten Vorposten und marginalen ["] Friedensgruppen wie Gush Shalom, Frauen in Schwarz oder die Reservedienstverweigerer von Yesh Gvul verkürzt." Sie bemerkt: "Erstens verschiebt sich unter dem nach der Schoa als Tabu empfundenen offenen Antisemitismus gegen Juden die ablehnend bis feindliche Haltung zusehends und ohne allzu grosse Zwänge politischer Korrektheit gegen Israelis, die noch dazu auf eine militärisch gesicherte jüdische Staatlichkeit bestehen. Zweitens kann vor dem Hintergrund einer in den seit den 1990er Jahren in Europa zunehmenden, quasi-reaktionären Rückbesinnung auf regionale und lokale Entitäten bei gleichzeitig kulturalistisch-rassistisch argumentierenden Zementierung des Status von Minderheiten eine fortlaufende Ethnisierung von Politik und die Indienstnahme einzelner Angehöriger von minoritären Gruppen gleichsam als Sprecher für ihr Kollektiv geortet werden. In der europäischen Wahrnehmung positiv oder negativ etikettierte Israelis werden somit nicht mehr als Individuen mit eigenem Handlungshorizont, sondern als Vertreter und Speerspitzen scheinbar homogener Gruppen gesehen".

Beispielhaft treffend ist auch ihre kurze Schilderung warum ausgerechnet die Israelin Nurit Peled-Elhanan den Sacharovpreis erhielt. Sie wird "als "jüdische Kronzeugin"™ instrumentalisiert; das ansonsten um politische Korrektheit und vorgeblichen Anti-Antisemitismus bemühte Publikum wird nun endlich aus dem Munde einer jüdischen Israelin über die Völker- und Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung unterrichtet. Nebenbei stellt sich die Frage, wann Peled-Elhanan jemals an der Ausübung ihres Grund- und Menschenrechtes auf freie Meinungsäusserung gehindert wurde." Resümierend wirft Kübler Licht auf ein Textbeispiel, "das nolens volens als exemplarisch für europäische Wahrnehmungen des "guten Juden"™ und des "bösen Israeli"™ gelten kann. Der in Österreich einer breiteren Öffentlichkeit bekannte und bekennend katholische Publizist Hubert Feichtlbauer" veröffentlichte 2006 in Das Jüdische Echo: "Nicht du trägst die Wurzel""™ Die unheilvolle "Zergegnung"™ von Christen und Juden".

Israel würde nicht nur den Eindruck machen, so Feichtlbauer, "ehrlich einen Waffenstillstand mit den bewaffneten arabischen Nachbarstaaten, nicht aber mit den militärisch schwachen Palästinensern gesucht" zu haben, sondern sich noch erdreisten, "eine Fortführung des [Friedens-] Prozesses vom totalen Verzicht auf weitere Attentate abhängig" zu machen. Er stellt "leichte Ermüdungserscheinungen" im christlich-jüdischen Dialog fest und zeigt auf einen "freundlich-kooperative(n)" jüdischen Funktionsträger. Weniger freundlich und kooperativ, ja sogar "gewöhnungsbedürftig" verhielt sich in Feichtlbauers Augen der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Ariel Muzicant bei den Restitutionsverhandlungen um die Jahrtausendwende. "Die unverblümt fordernde Sprache Muzicants liess neue Befürchtungen hinsichtlich ungestümer Reaktionen aufkommen." Kübler bemerkt dazu: "Wenn ein nach der Schoa geborener IKG-Präsident fast sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus das Recht auf Rückgabe geraubter Güter und auf Entschädigung einklagt, dann trüge er in Feichtlbauers Argumentation kausale Schuld für potentielle antisemitische Ausfälle."

Zu denken geben sollten die regelmässigen Interviews und Lobreden auf "judenkritische"™ Juden in der rechtsextremen Presse, wie nicht nur das Beispiel der Deutschen National-Zeitung und ihre Preisung des "jüdischen David Irvings" Norman Finkelstein belegt. Radikale "Antizionisten", deren Gedankengut immer mehr in die Mitte der Gesellschaft gelangt, sprechen dem demokratischen jüdischen Staat jede Existenzberechtigung ab und prangern ihn als "Apartheidstaat" an, sie setzen die Situation der Palästinenser vielfach mit der Schoa gleich und suchen sich zumeist auch "gute Juden"™, welche die eigenen Vorurteile bestätigen und legitimieren sollen.

Philosemitismus so lässt sich schliessen, legt eine Gleichsetzung mit Antisemitismus nahe, die weder theoretisch noch empirisch zu legitimieren ist. Aus der Vielzahl von interessanten Beiträgen, konnte der Rezensent nur auf einige aktuelle näher eingehen. Dieser Sammelband verdient einen weiten Leserkreis.

Irene A. Diekmann / Elke-Vera Kotowski (Hg.): Geliebter Fein, gehasster Freund. Antisemitismus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart. Festschrift zum 65. Geburtstag von Julius H. Schoeps
Vbb verlag für berlin-brandenburg, 2009, Euro [Bestellen?]

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