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„Der Broder darf das!“

„Vergesst Auschwitz – bevor es zu spät ist!“, ruft Henryk M. Broder in seiner neuen Streitschrift dem Publikum zu. Das Büchlein ist, wie so oft bei Broder, Glanzstück und Ärgernis zugleich…

Von Richard Gebhardt,

Seine furiose Polemik wider die bundesdeutschen Erinnerungsrituale und die nicht nur hierzulande so  beliebte „Israelkritik“, ist über weite Strecken mit großer Verve geschrieben und verfügt über einen Esprit, der in Deutschland eine Rarität ist. Kaum ein anderer Autor vermag es, derart lebhafte Zustimmung und heftigste Zurückweisung, ja schäumende Empörung zu provozieren. Abwägende Meinungen über sein publizistisches Wirken kommen in der Öffentlichkeit selten zu Wort, von der Hassliebe zu Broder bleibt meist nur eine der beiden Elementarleidenschaften übrig. Hass oder Liebe, tertium non datur.

Alles, was den Autor als einen der eloquentesten und bisweilen scharfsinnigsten Kommentatoren des Zeitgeschehens auszeichnet, steckt zwischen den Buchdeckeln. Und alles, was ihn oftmals als ebenso selbstgerechten wie einseitigen Provokateur berüchtigt macht, auch. Die Lust an der bösen Pointe, der Spaß an der Schmähung sowie der aphoristische Stil machen das Buch zu einem besonderen Lesevergnügen. Und zwischendurch verspürt der Rezensent gleich mehrfach den unbändigen Wunsch, dieses unverschämte Machwerk mit Wucht an die Wand zu klatschen. Dass Broder dies schafft, verdient alleine schon Respekt.

Wie aber macht er das nur? „Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht“, ist sein Leitmotiv. Broders Bewunderer lieben die agonale Zuspitzung, den intellektuellen Ringkampf, den der Herausforderer nur selten verliert. Vielleicht schnitzt er sich eine Kerbe in den Gürtel, wenn er seine Gegner im Eifer des Gefechts wieder einmal zu allerlei unbedachten Äußerungen provoziert hat. Als Chronist der deutschen Verhältnisse weiß er, wo sich die neuralgischen Punkte seiner Antipoden befinden und wo zugleich die konditionierten Reflexe einer skandal- und empörungsversessenen medialen Öffentlichkeit verlaufen. Broders Texte wirken wie das kleine Hämmerchen für den Kniesehnenreflex. Doch während der Tritt ins Leere geht, schickt die „Rampensau“ (Broder über Broder) seine Angreifer prompt selbst auf die Matte. Dadurch gelingen ihm mitunter kleine polemische Kunstwerke, wie sie sonst nur von Geistesverwandten wie dem im letzten Jahr verstorbenen US-amerikanischen Essayisten Christopher Hitchens bekannt sind. In Deutschland waren dies die von Broder gerne zitierten Wolfgang Pohrt oder Eike Geisel. Diese vom breiten Publikum fast vergessenen Autoren haben gerade im Internet noch eine rege Fangemeinde, deren bemühte Epigonen vielfach aber weder über deren Witz noch über deren Wissen verfügen.

Die meist aus älteren Beiträgen für Spiegel Online oder Die Welt bekannten Thesen, die Broder nun variiert und wiederveröffentlicht, lassen sich griffig zusammenfassen: „Die Deutschen“ seien „dermaßen damit beschäftigt, den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern, dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen.“ (29) Nicht Auschwitz, dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dessen Regime müsse aber die Aufmerksamkeit einer deutschen Öffentlichkeit gehören, die allerdings lieber, statt neue Gefahren abzuwehren, eine „gigantische Gedenkindustrie >>Gegen das Vergessen<< entwickelt hat“. (33) Den „Israel-Kritikern“, deren Treiben Broder genüsslich seziert, unterstellt er per se den obsessiven „Wunsch, irgendjemand möge den Job zu Ende bringen, den die Nazis nicht vollendet haben, um die Deutschen von ihrem exklusiven Kainsmal zu befreien.“ (164) Eine eigenwillige Schrumpfform der Psychoanalyse reicht Broder zur Erklärung: „Es“ denkt in den Deutschen. Das Resultat dieser Mischung aus Schuldgefühlen und Sündenstolz ist schlechtes Kunstgewerbe, welches selbst wiederum Konsequenz eines schlechten Gewissens sei, das sich unbändig nach Entlastung sehnt. Warum dann aber „Israel-Kritik“ an nordamerikanischen Universitäten oder in Paris, London und Rom mitunter noch weitaus aggressiver als in Deutschland betrieben wird, bleibt eine offene Frage. Der schlichte Umstand, dass die in der Bundesrepublik kanonbildende Betonung der „besonderen Beziehungen zu Israel“ eben auch eine besondere Aufmerksamkeit befördert, wird nicht erörtert. Auch die Tatsache, dass Veranstaltungen mit Zeitzeugen nicht nur für Gymnasiasten höchst anregend und lehrreich sein konnten (und in wenigen Fällen noch können), bleibt auf der Strecke. Das schlechte Motiv ist für Broder der Regelfall; eine differenzierte Kritik bleibt, kaum verwunderlich, aus.

Broders bevorzugte Waffe ist nicht das Florett, sondern die Kalaschnikow. Seine Auslassungen wirken mitunter derart schrill und verallgemeinernd, dass Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Unterfangens laut werden. Der preisgekrönte Polemiker Broder erscheint dann wie ein Clown, dem die Leserinnen und Leser Narrenfreiheit gewähren. Der Broder, so zeigt sein Erfolg auf den Bestsellerlisten, darf das. Schließlich ist er gemein, aber geistreich. Doch weit gefehlt. Auch wenn er für eine gute Pointe wohl stets einen hohen Preis zahlen würde, er ist Überzeugungstäter, kein reiner Entertainer. Und sein Spott ist brillant, wenn er eine nicht nur in den Sozialwissenschaften beliebte Differenzierung verschiedener Aggregatszustände des Antisemitismus mit den Worten kommentiert: „Ist jemand ein >>latenter<< Antisemit, der Juden umbringen möchte, und ein >>manifester<<, der es schon getan hat?“ (47) Touché!

Wer sich zu Beginn des Buches, wo Broder autobiografisch von seiner Zeit in den Reihen der deutschen Linken berichtet (was er jedoch schon in „Der ewige Antisemit“ erhellender getan hat), fragt, warum er noch heute ausgerechnet mit einem Fossil wie dem nach ganz weit rechts gewanderten alten konkret-Herausgeber Klaus-Rainer Röhl abrechnet, erhält kurz danach bittere Lektionen über die deutsche Gegenwart. Broders Auseinandersetzung mit dem Radiomoderator Ken Jebsen („ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat“), wird knapp beschrieben. Ausführlich lässt er jene Hörer zu Wort kommen, die sich über die Absetzung ihres „Ken FM“ empört gezeigt haben. Diese emails, die ihn wohl viele hundert male erreicht haben, lesen sich wie eine Auswahl trostlosester Dokumente eines Stumpfsinns, der Aufschluss über das deutsche Massenbewusstsein gibt. Broder findet hier gnadenlos gerechte Worte. Überhaupt ist es großartig, wie er Walter Herrmann, den Initiator der Kölner „Klagemauer“ und seine Mitstreiter eintütet – und die Kölner Staatsanwaltschaft gleich mit verpackt. Die Kölner „Klagemauer“ war als ständiges Mahnmal für die Schattenseiten des Rechts auf freie Meinungsäußerung immer auch ein Ort, wo nicht wider die Situation im Gaza-Streifen gestritten werden konnte, ohne zwanghaft den Vergleich mit dem Warschauer Getto zu bemühen. Im Streit aber um eine Anzeige gegen jene bekannte „Karikatur“, die alte Ritualmordlegenden wieder aufleben ließ, bescheinigten die kölschen Rechtspfleger einer Hausfrau, dass sie, weil nicht jüdisch, auch nicht klagefähig sei. Die fragliche Karikatur sei „israelfeindlich, aber nicht antisemitisch“, so das offizielle Urteil, da es „an bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen“, fehle (52). Eine „Krummnase“ (ebd.) zum Beispiel. Hier muss der Polemiker noch nicht einmal eigene Worte verlieren, er muss nur zitieren. Auch die Darstellung des philologischen Feinsinns, mit denen Reden von Ahmadinedschad ausgelegt werden, um dessen grundsätzliche Feindschaft gegen Israel zu bestreiten, trifft den Kern der Sache. Ja, sogar feine Ironie hat diesmal ihren Platz.

So könnte man diese Kritik der „Israelkritik“ denn weitgehend loben und auch den Einwänden gegen die kulturindustrielle Aufarbeitung der Vergangenheit durch Mahnmale, zu denen man „gerne hingeht“, nicht selten zustimmen. Wenn da nicht noch ein anderer, höchst fragwürdiger Aspekt wäre, der zum Oeuvre dieses Publizisten gehört wie der dummdreiste Spruch zum Gesamtwerk von Dieter Bohlen. Die Fehler und handfesten Skandale, die Broder sucht, sucht und findet er fast ohne Ausnahme in einem bestimmten Spektrum: Der Feind steht links. Seine Gegner sind dabei die von gestern. Folgen wir Broder, wird die kulturelle und politische Hegemonie Deutschlands immer noch von Lea Rosh und Günter Grass bestimmt. Was aber in den 1980er Jahren eine notwendige Abrechnung mit der moralisch korrekten Schaumsprache des Linksliberalismus war, weicht heute dem einfältigen Selbstexorzismus eines Ex-Linken, der seinem neuen (rechts-)liberalen Milieu ungebührlich viel Kredit einräumt. Geschossen wird gegen „die Roten“ und das, was Broder noch dafür hält. Die Autonome Antifa? Kann „man schon rein äußerlich nicht von den Schlägertrupps der Neonazis unterscheiden“ (32). Die Neonazis selbst? Sind doch nur „ein paar“ (74). Auch unterstellt er den Deutschen ein Desinteresse für die Situation in Tibet, obwohl kein anderer Modeheiliger in den letzten Jahren mehr Bonusmeilen zur deutschen Fangemeinde verflogen hat, als der Dalai Lama. Das ist alles nicht stimmig, da ist allein Broders Rhetorik stark. Die Analyse macht Siesta. Und auch für Kalauer über grün-alternative „Tofu-Feinschmecker“ (55), die man sonst nur noch auf den Deutschland-Tagen der Jungen Union vermutet, ist sich Broder, wie für manch anderen faden Schenkelklopfer auch, nicht zu schade.

„Die Deutschen“, schreibt Broder, hätten aus der Geschichte vor allem gelernt, dass „vom deutschen Boden nie wieder ein verlorener Krieg ausgehen darf!“ (29) Das sitzt!  Und gerade dafür lieben ihn seine Bewunderer auch in den antideutschen Feuilletons. Dass aber der Verweis auf „Auschwitz“ eben nicht nur musealem Kunstgewerbe oder dem Appeasement gegenüber „Schurkenstaaten“ diente, sondern gerade im Kosovo-Krieg von Fischer und Scharping zur Legitimation der Bombardierung Belgrads benutzt wurden, scheint Broder entgangen zu sein. Auch wird der „kritische Dialog“ mit dem iranischen Regime nicht maßgeblich von der Partei „Die Linke“, deren antiisraelische Protagonisten hier freilich nicht fehlen dürfen, geführt. Broder erwähnt beiläufig, dass die „Deutsch-Iranische Handelskammer zu Teheran“ rund 200 deutsche Firmen aufführt. (35) Deren Geschäftspartner vor Ort handeln, so ist zu lesen, nicht immer gemäß den Richtlinien der Good Governance, ohne dass die Kanzlerin sich vernehmlich räuspert. Dass dann aber auch die deutsche Bundesregierung eine vielleicht klärungswürdige und taktische Vorstellung von den „besonderen Beziehungen“ zu Israel hat, ist dem Autor nur wenige Zeilen wert. Für die Ausweitung der Kampfzone hin zum bürgerlichen Lager fehlt offenkundig nicht nur der Platz. Von „den Deutschen“ ist die Rede – verhandelt werden die Fehler der Linken. Dass es aber die FDP war, die vor noch nicht einmal 10 Jahren mit Antisemitismus Wahlkampf gemacht hat, dass es jüngst Thilo Sarrazin war, der nicht nur seine eigenen Zahlen „schöpft“, sondern auch den NPD-nahen Intelligenzforscher Volkmar Weiss hoffähig gemacht hat, und dass es neben den Linken auch noch Erika Steinbach und die Hoh- und Möllemänner gab und gibt und geben wird, ist dem kampfeslustigen Publizisten nicht wichtig. Der Beifall der bürgerlichen Honoratioren ist ihm weiter sicher. Vor allem dieser affirmative Zug macht die Grenzen des Polemikers Broder deutlich.

Auch die hier wieder geführte Auseinandersetzung mit Wolfgang Benz, dem ehemaligen Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, verdeutlicht die argumentativen Schwächen. Benz´ – tatsächlich nicht immer überzeugende – Warnung vor der „Islamophobie“, will Broder gar nicht gelten lassen. Dafür liefert er auch triftige Gründe. Aber selbst Kollektivverdächtigungen und Stereotype scheinen für ihn dann einen wahren Kern zu haben, wenn es um „Moslems“ geht. Zur „Taqiyya“, der religiös begründeten Täuschung von Ungläubigen durch Muslime, fällt ihm nur ein „Was ist, wenn es sie hier und da doch geben sollte?“ (119) ein. „Nicht jedes >>Vorurteil<< ist aus der Luft gegriffen“ (ebd.), schreibt Broder. Dass aber deutsche Muslime, die noch nicht einmal im Hotel ein Handtuch mitgehen lassen würden, mit solcherart Unterstellungen im Alltag belästigt werden, scheint gemäß dieser Logik kein Skandal zu sein, sondern eher den durchaus rationalen Motiven der Verdächtiger zu folgen. Muslime sind für Broder ohnehin mitunter recht undankbare, weil integrationsunwillige Zeitgenossen, obwohl eine „gut geölte Integrationsindustrie“ (122) sie rührend pampert, sprich: ihnen „rund um die Uhr mit Rat und Tat unter die Arme greift.“ (129) Die Defizite der Aufnahmegesellschaft, deren Vorstellung von Staatsbürgerschaft jahrzehntelang dem Recht der Blutsbande, dem ius sanguinis folgte, geraten hier zum bloßen Thema für gutmenschliche Sozialarbeiter. Denn merke: „Die Moslems wandern in ein Sozialsystem ein, das nichts von ihnen verlangt.“ (129)

„Die Moslems“… Dass ist die Rhetorik derjenigen, die sich für „Tabubrecher“ halten, obwohl sie doch nur die Überschriften der Bild weiter unter die Leute bringen. Die Hassmails, die den Zentralrat der Muslime täglich erreichen, müssten, folgt man Broder, von ihren Empfänger wohl erst einmal auf ihren sachlichen Gehalt überprüft werden. Schließlich scheint es für ihn nach 9/11, nach London, Madrid und Djerba geradezu ein Gebot der Stunde, ein wenig „islamophob“ zu sein. Und wenn in Deutschland geborene junge Muslime nach islamistischen Terroranschlägen in „ihren“ Ländern gefragt werden, müssten sie den autochthonen Fragestellern wohl erst einmal geduldig Auskunft geben und bei jedem „Ehrenmord“ gegenüber ihren Lehrern ihre Distanzierung versichern. Es ist ja gerade der Clou des antimuslimischen Ressentiments, dass es sich nicht nur gegen die islamistischen Problemklientels, sondern generell gegen Muslime richtet. Broders Quintessenz aber lautet: „Islamophobie“ gibt es nicht und wenn doch, dann sind zumindest einige Moslems selbst daran schuld.

Natürlich unterscheiden sich „Islamophobie“ und Antisemitismus, natürlich hat auch diese Debatte ihre Fehlschlüsse. Broder hat beispielsweise Recht, wenn er fragt, warum Antisemitismus eine Reaktion auf Diskriminierungserfahrungen sein soll, wo sich doch auch ganz andere Gruppen anbieten würden, z.B. „Radfahrer, die Vegetarier oder Frauen mit Doktortitel“ (127). Damit ist die Debatte über alte und neue Feindbilder aber noch nicht erledigt. Die binäre Logik des entweder/oder erschwert die Analyse moderner Vorurteile und Ressentiments. Vielleicht sollte Broder bei einer Tasse Tee mal wieder einen Blick in „islamkritische“ Foren werfen und schauen, wie dort nicht nur die antisemitischen Pius-Brüder ausführlich zu Wort kommen. Er könnte prüfen, mit welchen altbekannten Worten dort über orthodoxe Juden in Israel gespottet wird. Nach der Lektüre der redaktionellen Beiträge und Kommentare in den blogs ist der nüchterne Befund, das alte Feindbild sei um ein neues ergänzt (und eben nicht ersetzt!) worden, nicht von Hand zu weisen.

Vielleicht wird Broder über einen solchen Hinweis bestenfalls lachen. Und das ein sozialwissenschaftliches Denken existiert, dass Personalisierungen und Kollektivzuschreibungen (übrigens auch gegen „die Banker“) grundsätzlich misstraut, ohne dabei gerade die Spezifik der Ideologie des Antisemitismus zu verkennen, ist für ihn vielleicht nur Gutmenschengerede. Sei´s drum. Denn dieses hat Broder oft elegant seziert. Und auch Kritiker können anerkennen, dass nur wenige so vehement gegen den Kulturrelativismus anschreiben, wie er. Dass aber die Fixierung auf das linksliberale Milieu und sein (ex-)linkes bildungsbürgerliches Umfeld ihn nicht als umfassenden Analytiker ausweist, hat eine vom Stern in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage gezeigt. Wo Broder im ganzen Land „einen Erinnerungswahn, der pathologisch ist“ (155) entdeckt, haben deutsche Schülerinnen und Schüler längst ihren ganz eigenen Weg gefunden, um dem „Wahn“ zu entfliehen: Jeder 5. deutsche Schüler, so Forsa, weiß mit dem Namen Auschwitz gar nichts anzufangen. Um Broders Imperativ der Amnesie zu befolgen, fehlt ihnen schon das nötige Wissen. Dieses Ergebnis macht das Buch unfreiwillig auch ein wenig komisch. Da will jemand kraftvoll das Kind mit dem Bade ausschütten – doch in jeder fünften Wanne sitzt noch nicht mal jemand drin.

Es würde jedoch nicht verwundern, wenn Broder ausgerechnet in diesem Bildungsnotstand ein Zeichen der Hoffnung entdeckt…

Henryk M. Broder: Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage. München: Albrecht Knaus Verlag 2012, 176 Seiten, 16,99 €, Bestellen?

9 comments to „Der Broder darf das!“

  • Markus

    Die Roten haben Broder übrigens schon geantwortet – und rezipieren sein Buch total anders:
    „Zionistisches Delirium – zum neuen Buch von Henryk M. Broder“
    http://RoteFahne.eu/2012/03/zionistisches-delirium-zum-neuen-buch-von-henryk-m-broder/
     

  • Eine ausgezeichnete Rezension, die verständlich macht, warum Broders Buch sich gut verkauft und die Bücher des Rezensenten Ladenhüter bleiben.

  • efem

    „Die Roten haben Broder übrigens schon geantwortet “
    .
    Das sind nicht „die Roten“, das ist lediglich eine Internetplattform, deren Gründer versucht, den Geist der alten KPD wiederzubeleben – mit wenig Erfolg -, und der sich, wie andere PublizistInnen auch, darin gefällt, seine Ansichten zu verbreiten, ohne begründbaren Anspruch darauf, für alle „Roten“ oder besser Linken zu sprechen. Von ihm stammt der verlinkte Artikel. Na und? Wir haben Meinungsfreiheit.

  • Arabella Unger

    Da kann ich angesichts der Ueberzeichnungen nur mit dem Kommentatator des Deutschlandfunks, Michael Koehler antworten: Vergesst Broder, denkt an Auschwitz!

  • Dartaen

    Selten solch eine fundierte, differenziert argumentierende Rezension gelesen. Bravo! Sie arbeiten gewiss nicht beim Spiegel’…

  • Sebastian

    Hallo Herr Gebhardt

    Sie haben eine recht lesenswerte Rezension geschrieben.
    Dass Broder wie Sie sagen….
    Zitat:“ …seinem neuen rechts-liberalen Milieu ungebührlich viel Kredit einräumt“ Zitat Ende
    stimmt jedoch nicht.
    Broder war z.B. der Erste, der die verkommene Rede von Martin Hohmann 2003 ausführlich auf seiner Homepage auseinander genommen hat und in`s Internet gestellt hat.   
    Oder man lese diesen Beitrag von Broder:
    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/schrecklich_immer_wieder_diese_nazivergleiche/
    Broder geht es m.E. darum klarzustellen, dass der rechte Antisemitismus offensichtlich ist und jeder der nicht völlig verkorkst ist diesen auch erkennt. Den linken Antisemitismus beschreibt Broder so:
    Zitat:“Es ist also ziemlich einfach: Ein Antisemit hat eine negative Liebesaffäre mit den Juden. Er setzt ihnen nach, sucht ihre Nähe, wie ein Vampir, der sich im Schutz der Dunkelheit an sein Opfer heranschleicht. Die Tarnung des Antisemiten ist sein Mitgefühl für die Palästinenser, aber nur für diejenigen, die von Zionisten drangsaliert werden. Das Wenige, das ihm an Empathie übrig bleibt, widmet er toten Juden“ Zitat Ende
    Broder weiß genau, dass ein Großteil der deutsch christlichen Community danach trachtet, den Islam und die Palästinenser für den eigenen Antisemitismus zu instrumentalisieren. Moderne deutsche Antisemiten versteckten sich hinter andere, indem sie radikal antiisraelische Eliten im Nahen Osten die Stange halten und diese für ihren eigenen Antisemitismus instrumentalisieren. Sie brauchen ihren Judenhass nicht mehr offen zur Schau tragen, denn damit würde sie sich ja ihre gesellschaftliche Reputation verderben.   Zum Ausgleich mit dem jüdischen Staat geneigte Muslime und Palästinenser werden von der deutsch christlichen Community seit den 30 – er Jahren bekämpft oder angefeindet. Muslime wie“ british muslims for israel“ http://www.britishmuslimsforisrael.com/BMFI/About_Us.html wären in Deutschland brutalem Hass ausgesetzt.
    Das hat Broder erkannt. Darin eine Islamfeindlichkeit sehen zu wollen ist falsch.  

  • danubius

    Es ist evident, dass der europäische Antisemitismus     seinen Ursprung in der Religion hat. Alle Mörder in Auschwitz, Treblinka, Sobibor usw. waren getaufte Christen, genauso wie Adolf Hitler, Himmler, Göring, oder Goebbels.  Als B 16 Auschwitz besuchte, sagte er viel, nur kein Wort des Bedauerns, dass seine Glaubensbrüder dort fabrikmäßig und vor allem grausam gemordet haben. Es war eine hochgestochene theologische Vorlesung. Eine Bitte um Verzeihung war es wahrlich nicht.
    Deswegen ist Broder´s Mühe in die falsche Richtung gerichtet. Die Übeltäter sitzen irgendwo anders und ein kluger Mann wie Broder könnte es sogar wissen. Und wenn er sich als unwissender gebärdet, dann hat er dazu einen guten Grund, den allerdings nur er kennt. Er muss es doch wissen, dass Mengele kein Moslem war, sondern ein gläubiger Christ.
    Schlußendlich wäre ich sehr zufrieden, wenn Broder erklären könnte, warum er die Christen schont.

  • Jane

    “Alle Mörder in Auschwitz, Treblinka, Sobibor usw. waren getaufte Christen genauso wie Adolf Hitler, Himmler, Göring, oder Goebbels“


    Einen großen Teil von Himmlers Ideologie stellte der Versuch dar, die Kirche als Glaubensinstitution auszuschalten.
    Himmler entwickelte einen regelrechten Hass auf das Christentum und hatte im „Schwarzen Korps“, als Propagandazeitschrift der SS, eine geeignete Möglichkeit, die Kirche zu diffamieren. Das „Schwarze Korps“ brachte ständige Anschuldigungen gegen Ordensvertreter, Priester etc. zum Ausdruck. Der Zeitungsterror wurde durch Polizeiterror noch ausgeweitet, was schlussendlich in der Einlieferung Geistlicher in Konzentrationslager, der Schließung von kirchlichen Anstalten, der Einschränkung der religiösen Erziehung und Seelsorge sowie der Vertreibung von Ordensleuten gipfelte und den Terror auf die Spitze trieb. Die Ausschaltung der Kirche als einzige verbliebene geistig Einfluss ausübende Instanz im Gegensatz zum nationalsozialistischen Staat wurde so vorangetrieben, denn die volle Kontrolle auf den Einzelnen erreichte Himmler nur dadurch..

    Vollständigen Artikel auf Suite101.de lesen: Heinrich Himmler – Versuche einer Ersatzreligion | Suite101.de http://tobias-knoll.suite101.de/heinrich-himmler—versuche-einer-ersatzreligion-a108802#ixzz1qEf8815t

    J. Goebbels (1938): „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass der Nationalsozialismus nur eine politische Lehre sei. Der Nationalsozialismus ist eine neue totale Auffassung des menschlichen Lebens, und weil er total ist, deshalb bezieht er alle Bereiche des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns in seinen Wirkungskreis ein.“
    „Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein.“
    (Hitler im Gespräch)

     
    Himmlers verklärender Germanenkult, der mit historisch gesicherten Erkenntnissen nichts zu tun hatte, war mit einer tiefen Verachtung des Christentums und der Geistlichkeit verbunden. Dem christlichen suchte er einen eigenen Kult mit Namensweihe statt Taufe, Sonnwendfeier und Julfest entgegenzusetzen. Den Jenseitsglauben lehnte er ab, da er den nordischen Völkern fremd gewesen sei. Hitler wurde zur messianischen Figur, die Christus ersetzen sollte. Auf SS-Angehörige wurde großer Druck ausgeübt, aus der Kirche auszutreten.
     
    Vor einem grundsätzlichen Kirchenkampf scheuten Himmler und Hitler zurück. Vertreter der Geistlichkeit wurden aber ständig im SS-Organ „Das Schwarze Korps“ geschmäht und verleumdet. Außerdem wurden Predigten polizeilich überwacht und oppositionelle Priester und Pastoren verfolgt. Im Rahmen der Umsiedlungspolitik der „Volksdeutschen Mittelstelle“ ging Himmler 1940/1941 massiv gegen Klöster und andere kirchliche Einrichtungen vor. Im Gau München-Oberbayern wurden mindestens 22 Gebäude katholischer Einrichtungen konfisziert. Unter dem Vorwurf der Staatsfeindlichkeit wurden die Benediktinerabteien Schweiklberg und Münsterschwarzach beschlagnahmt; aus der Benediktinerabtei St. Ottilien wurde ein Teil der Mönche entfernt.
     
    1938 waren 23,5 % aller SS-Führer protestantisch, 8,4 % katholisch, 68,1 % bezeichneten sich als gottgläubig, waren also in die erwünschte Distanz zu den Kirchen gegangen.
     
    http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44600
     
    Mitgliedern der Waffen-SS und auch der NSDAP wurde der Austritt aus der Kirche nahe gelegt, was seinerzeit zu einer ähnlichen Austrittswelle, wie in der Nach 68er Zeit führte. Die Mitgliedschaft in der Kirche, war bei Nazis nicht gerne gesehen und der überwiegende Teil derselben, waren daher keine Christen, auch wenn Hitler nie ausgetreten war, was man wohl eher als taktisches Manöver, vielleicht Bequemlichkeit oder was auch immer bezeichnen kann. Hitlers Feindseligkeit dem Christentum kam jedenfalls in privaten GEsprächen offen zu Tage.

     

  • danubius

    Das mag alles richtig sein. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Mörder und ihre Auftraggeber getaufte Christen waren, die schreckliche Schuld auf sich geladen haben. Die Staatsdoktrin des NS Regimes ist eine andere Sache. Sie befreit den Einzelnen nicht von der Schuld. B 16 könnte dies auch wissen. Er weiss es sicher, eine Bitte um Verzeihung hat er bisher jedoch nicht  gesprochen.
    Die Hitlerzitate aus privaten Gesprächen werte ich als Versuch die Sache zu vernebeln.