Nach Reiseführern zum Jüdischen Prag, Budapest, Wien, London und Amsterdam hat der Wiener Mandelbaum Verlag nun auch einen Stadtführer „Jüdisches München“ herausgegeben, der nicht nur für Liebhaber der Stadt München ein Muss ist, sondern allen, die sich für deutsch-jüdische Geschichte interessieren, ans Herz gelegt sei"
Von Andrea Livnat
Autor Alexander Kluy stellt eine kurze Geschichte der Juden in München voran, „eine Geschichte der Lücken, Abwesenheiten und Katastophen“. Bereits 1210 ist in München eine Judengasse nachweisbar. Im Jahr 1285 kam es infolge einer Ritualmordbeschuldigung zu einem Pogrom, bei dem 180 Juden verbrannt wurden. Auch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten kam es immer wieder zu Pogromen, bis schliesslich 1442 alle Juden durch ein Edikt des Herzogs Albrechts III. aus Bayern verwiesen wurden. 1553 legte eine Landesverordnung fest, dass Juden das Herrschaftsgebiet des bayerischen Herzogs nicht betreten dürfen. Von einer geringen Anzahl von jüdischen Hoflieferanten und Kaufleuten, die als Kreditgeber fungierten, abgesehen, war es Juden erst ab 1805 wieder möglich in Bayern und München zu leben. Doch erst 1871/2 erhielten Juden die rechtliche Gleichstellung.
1910 lebten 11.000 Juden in München, wobei es nie „die Juden“ gegeben hat, wie Kluy betont: „Die soziale und soziologische Spreizung des heterogenen jüdischen München reichte im Erwerbsleben vom kleinen Gewerbetreibenden über Künstler und Architekten bis zum Warenhausbetreiber, Universitätsprofessor (") und Nobelpreisträger, geistig reichte der Bogen (") von assimilierten Agnostikern bis zu zionistischen Vereinigungen, ideologisch von altbayerischem Konservatismus bis zu anarcho-syndikalistischen Strömungen der extremen Linken.“
In sechs Kapiteln (Zentrum/Altstadt, Zentrum/Lehel&Isarvorstadt, der Norden, der Osten, der Süden, der Westen) stellt Kluy vergangenes und gegenwärtiges jüdisches Leben in der Stadt vor. Das Buch ist dabei weniger Stadtführer zu Orten jüdischer Geschichte in München als eine Geschichte jener Juden, die München über kürzer oder länger ihre Heimat nannten.
Darunter unbekannte oder weitgehend in Vergessenheit geratene Persönlichkeiten, wie der Schriftsteller Franz Hessel und der Alpinist Gottfried Merzbacher. Auch von der Existenz der „Judensiedlung Milbertshofen“, ein Sammellager für Münchner Juden für die Deportation in die Vernichtungslager, oder dem DP-Lager in Neu-Freimann werden heute nur die wenigsten wissen. Aber München war auch für kürzer oder länger Heimat und Schaffensmittelpunkt so bekannter Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Max Liebermann, Heinrich Heine, Therese Giehse, Erich Mühsam, Gershom Scholem, Lion Feuchtwanger und Schalom Ben Chorin, der in einem Gedicht von 1937 an die Stadt schrieb:
Dass ich dir so sehr gehöre
Stadt am Rand der Berge und der Seen,
Dass ich deine Kirchenchöre
Deine Schrammel-Weisen in mir höre
Wusste ich — und musste dennoch gehen.
Wer sich einen Stadtführer erwartet, mit dem er durch München spazieren kann, wird wohl enttäuscht sein. Dazu sind allerdings auch die Münchner „jüdischen Orte“ wenig geeignet. „Jüdisches München“ ist vielmehr ein kurzweiliges Lesebuch, das zur Erkundung auf dem Sofa einlädt.
Alexander Kluy: Jüdisches München. mandelbaum city guide
Mandelbaum Verlag Wien 2009, Euro 15,80, Bestellen?
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