Es ist ein endloses Thema, für das sich kaum einer interessiert: deutsche Schulbücher und Juden, die darin vorkommen oder eben nicht vorkommen. Schon lange wird in kleinen Kreisen darüber debattiert und darum gerungen, dass klischeebeladene Bilder und christlich Sichtweisen auf die Juden aus den Schulbüchern verschwinden.
Getan hat sich freilich wenig. Zumal spezielle Lehrbücher über Juden ohnehin eher selten sind. Einige wenige Publikationen nehmen sich des Themas an – und damit auch des Themas Antisemitismus, der ja gerade in den letzten Jahren auch unter Jugendlichen deutlicher zutage tritt.
von Ramona Ambs
Um so tragischer ist es, dass nicht alle Publikationen, die gut gemeint sein mögen, auch gut gemacht sind. So zum Beispiel ein Ende letzten Jahres erschienenes Lehrbuch gegen Antisemitismus, das die Frucht der mehrjährigen Arbeit zweier im Rahmen des staatlichen Budgets zur Extremismusbekämpfung geförderter Bildungsvereine präsentierte. Unter dem Titel „Woher kommt Judenhass?„, wurde dort u.a. die alte antijudaistische Lüge, die Juden seien Christusmörder, aufgewärmt und als wahr bezeichnet.
Der Verlag an der Ruhr- der jene Methodensammlung seinerzeit publizierte – reagierte damals prompt und nahm das Buch, trotz der Verzögerungshaltung der Herausgeber- bzw. Autorenteams, zur Überarbeitung vom Markt.
Inzwischen gibt es vom Verlag an der Ruhr ein anderes, deutlich besseres Buch zum gleichen Thema. Es trägt den den Titel „“Alle Juden sind..“-50 Fragen zum Antisemitismus“ und wurde vom Anne Frank Haus Amsterdam herausgegeben. Darin werden Vorurteile über Juden (ja !, – auch die Chritusmordlegende!) als Fragen formuliert und negativ beantwortet.
Fragen wie „Sind alle Juden reich?“ oder aber „Gibt es die mächtige jüdische Lobby wirklich?“ bilden alte und neue antisemitische Klischees ab und fassen so die abenteuerlichen Vorstellungen und schwelenden Gerüchte in harmlos daherkommenden Fragesätzen ab. Diese fraglichen Behauptungen werden dann vom Autor Jaap Tanja kenntnisreich widerlegt.
Dabei hätte man jedoch die Absurdität einiger Vorwürfe noch deutlicher herausarbeiten können. So wird zwar z. B. der Vorwurf der jüdischen Lobby in Amerika und Hollywood entkräftet und darauf hingewiesen, dass ein paar einzelne erfolgreiche Juden ja keine geschlossene Verschwörergruppe darstellen, wünschenswert wäre aber auch, noch darauf hinzuweisen, dass man einigen erfolgreichen Protestanten oder Katholiken ja erst gar nicht unterstellen würde, für eine wie auch immer geartete christliche Lobby zu agieren und deshalb an der Übernahme der Weltherrschaft interessiert zu sein. Hier hätten die Antworten also gerne noch pointierter und schärfer sein dürfen.
Auch fehlen einige weitere Klischees über Juden, die des „lüsternen Juden“ zum Beispiel oder aber auch eine Frage a la „Sind alle Juden intelligent?“. Gerade letztere, also positive Vorurteile gegenüber Juden kommen in dem 184 Seiten starken Werk praktisch nicht vor.
Dennoch muss man insgesamt ein absolut positives Fazit ziehen. Das Buch bietet fundiertes Wissen ohne zusätzlichen Methodenfirlefanz und ist zudem absolut sinnvoll untergliedert, so dass man sich schnell zurechtfindet. Bei nahezu jedem Fragekomplex gibt es in rot gehaltene Hinweise auf vorangegangene oder begleitende historische Zusammenhänge, Erklärungen zu Begriffen oder weitere Informationen zu genannten Personen.
Insbesondere die Bereiche zum historischen Antisemitismus haben hier Interessantes zu bieten. So findet man dort auch Verweise auf Hugo Bettauers Roman „Stadt ohne Juden„, zu Augustinus von Hippo oder zum Judenhut. Am Spannendsten sind dabei die Randnotizen zu historischen Figuren. So erfährt der Leser zum Beispiel ein wenig über das Leben des Edgardo Mortara, einem jüdischen Jungen, der Mitte des 19.Jahrhunderts in Bologna aufwuchs. Sein katholisches Kindermädchen liess ihn während einer Krankheit heimlich taufen. Als diese heimliche Taufe Jahre später bekannt wurde, wurde Edgardo seinen Eltern weggenommen, weil die katholische Kirche es nicht verantworten wollte einen – aus ihrer Sicht – kleinen Katholiken von jüdischen Eltern erziehen zu lassen.
Anhand solcher Randnotizen bleiben die Sachtexte nicht einfach nur Information, sondern sie bekommen ein Gesicht und werden greifbar.
Gerade für junge Menschen braucht es solche Geschichten, damit sie auch einen emotionalen Zugang zu den Geschehnissen bekommen können.
Wunderschön auch, wie Tanja mit dem Ranking der beiden christlichen Konfessionen um den Platz der geringeren Judenfeinde umgeht. Auf die Frage 26 „Sind Katholiken schon immer judenfeindlicher gewesen als Protestanten?“ folgt eine kurze historische Abhandlung über die verschiedenen Haltungen der Kirchen und ihrer Vertreter zur Judenfrage. Dabei wird evident, dass keine der beiden christlichen Konfessionen judenfreundlicher als die andere ist. In den roten Hinweisen werden dabei Martin Luther und Erasmus von Rotterdam näher beleuchtet.
Aktuellere Probleme wie die Geschehnisse des 11.September oder der Israel-Palästina-Konflikt und der scheinbar daraus resultierende Antisemitismus finden sich jedoch ebenfalls in dem Buch. Kritik an Israel wird dahingehend untersucht, mit welcher Motivation und welchen Motiven, z. B. in Karikaturen sie betrieben wird.
Das Ganze wird durch zahlreiche Abbildungen illustriert. Von historischen Bildern, Fotos und Postkarten bis hin zu modernen antisemitischen Karikaturen findet man vieles, was sich als Anschauungsmaterial für den Unterricht eignet, auch wenn im Vorwort des Buches beinah vor diesen Bildern gewarnt wird:
“ Einige Abbildungen in diesem Buch können eventuell schockierend sein – sie werden hier bewusst gezeigt, weil man diesen schockierenden Ereignissen und den darin enthaltenen verwerflichen Vorstellungen nur mit offenen Augen entgegentreten kann, um sie wirkungsvoll bekämpfen zu können.“ Positiv anrechnen muss man auch, dass von den zehn moderneren Photographien von Juden immerhin „nur“ sechs orthodoxe Motive haben, denn selbst in wohlmeinenden Publikationen findet man meist nur Fotos von alten orthodoxen Männern mit Pejes, Kippa und Vollbart. Im Buch „Alle Juden sind…“, sind wenigstens noch ein paar Juden zu sehen, die rein äusserlich nicht dem althergebrachten osteuropäischen Klischee entsprechen.
Hans Westra, der Direktor des Anne Frank Hauses von Amsterdam schreibt im Vorwort: „“Ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass dieses Buch zu mehr Wissen über Antisemitismus und dessen Geschichte beiträgt und damit richtungsweisend für die Frage ist, wie heutzutage gegen Antisemitismus vorgegangen werden kann.“
Die Hoffnung ist berechtigt. Man kann dem Buch nur viele aufmerksame Leser wünschen.
Anne Frank Haus Amsterdam (Hrsg.): „Alle Juden sind … 50 Fragen zum Antisemitismus„.
Verlag an der Ruhr, Mülheim a.d.R. 2008, 19,95 Euro.
Danke Ramona für die Rezension.
Yael
Ach Leute, habt ihr immer noch nicht verstanden, dass der Kampf gegen den Antisemitismus aussichtslos ist?
Der Feind setht LINKS!
[…] Lehrern kann man inzwischen wieder an bessere Publikationen des Verlags an der Ruhr verweisen, in der kühnen Hoffnung, dass die Arbeit Früchte trage. Und […]
hmm, klingt ja ganz spannend. mir scheint es jedoch oftmals fruchtbarer antisemitische denk- und wahrnehmungsstrukturen anzugreifen anstatt sich an den „argumenten“ abzuarbeiten. auf den punkt bringt dies adorno:
"Generell ist es besser, über Strukturen der Argumentation aufzuklären, über die Mechanismen, die ins Spiel gebracht werden, als jeweils sich auf eine unendliche Diskussion innerhalb der Strukturen einzulassen, die von den Antisemiten gewissermassen vorgegeben sind und durch die man a priori ihren Spielregeln sich unterwerfen würde" (ADORNO 1973, S. 115).