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Antisemitismus im Reichstag der Weimarer Republik

Susanne Wein hat eine glänzend geschriebene Monografie vorgelegt, mit der sie erstmals antisemitische Äußerungen in den Reichstagsdebatten der Weimarer Republik untersucht und dokumentiert…

Rezension von Karl Pfeifer

Das 524 Seiten umfassende Buch ist das Resultat einer umfangreichen Quellenforschung. Sie zeigt auf wie es zu einer Sprache der Judenfeindschaft kommt: „Von offener radikal-antisemitischer Propaganda der Deutschvölkischen und Nationalsozialisten über verschieden stark codierte Formen bis hin zu kulturell eingeschriebenen Redewendungen, die den Sprechenden nicht bewusst waren. Solche latent antisemitische Sprachformen traten auch bei den Parteien der Mitte und der Linken auf.“

Die Autorin weist auch hin auf die bisher vernachlässigte Rolle der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die judenfeindliche Einstellungen salonfähig machte.

In den Grundsätzen der Partei findet man neben der häufigen Betonung der christlichen Grundlage der deutschen Volksgemeinschaft folgende Zielstellung:
„Deshalb kämpfen wir gegen jeden zersetzenden, undeutschen Geist, mag er von jüdischen oder anderen Kreisen ausgehen. Wir wenden uns nachdrücklich gegen die seit der Revolution immer verhängnisvoller hervortretende Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit. Der Zustrom Fremdstämmiger über unsere Grenzen ist zu unterbinden.“

Susanne Wein „verknüpft die Untersuchung Ansätze der historischen Antisemitismusforschung und der Politischen Kultur-Forschung, um sich den unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten der Weimarer Gesellschaft anzunähern.“ Durch diese Methode konnte die Autorin, den Antisemitismus als relevantes Muster „in der Deutungskultur der politischen Kultur der Weimarer Republik“ nachweisen.

Antisemitismus war im Kaiserreich tief verwurzelt. Die antisemitischen Akteure konnten sofort nach dem Ersten Weltkrieg darauf vertrauen, dass ihre sprachlichen Deutungen verstanden werden. Bereits im ersten Reichstag lehnte ein Teil der Abgeordneten die parlamentarische Demokratie ab und sahen in ihr eine „Judenrepublik“.

Nach dem Schema einer Arbeitsteilung etablierten die Deutschvölkischen bzw. Nationalsozialisten im Reichstag sprachliche Laminierungsprozesse und schafften es auf diese Weise, ihre Deutungsmuster zu verankern. Parallel dazu behielten sie jedoch eine manifeste, hämmernd-antisemitische Propaganda bei, so dass in keiner Weise von einer sich versteckenden Mimikry die Rede sein kann.

Der nationalsozialistische Abgeordnete Ernst Graf zu Reventlow meinte 1925, aus dem Völkerbund wurde „eine Art Aufsichtsrat des internationalen Kapitalismus, dargestellt von Juden und Judengenossen“. „Herr Dr. Weizmann von der zionistischen Weltorganisation“ sei bei einem Besuch in Berlin von allen Politikern „wie ein Chef einer Großmacht“ begrüßt worden. In paranoid antisemitischer Sprache wurde der zionistische Weltkongreß, der sich über die ganze Welt erstrecke, als ungeheure Macht mit gewaltigen Mitteln insinuiert, „die zum Ausgang des Krieges in höchstem Maße beigetragen hat.“ Es wurde skandalisiert, dass Reichskanzler Wirth vom Zentrum Weizmann empfangen und mit ihm zusammengearbeitet habe. Auf den „Zwischenruf von links: Wirth ist wohl auch Jude?“ antwortete Reventlow „er ist jedenfalls dem Geiste nach beschnitten“.

Es blieb nicht beim Radauantisemitismus. Die nicht expliziten antisemitischen Tendenzen wurden kaum geächtet und in weiten Kreisen akzeptiert. „Im rechtskonservativen Lager zeigte außerdem die dauernde antisemitische Propaganda sowie das für autoritäre Charaktere attraktive Führerprinzip seine Wirkung.“ Die Republik verlor zunehmend den Kampf gegen die sich radikalisierenden Wellen. „Weil die radauantisemitische Ausprägung der wahnhaften judenfeindlichen Denkform außerhalb ihrer eigenen Denkungsart und Sprache lag, wurden das Problem und die Gefahr, dass die NSDAP in reale Politik umsetzen könnte, was sie und die in dieser Hinsicht ideologisch kongruenten Völkischen seit Jahren predigten, von Liberalen und den Vertretern der Arbeiterbewegung oft belächelt und nicht ernst genommen.“

Dieser allmähliche Wandel war eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des nationalsozialistischen Antisemitismus und seine Umsetzung in der „Judenpolitik“ nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933.

Susanne Wein, Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik. Peter Lang Edition, 2014.

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