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Davidstern und Eisernes Kreuz

Das neue Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts widmet sich dem Thema Juden im Ersten Weltkrieg…

Von Nicole Grom

Beim Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren dürfen auch die außerordentlichen Leistungen der deutschen Juden für die Verteidigung und Unterstützung Deutschlands nicht vergessen werden. Diesem Anliegen ist das vorliegende Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts gewidmet. Im knappen Vorwort unterstreichen die Herausgeber, in welch hohem Maße die deutschen Juden ihren Kriegseinsatz als Chance auf eine vollgültige bürgerliche Anerkennung betrachteten – sie stellten im Verhältnis zur christlichen Mehrheitsbevölkerung ebenso viele Kriegsteilnehmer. Doch geht es in dieser Publikation keineswegs ausschließlich um Kriegserfahrungen jüdischer Soldaten, wie der gewählte Titel für das Schwerpunktthema vielleicht vermuten ließe. Im Gegenteil wartet das Jahrbuch mit einer Vielzahl von Perspektiven auf die Realität jüdischen Lebens in der Ära des Ersten Weltkriegs auf, wobei ‚Eisernes Kreuz‘ und ‚Davidstern‘ sozusagen leitmotivisch als Symbole für die zwei Pole jüdischer Identität zu verstehen sind.

Einen regionalen Einstieg in den Themenkomplex, der gleichwohl auf allgemeine Entwicklungen verweist, bietet Timo Saalmanns Aufsatz „Der Bamberger eiserne Ritter. Wie fränkische Juden die Kriegskasse füllten“. Er greift mit den sogenannten Kriegsnagelungen ein recht spektakuläres, jedoch weithin in Vergessenheit geratenes Verfahren auf, in der Kriegszeit ein Gemeinschaftsgefühl zur psychosozialen und finanziellen Mobilisierung der Heimatfront zu stiften. Im Rahmen dieser ‚Mode‘ des Errichtens von Wahrzeichen, in die – als gleichsam patriotischer Akt – gegen eine Geldspende Nägel zur ‚Wehrhaftmachung‘ eingeschlagen wurden, ist auch der im Oktober 1915 aufgestellte Bamberger Stadtwappen-Ritter zu sehen. Das Besondere dabei: Begüterte, sozial engagierte Bamberger Juden waren die Initiatoren, Stifter und Spendenverwalter des Projekts, dessen Erträge der Kriegsfürsorge und dem Roten Kreuz zugute kamen. Saalmann präpariert am Beispiel Bambergs auf der Folie von Planung, Einweihung und Beendigung des Projekts die sich unmerklich verändernde Einstellung der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den deutschen Juden 1915/16 sowie die Brüchigkeit der Burgfriedenspolitik nachvollziehbar heraus.

Der zweite Beitrag „… nichts als hingebungsvolle Liebe zum so schwerbedrohten Deutschtume. Das erste Kriegsjahr im Spiegel jüdischer Zeitungen“ stammt von den Herausgebern Jim G. Tobias und Nicola Schlichting und sondiert die Stimmungslage zu Kriegsbeginn. Insbesondere auf Basis der Zeitungen Jüdische Rundschau und Im Deutschen Reich machen die Autoren bewusst, welch uneingeschränkte Kriegsbegeisterung die deutschen Juden erfasst hatte und wie unreflektiert der Krieg unter anfänglicher Ausblendung des Antisemitismus als ‚rechtmäßig‘ und, da gegen das zaristische Russland gerichtet, als dem Weltfrieden dienlich betrachtet wurde. Angesichts der unterschiedlichen Ausrichtung der Zeitungen – sie waren die Organe der zentralen Strömungen des deutschen Judentums, der Zionisten bzw. der deutschnationalen, assimilierten Juden – überrascht der gemeinsame Tenor des Kriegsenthusiasmus, der den Soldatentod für das deutsche Vaterland zum Lebensziel stilisierte. Während der Erste Weltkrieg für die Zionisten „zum Erweckungserlebnis für ein jüdisches Nationalbewusstsein“ (S. 43) avancierte, hegten die Assimilierten aufgrund ihres patriotischen Einsatzes die später herb enttäuschte Hoffnung auf eine uneingeschränkte Gleichstellung mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung.

Zu diesen journalistischen Reflexionen des Krieges in Deutschland gesellt sich mit dem Aufsatz „’Mit farisene Kep un mit durchgeschosene Majler – wi lejmene Golems‘. Erfahrungen jiddischer Schriftsteller im Ersten Weltkrieg“ von Andrea und Aviv Livnat die belletristisch-lyrische Spiegelung jüdischen Leides am Kriegsschauplatz Osteuropa, wo sich der Antisemitismus in unvorstellbarer Grausamkeit entlud. Der Leser folgt den traumatischen Erfahrungen und Schaffensspuren der jiddischen Autoren Salomon An-Ski, Isaac Leib Peretz, Melech Ravitch, Peretz Markish und Uri Zvi Grinberg in Polen, Galizien, Serbien und der Ukraine – und begreift anhand der nachgezeichneten Lebensstationen Markishs Diktum „Unser Maß ist nicht Schönheit, sondern Grauen“ (S. 53). Noch ein wenig mehr hätte der Leser von diesen bewegenden biographisch-literarischen Einblicken, die jeweils recht kurz ausfallen mussten, bei einer Fokussierung auf weniger Autoren profitiert.

Der folgende Beitrag beleuchtet die spezifischen Leistungen jüdischer Frauen im Krieg. In „Patriotismus, Frauensolidarität und jüdische Identität. Der jüdische Frauenbund im Ersten Weltkrieg“ interpretiert Martina Steer die sich im Laufe des Krieges verändernden sozialen Tätigkeitsbereiche des ‚JFB‘ überzeugend als Wandlungen im Selbstverständnis der deutschen Jüdinnen. Hervorragend versteht es die Autorin, die Identitätssuche der deutschen Jüdinnen nachzuzeichnen, die sich im Spannungsfeld zwischen Frausein, Jüdischsein, Vaterlandsliebe und Antisemitismus ihren Platz erkämpfen mussten – und diese Spannung nach dem Krieg in unterschiedliche Handlungs- und Lebensstrategien auflösten.

Mit dem Titel „’Unsere jüdischen Herzen jauchzten ob der deutschen Siege‘. Die Landjuden in Bayerisch Schwaben und der Erste Weltkrieg“ nimmt sich Alois Epple eines weiteren regionalen Themas an. Der Autor belegt auf Grundlage minutiösen Quellenstudiums, dass die jüdische Bevölkerung des Untersuchungsbereichs der christlichen in puncto Kriegsbeteiligung (Kampfeinsatz, Geld- und Sachspenden, spirituelle Angebote) in nichts nachstand, ja meist sogar ein Mehr an Opferwillen und Engagement einbrachte. Die Setzung von Gedenkzeichen zur Erinnerung an gefallene jüdische Soldaten wird nicht nur im Kontext einer religiösen Memorialkultur, sondern in ihrer Funktion als materielle Sichtbarmachung des tödlichen Einsatzes für die deutsche Heimat bewertet.

„’Wir wollen sein ein einig Volk von Schwestern.‘ Jüdische Krankenpflege und der Erste Weltkrieg“ heißt der kenntnisreiche Beitrag von Birgit Seemann, in dem mit dem spezifisch jüdischen Beitrag zur Sozialgeschichte der Kriegskrankenpflege ein viel zu wenig beachtetes Thema ins Blickfeld rückt. Am Beispiel der jüdischen Krankenpflege in Frankfurt a. M. wird die enorme Leistung jüdischer Kriegskrankenschwestern gewürdigt, die ihr Leben an der Heimatfront und im Feld in den Dienst ihrer Landsleute ohne Ansehen der religiösen Zugehörigkeit stellten – und später trotz ihrer entbehrungsreichen Dienste für Deutschland diffamiert und vergessen wurden. Obzwar noch reichlich autobiographisches Material aufzuarbeiten steht, lässt die Autorin doch so manchen Lebensweg aus dem Dunkel hervortreten. Gefreut hätte sich die Rezensentin angesichts Seemanns Erwähnung einer ‚christlichen Liebestätigkeit‘ (S. 88) über einen Verweis auf das für die Krankenpflege fundamentale jüdische Pendant, das Konzept der gemilut chesed (in etwa: ‚freiwilliger Liebesdienst‘).

Dem autobiographischen Erzählen und damit der subjektiven Geschichtserfahrung widmet sich Ruth Jacob mit „Westfront 1916: Aus dem Tagebuch des jüdischen Bataillonsarztes Joseph Lachmann (1882-1961)“. Lachmann, Sohn orthodoxer Eltern und überzeugter Zionist, diente im Ersten Weltkrieg als Zivilarzt in der Sanitätskompanie, machte eine beeindruckende Karriere als Mediziner und baute ab 1933 in Palästina das öffentliche Gesundheitswesen auf. Psychologisch feinfühlig liest Jacob Lachmanns Kriegstagebuch als Indikator dafür, „wie Identitäten auf verschiedenen biografischen Ebenen nebeneinander existieren und gelegentlich in Widerspruch geraten“ (S. 103). Die Autorin plädiert dafür, von einer integrativen Sicht auf die jüdische Identität auszugehen, sie demnach als kompatibel mit dem ‚Deutschsein‘ und offen für eine Vielzahl von Werten – in Lachmanns Fall gleichermaßen für Patriotismus und Zionismus – aufzufassen. Vor dem Hintergrund dieser psychologischen Gemengelage wirft Jacobs Aufsatz ferner Licht auf die Bedeutung des Eisernen Kreuzes für die jüdischen Veteranen und deren Nachkommen: Es ist Symbol der schmachvollen Schuldzuweisungen nach dem Krieg und stolz bewahrtes Signum der Verdienste um das Vaterland in einem.

Dr. Joseph Lachmann
„Bald erhältst du noch mehr Bilder“, schrieb Dr. Joseph Lachmann (aufgestützt stehend am vorletzten Bett) aus dem Lazarett an seine Frau Helene. Foto: aus dem Band

Die im November 1917 publizierte Balfour-Deklaration, mit der die britische Regierung ihr Einverständnis für eine nationale jüdische Heimstatt in Palästina gab, löste ein gewaltiges publizistisches Echo aus und führte zur Aufwertung des Zionismus auf internationaler politischer Ebene. Der gespaltenen innerjüdischen Rezeption in Deutschland geht Monika Brockhaus in „’… da es sich bei der Erklärung um einen antideutschen Versuch handelt …‘. Die Balfour-Deklaration im Spiegel der Jüdischen Rundschau und der Allgemeinen Zeitung des Judentums“ nach. Brockhaus gruppiert ihre gelungene, von November 1917 bis Januar 1918 laufende Analyse der Berichterstattung in der zionistischen JR und der liberal-konservativen AZJ um die Positionierung der Zeitungen zum Zionismus, die Deutung des Begriffs ’national home‘ sowie die Verortung der Balfour-Deklaration im Kontext britischer (und damit antideutscher) Kriegspropaganda. Letztlich führt die grundverschiedene Rezeption der weltpolitischen Vorgänge um ‚die jüdische Frage‘ wieder mitten hinein in das Selbstverständnis des Judentums: Die Zionisten sahen die Juden als Volk an, was für die Nichtzionisten, die sie als Religionsgemeinschaft betrachteten, eine Bedrohung für die angestrebte Gleichberechtigung darstellte.

Mit dem Beitrag „Vom ‚Judenbad‘ zum ‚judenfreien Staatsbad‘. Jüdische Kurtradition und Bäderantisemitismus in Bad Reichenhall“ liefert Johannes Lang einen wichtigen Baustein zur Thematik des ‚Bäder-Antisemitismus‘, die besonders durch die Arbeiten Frank Bajohrs einem breiteren Publikum zugänglich wurde. Beginnend mit den 1860er Jahren verfolgt Lang auf Grundlage regionalgeschichtlich aussagekräftiger Quellen die sich zu Ungunsten der jüdischen Klientel wandelnde Atmosphäre: So galt das mit jüdischer Infrastruktur ausgestattete Bad Reichenhall selbst jüdischen Beobachtern lange als äußerst gastfrei, so dass man noch 1931 eine Besuchsempfehlung aussprach. Doch der oft nur subtil pejorative Tonfall gegenüber den jüdischen Gästen kippte nach dem Ersten Weltkrieg auch hier ins Diffamierende. Allerdings waren im oberbayerischen Staatsbad selbst nach der Etablierung der NS-Herrschaft offene Anfeindungen verpönt, was Hoteliers sowie dem die jüdischen Wohltäter des Ortes schätzenden Bevölkerungsteil zu verdanken ist. Deshalb war Juden noch bis 1938 ein Verbleib in Bad Reichenhall immerhin möglich, bis ihnen 1939 reichsweit Kuraufenthalte verboten wurden.

Eine weitere autobiographische Studie bietet Roland Kaufhold mit „’Das Schulwesen und die Erziehungseinrichtungen sind veraltet.‘ Siegfried Bernfeld: Zionist und psychoanalytischer Pädagoge“. Bernfeld (1892-1953) gehörte dem engen Kreis um Sigmund Freud an und verband Psychoanalyse, Pädagogik und Gesellschaftskritik in einzigartiger Weise. Von 1914-24 Protagonist des linken Flügels der Jugendbewegung in Wien, 1920 Sekretär von Martin Buber, entfaltete er zudem ein beeindruckendes publizistisches Wirken als Theoretiker des Zionismus. Obzwar die 68er-Bewegung seine reiches Schrifttum wiederentdeckte, blieb ihm breitere Berühmtheit versagt, was auch für sein pädagogisches Modellprojekt, das ‚Kinderheim Baumgarten‘ gilt, an das der Autor vorrangig erinnern will: eine Art ‚basisdemokratischer‘ Zufluchtsort für galizische Flüchtlingskinder auf Grundlage der Reformideen von u.a. Montessori und Otto – mit dem Fernziel einer späteren Kolonisierung Palästinas. Trotz der Kurzlebigkeit des Projekts verpflanzten Bernfelds Schüler dessen inspirierende Orientierung doch nach Palästina, wo sie die Kibbuzbewegung und das Erziehungssystem maßgeblich mitgestalteten.

Den Abschluss des Jahrbuchs bildet die Selbstvorstellung einer Institution: In ihrem Beitrag „Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln“ geben Barbara Becker-Jákli und Werner Jung genaue Auskunft über Geschichte, Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der im Gebäude der einstigen Kölner Gestapo-Zentrale untergebrachten, 1979 gegründeten Einrichtung, die als Lern-, Gedenk- und Forschungsort gleichermaßen fungiert und durch vielfältige Angebote Aufklärungsarbeit über aktuelle rechte Ideologien leistet. Bei allem Detailreichtum wirkt dieser kurze Artikel nach Meinung der Rezensentin doch leider eher wie ein Info-Flyer – er hätte gerne etwas ‚leserfreundlicher‘ aufgearbeitet werden können, um das so belangvolle und vielgestaltige Wirken des Dokumentationszentrums adäquater zu vermitteln.

nurinst 2014 - Juden im Ersten WeltkriegFazit: Mit dem nurinst-Jahrbuch 2014 zum Ersten Weltkrieg liegt eine sehr gut lesbare, inhaltlich ausgewogene Publikation vor, die das breite Wirken der deutschen Juden in der Kriegszeit in diverse Facetten aufgliedert und immer wieder das komplexe Identitätsproblem berührt. Das Jahrbuch bietet mit den konzisen, oft eher unbekannte Aspekte aufgreifenden Beiträgen eine feine Mischung aus regionalen, (inter-)nationalen, autobiographischen, allgemein sozialen bzw. politischen Zuspitzungen, wobei die Leistungen jüdischer Frauen in zwei Aufsätzen gewürdigt sind. Das Spektrum wird im letzten Viertel des Buches noch durch Aufsätze erweitert, die nicht auf das Kriegsgeschehen selbst fokussieren, sondern die Ära in einem weiteren Sinne hereinholen. Und so sei dieses gelungene Jahrbuch dringend zur Lektüre empfohlen!

Jim G. Tobias und Nicola Schlichting (Hgg.): nurinst 2014. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte. Schwerpunktthema: Davidstern und Eisernes Kreuz – Juden im Ersten Weltkrieg. Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 7. Antogo-Verlag, Nürnberg 2014. 181 S, 14,- €, Bestellen?

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