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Lion Feuchtwanger: Münchner – Emigrant – Weltbürger

Mit seiner „analytisch-scharfer Beschreibung“ im Roman Erfolg habe Lion Feuchtwanger wie kaum ein anderer den Aufstieg des Nationalsozialismus in der bayerischen Hauptstadt literarisch heraufbeschworen, bekundete am Andreas Heusler im beinah überfüllten Burda-Saal der IKG am 16. Juli bei der Vorstellung seines jüngsten biografischen Werks „Lion Feuchtwanger – Münchner – Emigrant – Weltbürger“…

Von Anna Zanco-Prestel

Ein Grund – wie er unterstrich -, weshalb Feuchtwanger von nun an als „der Münchner Schriftsteller“ überhaupt anzusehen sei. Und ausgerechnet München rückt in den Mittelpunkt der Zeit, in die er 1884 im Lehel hinein geboren wurde. Es ist die „Provinzmetropole München“ wie sie vor 130 Jahren war, kurz vor Ludwig II. Tod (1886) und vor der Errichtung der von ihm gewollten Hauptsynagoge (1887) hinter dem Karlsplatz, einem Tempel für 1.800 Personen in einer Stadt, in der 4.500 Juden lebten. Feuchtwanger wächst in einer jüdisch-ortodoxen Familie auf als erstgeborener Sohn eines wohlhabenden „Kunstbutter“-Fabrikanten, der sehr hohe Erwartungen an ihn stellt. Für ihn selbst ist das Judentum, zu dem er sich stets offen bekennt, ein „Konzept der kulturellen Identität“.

Als ein Kind der Jahrhundertwende atmet er die Atmosphäre einer goldenen Epoche des noch friedlichen Miteinanders und der Hoffnung ein. München ist ein Zentrum der Moderne und ist vielerlei unterschiedlichen Einflüssen von Außen ausgesetzt. 1911 malt der aus Russland angereiste W. Kandinskij das erste abstrakte Bild und eröffnet kurz danach die Saison vom „Blauen Reiter“, der zu Münchens Markenzeichen wird und heute noch ist. Es ist die Zeit der Schwabinger Bohème, die in einer schillernden Persönlichkeit wie Franziska zu Rewentlow eine außerhalb der bürgerlichen Konventionen lebenden Protagonistin findet, vom George-Kreis und von Erich Mühsams lyrisch-revolutionärem Elan. Von Frank Wedekind und Max Halbe maßgeblich geprägt, erkennt Feuchtwanger in Friedrich Nietzsche und Oscar Wilde seine Vorbilder. Zunächst vom Theater angezogen, findet er mit Jud Süß um 1921 den Weg von der Bühne zum Roman, dem ein historischer Stoff zugrunde liegt. Seinen bevorzugten Arbeitsplatz hat er in der Bayerischen Staatsbibliothek inne. Es folgen die frühen Jahre des Exils im französischen Sanary-sur-Mer im Kreis anderer prominenten Exilautoren, die abenteuerliche Flucht über Lissabon nach Kalifornien, wo er als Nachbar von Thomas Mann und Franz Werfel in Pacific Palisades seinen Lebensabend verbringt.

Kalifornien wird der mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler befreundete Feuchtwanger mit engen Verbindungen zur Filmindustrie nie wieder verlassen, aus Angst – wie Charlie Chaplin widerfahren war – nie wieder in die Staaten zurückkehren zu dürfen. Als linksliberaler Intellektueller vom Mc Carthy-Committee wegen unamerikanischer Umtriebe verdächtigt und beobachtet, bleibt er seinem Gastland, wo er als Schriftsteller sehr geschätzt und populär ist, grundsätzlich fremd und bekommt keinen amerikanischen Pass. München ist für ihn Zeit seines Lebens nicht nur der Ort seiner Geburt, sondern „Sehnsuchtsort“ tout court. 1957 wird ihm ausdrücklich allein für seine Verdienste auf literarischem Gebiet der „Dichterpreis“ der Stadt verliehen, den er aus den oben angeführten Gründen nicht entgegen nehmen kann.

Informativ und aufschlussreich auch dank der Erschließung neuer Quellen wie u.a. von Feuchtwangers Tagebüchern, reflektiert die Biografie nicht nur das Wirken des gefeierten Romanciers, sondern auch den Menschen und Menschenfreund immer an der Seite der Schwächeren und unablässig der in den vielen Phasen des Exils in Not geratenen Exilanten.

Die Präsentation erfolgte in Form eines Podiumsgesprächs, unterbrochen durch die Lesung von BR- Sprecherin Beate Hinterstoisser, die mit ihrer unverwechselbaren Stimme die erzählerische Qualität der Biografie voll zur Geltung kommen ließ.

Wieder lebendig wurden Lion Feuchtwanger und seine Ehefrau Marta in einem von Thomas Manns Privatsekretär Albrecht Joseph 1956 gedrehten Film, der – als seltenes Dokument zur Abrundung des Abends – Einblicke in die Schreibwerkstatt des Schriftstellers und in den Garten seiner Villa vermittelte.

1960 in Calw geboren, hat Dr. Andreas Heusler Geschichte und Politikwissenschaften in München und Tübingen studiert. Seit 1994 ist er Leiter des Sachgebiets Zeitgeschichte/Jüdische Geschichte am Stadtarchiv München. Ein „Hüter der Geschichte der Stadt München“ – nannte ihn IKG-Präsidentin Dr. Charlotte Knobloch in ihrer Einführung -, der sich der Geschichte der bedeutenden Münchner, aber auch der kleinen Leute annimmt und deren „Erinnerung bewahrt“, als wäre sie „ein Stück der Geschichte“. Heuslers Leistung im Zeichen der „Erinnerungskultur“ insbesondere aus der dunklen NS-Zeit, lässt sich anhand seiner bekannten Publikationen wie „München arisiert“ (2004), „Das Braune Haus. Wie München zur ‚Hauptstadt der Bewegung‘ wurde“ (2008) und „Kinder für den ‘Führer’. Der Lebensborn in München“ (2013) verfolgen. Sie stehen exemplarisch für sein jahrelanges, persönliches Engagement in Sachen Wiederherstellung einer historischen Wahrheit, die in der Vergangenheit viel zu oft Verdrängungsmechanismen zum Opfer fiel.

Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des NS-Dokumentationszentrums München und Mitherausgeber der Reihe „München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft”. Gemeinsam mit Michael Brenner zeichnet er für die „Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern” verantwortlich.

Es ist zweifelsohne dem Einsatz von engagierten Forschern wie Andreas Heusler zu verdanken, wenn in den letzten Jahren in München das Bewusstsein über den großen Anteil gestiegen ist, den die jüdische Komponente ab der Jahrhundertwende am wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg der Stadt inne hatte. Die Feuchtwanger-Biografie ist auch in seinem Sinne ein wichtiger Beitrag zur Renaissance des weltbekannten Autors und fügt sich im Rahmen des generellen Comebacks jüdischer Kultur in Deutschland ein.

Andreas Heusler: Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger, 364 S., zahlreiche Abb., Residenz Verlag, St. Pölten 2014, EUR 24,90

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